Lars Klingbeil: „Ich möchte, dass jeder in der SPD weiß, wo ihm geholfen wird, wenn er bedroht wird.“
Felix Zahn/photothek.net
Sie sind seit vielen Jahren politisch aktiv – in der Kommunal- wie in der Bundespolitik. Haben Sie in dieser Zeit Morddrohungen erhalten?
So schlimm wie in vielen anderen aktuellen Fällen, hat es mich bislang nicht getroffen. Aber es gab mal eine Situation, die mich sehr geprägt hat. Als ich begonnen habe, mich in meiner Heimat politisch zu engagieren, gab es im Nachbarort ein Nazi-Zentrum, gegen das wir regelmäßig Demos organisiert haben. Auch gegen die Wehrmachtsausstellung 1998 in Hannover waren wir auf der Straße. Damals stand ich dann plötzlich ein paar Neonazis gegenüber, die mir angedroht haben: „Klingbeil, wir besuchen dich zuhause.“ Das war heftig.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich habe mich dann gleich aus dem Melderegister streichen lassen. Danach war erstmal Ruhe. Seit ich mich jetzt aber immer stärker auch als Generalsekretär in aller Klarheit zur AfD positioniere, nehmen die Bedrohungen wieder zu. In den vergangenen Wochen und Monaten sind immer wieder Hass-E-Mails bei mir angekommen. Was mich betroffen macht ist, dass das in erster Linie meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abbekommen. Sie sind die ersten Empfänger solcher Nachrichten und diejenigen, die im Wahlkreisbüro sitzen und nicht wissen, welche Absicht jemand hat, wenn er es betritt. Wenn ich mich morgens öffentlich zur AfD äußere, weiß ich schon, dass meine Mitarbeiter an diesem Tag viele wütende Anrufe bekommen.
In den vergangenen Monaten häufen sie die Fälle von Kommunalpolitiker*innen, die ihr Amt wegen Drohungen gegen sich und ihre Familie niedergelegt haben. Was bedeutet das für die Gesellschaft?
Wenn sich Menschen überlegen, ob sie ihr Engagement für ihre Stadt, ihre Gemeinde oder ihren Kreis nicht lieber sein lassen, weil sie Angst haben müssen vor Bedrohung, dann läuft etwas richtig schief in unserem Land. Ich mache mir große Sorgen, dass die massiven Einschüchterungsversuche von rechts Erfolg haben. Und die Bedrohungen gehen ja auch über die Politik hinaus. Seit Jahren nehmen die Angriffe auch auf Rettungskräfte zu. Das muss man sich mal vorstellen: Da werden Menschen bedroht und attackiert, die nur kommen, weil sie helfen wollen. Das ist abstoßend und ich will das nicht hinnehmen.
Welche Ursachen sehen Sie für diese Entwicklung?
Soziale Netzwerke als quasi öffentliche Räume bieten große Reichweite, Hass zu sähen und zu verstärken. Und rechte Netzwerke nutzen das sehr gezielt und professionell organisiert für ihre Zwecke aus. Sie konzentrieren und befeuern die Hetze. Inzwischen folgt häufig der nächste Schritt: Raus aus dem Internet, rauf auf die Straße und rein die die reale Bedrohung. Und aus Worten folgen dann Taten.
Hilft es aus Ihrer Sicht, Bedrohungen öffentlich zu machen?
Bis vor wenigen Monaten hätte ich wahrscheinlich gesagt, dass es besser ist, nicht über solche Dinge zu sprechen, um nicht denen, die Menschen bedrohen, auch noch eine Bühne zu geben. Inzwischen bin ich aber fest davon überzeugt, dass jeder Fall an die Öffentlichkeit muss. Die Vernünftigen müssen damit konfrontiert werden, was gerade passiert, damit sie dann gemeinsam aufstehen und laut sagen: Nicht mit uns und unserem Land!
Wegen der zunehmenden Bedrohung von Politiker*innen hat Ende Januar auf Ihre Anregung hin ein Treffen mit den Generalsekretär*innen aller im Bundestag vertretenen Parteien außer der AfD stattgefunden. Was ist dabei herausgekommen?
Das Treffen war sehr konstruktiv und ich bin froh und dankbar, dass es so schnell zustande gekommen ist. Bei allen politischen Differenzen haben wir schnell gemerkt, dass wir in dieser Frage alle im selben Boot sitzen. Wir haben vereinbart, dass es noch im Februar ein Folgetreffen geben wird. Dann werden wir auch über konkrete Möglichkeiten sprechen, wie wir etwas ändern können. Ich kann zum Beispiel überhaupt nicht verstehen, warum Bedrohungen von Polizei und Justiz vor Ort häufig immer noch als Bagatelle abgetan werden. Jeder, der unsere Demokratie bedroht, muss die volle Härte des Rechtsstaats zu spüren bekommen.
Reichen die bestehenden Gesetze denn aus oder müsste da auch nachgeschärft werden?
Online bin ich sehr dafür, dass Betreiber von Plattformen Drohungen nicht nur löschen, sondern auch beim BKA melden müssen. Dafür schärft unsere Justizministerin Christine Lambrecht jetzt bereits das entsprechende Gesetz nach. Vor allem aber geht es darum, öffentliche Aufmerksamkeit zu schaffen und die Zivilgesellschaft zu stärken. Dabei spielt ein Demokratiefördergesetz wie es die SPD schon lange fordert eine ganz wichtige Rolle. Das muss jetzt kommen.
Bei einem „Runden Tisch“ wollen Sie am Mittwoch mit Betroffenen und Praktiker*innen beraten. Was erhoffen Sie sich davon?
Nach den Schüssen auf das Büro von Karamba Diaby in Halle waren wir uns einig, dass Empörung allein nicht mehr reicht. Wir wollen die Aufmerksamkeit auf die Bedrohung lenken und Strukturen unterstützen, die Hilfe leisten und unsere Demokratie stärken. Viele sind hilflos, wenn sie bedroht werden und wissen nicht, an wen sie sich wenden können. Das wollen wir ändern, auch in der SPD. Am wichtigsten ist mir deshalb, von den Betroffenen direkt zu erfahren, was sie von ihrer Partei erwarten und wo sie mehr Unterstützung brauchen.
Was können Parteien und besonders die SPD tun, um Politiker*innen, die in ihrem Namen kandidieren und Mandate bekleiden besser zu schützen?
Ich möchte, dass jeder in der SPD weiß, wo ihm geholfen wird, wenn er bedroht wird. Wir brauchen also eine zentrale Anlaufstelle für eine erste Hilfe. Hinzu kommen eine bessere Schulung und Beratung. Die SPD hat ja eine sehr gute Parteischule, die wir auch nutzen wollen, um Mandatsträgerinnen und Mandatsträger auf mögliche Bedrohungen vorzubereiten. Und auch im Internet müssen wir als SPD mehr Solidarität organisieren. Es gibt bereits Initiativen wie #ichbinhier, die da sehr erfolgreich sind und von denen wir beim runden Tisch lernen wollen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.