BNR

Identitäre Bewegung: Die unterschätzte Gefahr von rechts

Die „Identitäre Bewegung“ zeigt sich als dynamischster Arm der extremen Rechten. Die bestens vernetzten Aktivisten geben sich modern, vertreten aber eine rückwärtsgewandte Ideologie. Ihre Verbindungen reichen bis in die Parlamente.
von Marc Brandstetter · 25. Oktober 2016
Vertreter der Identitären Bewegung auf dem Brandenburger Tor
Vertreter der Identitären Bewegung auf dem Brandenburger Tor

Die letzte spektakuläre Aktion der „Identitären Bewegung“ (IB) liegt mittlerweile gut acht Wochen zurück. Trotzdem hallt die Besetzung des Brandenburger Tores in Berlin bis heute nach. Kürzlich bezeichnete der NPD-Vorsitzende Frank Franz die „Identitären“ in einem Video des parteieigenen Propaganda-Senders „DS TV“ als beispielhaft für medienwirksame Aktionen. Gleichzeitig richtete der Chef der angeschlagenen Partei, die nach dem Ausscheiden aus dem Landtag von Mecklenburg-Vorpommern mehr und mehr in die politische Bedeutungslosigkeit rutscht, einen Appell an den eigenen Jugendverband, in diesem Bereich „wieder Tritt zu fassen“.

Bereits zu Beginn des Jahres 2013 hatten die „Jungen Nationaldemokraten“ (JN), damals noch unter ihrem Vorsitzenden Andy Knape, eine (erfolglose) Kampagne unter dem Titel „Identität – Werde, wer DU bist“ an den Start gebracht. Zu diesem Zeitpunkt existierte die „Identitäre Bewegung“ erst wenige Monate – und agierte bereits als Stichwortgeber.

Die Identitären: Alter rechter Wein in neuen Schläuchen

Die Wurzeln der IB liegen in Frankreich, später gründeten sich Ableger in mehreren europäischen Ländern, darunter Deutschland, Österreich oder Tschechien. Nach ihrem Selbstverständnis sieht sich der hierzulande seit 2014 eingetragene Verein in Abgrenzung zur „Alten Rechten“ als „metapolitischer und aktivistischer Arm der Neuen Rechten“. Grundlage ihrer Ideologie ist das Konzept des Ethnopluralismus: Die Vielfalt der Völker müsse erhalten werden, weshalb die „derzeit nach Europa stattfindende Masseneinwanderung“ abzulehnen sei und eine „Festung Europa“ aufgebaut werden müsste.

Die angestrebte Distanz zu organisierten Neonazis ist indes kaum mehr als ein Lippenbekenntnis. Daniel Fiß, ein Student aus Mecklenburg-Vorpommern, gilt als wichtiger Strippenzieher. Einst war er für den NPD-Nachwuchs aktiv, derzeit sucht er nach geeigneten Immobilien, um an der Ostsee ein IB-Bundesbüro aufzubauen. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz seien bei den „Identitären“ frühere Mitglieder von Neonazi-Kameradschaften, der NPD und der JN untergekommen, ferner lägen Hinweise auf Kontakte zu weiteren Rechtsextremisten vor. Selbst in der Ideologie der „Identitären Bewegung“ sind Anknüpfungspunkte an neonazistische Denkmuster vorhanden.

„Kriegserklärung“ an die moderne Gesellschaft

2013 veröffentlichte die französische „Génération Identitaire“ ein Video mit einer „Kriegserklärung“ an die moderne Gesellschaft. Dort reden junge Aktivisten vom Leben als „Kampf“ oder davon, dass „unser einziges Erbe unser Land, unser Blut, unsere Identität ist“. Unter dem Deckmantel des Ethnopluralismus wird völkisch-rassistisches Gedankengut verschleiert. Die IB-Initiative „Der große Austausch“, die einen vollständigen „Austausch“ der Bevölkerung durch „Fremde“ heraufbeschwört, weist deutliche Parallelen zur unter Rechtsextremisten weit verbreiteten „Volkstod-Kampagne“ auf.

Tatsächlich ist die „Identitäre Bewegung“ innerhalb der „Szene“ bestens vernetzt. Martin Sellner, Kopf des österreichischen Arms, trat beim zweijährigen Pegida-Jubiläum in Dresden als Redner auf. Dort stand mit Götz Kubitschek ein weiterer neurechter Vordenker auf der Bühne. Der Verleger ist Gründungsmitglied des Projektes „Ein Prozent“, das von Philip Stein geleitet wird. In der Vergangenheit suchten Stein und Sellner, der laut der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ 2014 eingeräumt hatte, in einer „überschwänglichen pubertären Phase“ zum „näheren Umfeld“ des mehrfach verurteilten Neonazis Gottfried Küssel gehört zu haben, die gegenseitige Nähe.

Enge Verbindungen zur AfD

In diesem Zusammenhang kann die gemeinsame Aktion von „Ein Prozent“ und den „Identitären“ am 16. Oktober in der sächsischen Landeshauptstadt nicht überraschen. Zum engsten Kreis der „Ein Prozent“-Kampagne, die in ihrer „Bürgerbewegung“ gegen die „Flüchtlingsinvasion“ ein Prozent der deutschen Bevölkerung hinter sich versammeln möchte, gehört mit Hans-Thomas Tillschneider der Vorstand der „Patriotischen Plattform“. In diesem Zusammenschluss organisiert sich der ganz rechte Flügel der AfD.    

In der AfD haben die „Identitären“ einige einflussreiche Fürsprecher, selbst wenn ein Beschluss des Bundesvorstandes eigentlich eine Zusammenarbeit ausschließt. Neben Tillschneider erkannte Sachsen-Anhalts AfD-Parteichef André Poggenburg „Schnittmengen“ zwischen seiner Partei und der IB. Ende August saß Poggenburg in Schwerin mit dem späteren AfD-Fraktionsvize in Mecklenburg-Vorpommern, Holger Arppe, auf dem Podium einer Veranstaltung des rechten Compact-Magazins. Damals sagte Arppe, in erster Instanz wegen Volksverhetzung verurteilt, die „Distanzeritis“ der AfD hätte man „leider noch nicht gänzlich ausrotten“ können. Der ebenfalls eingeladene Sellner hatte seinen Auftritt kurzfristig wegen Krankheit abgesagt.

Wichtiges Scharnier zwischen Rechtspopulismus und Neuen Rechten

In der aktuellen  Compact-Ausgabe erklärt AfD-Vize Alexander Gauland die grundsätzliche Bereitschaft, „Identitäre“ aufzunehmen („Wer ähnliche Ziele verfolgt, kann zu uns kommen“), während der Parteirechtsaußen Björn Höcke im selben Interview den Aktionen der IB „einen intelligenten Esprit“ attestierte. Die „Identitäre Bewegung“ nimmt eine wichtige Scharnierfunktion zwischen einem parlamentarisch orientierten Rechtspopulismus und der außerparlamentarischen „Neuen Rechten“ ein, wodurch die Schlagkraft der Rechten insgesamt erhöht wird.   

Es sind nicht zuletzt die auf Jugendliche zielenden attraktiven Aktivitäten, die den Hamburger Verfassungsschutz veranlassten, offiziell vor der „Identitären Bewegung“ zu warnen. Den Schritt aus dem Internet, wo die „Bewegung“ zunächst insbesondere bei Facebook aktiv war, auf die Straße hat die IB längst gemacht. Freimütig räumen Aktivisten ein, sich an linken Protestformen zu orientierten. Vor der „Besetzung“ des Brandenburger Tores habe man eine ähnliche Greenpeace-Aktion studierte, sagte ein Vertreter der taz. „Kontrakultur Halle“, einer der radikalsten IB-Verbände, setzt auf Musik, um Sympathisanten zu gewinnen. „Komplott“, der „verbandseigene Rapper“, fordert „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ – und greift damit einen alten Text der linken Kultband „Ton Steine Scherben“ auf.

Zunehmende Radikalisierung der Bewegung

„Wir sehen bei der ‚Identitären Bewegung‘ Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“, begründete Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen die Beobachtung der rechtsextremistischen Strömung durch den Geheimdienst. Zuletzt stellten die Verfassungsschützer eine Radikalisierung der „Bewegung“ fest: „Zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele begehen Anhänger der IB Ordnungswidrigkeiten und Straftaten im niederschwelligen Bereich“, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Parlamentsanfrage. Seit Anfang Oktober bietet „Kontrakultur Halle“ eigenen Angaben zufolge ein „wöchentliches Selbstverteidigungstraining unter professioneller Leitung“ an, denn „Kampfsport und Selbstverteidigung sind für uns Identitäre ein unverzichtbarer Bestandteil des aktivistischen Lebens“.  

Autor*in
Marc Brandstetter

ist Autor der Plattform „Endstation Rechts“.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare