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Höcke und die AfD: Flügel-Duo gesprengt

Die Einschläge kommen Björn Höcke immer näher. Andreas Kalbitz hat sich derweil selbst aus dem Ring geboxt. Und schon tun sich in der AfD neue Frontlinien auf.
von Rainer Roeser · 26. August 2020
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Götz Kubitschek bevorzugt die Vergangenheitsform. „Was war das für ein Tandem!“, schwärmt der Vordenker der Neuen Rechten von dem Duo, das sich anschickte, die AfD noch viel weiter nach rechts zu drängen. Vorne auf dem Tandem, um bei Kubitscheks Bild zu bleiben, saß Björn Höcke, sozusagen das Aushängeschild des „Flügels“. Höckes Macht und Einfluss ruhe auf „Charisma, auf etwas Ideellem, auf einer Aura des im richtigen Moment stimmigen Gedankens und einer echten Sehnsucht nach Ruhe und Aufbau und Regeneration in unserem Land“, sinniert Kubitschek. Hinten auf dem Tandem Andreas Kalbitz, der Muskelapparat des „Flügels“: „Es steht außer Frage“, schreibt Kubitschek, „dass er zur Zielscheibe der Clique um Meuthen wurde, weil er mit so eminent politischer Wucht agierte und so unglaublich gut vernetzt war, dass man in ihm eine strukturelle Bedrohung des eigenen Anspruchs auf die Macht in der AfD sah“. Kalbitz sei „ein politisches Talent erster Kategorie“.

Doch das Tandem ist gesprengt. Einerseits, weil Kalbitz‘ Eilantrag scheiterte, mit dem er sich Ende voriger Woche vor dem Landgericht in Berlin wieder in die AfD klagen wollte. Andererseits, weil sein rechter Schwinger auf die Milz des kommissarischen Fraktionschefs Dennis Hohloch bildlich gesprochen auch noch den eigenen Kopf traf – und damit für Kalbitz‘ politischen Knockout sorgte.

Tadel für Kalbitz

Kubitschek hat einen Tadel parat für den zu Boden gegangenen Ex-AfD-Politiker. Die Fraktion in Brandenburg habe „bis zum Winkelzug, bis zur Überspannung der Geschäftsordnung für und um Kalbitz gekämpft“, schreibt er. „Die Verantwortung für diejenigen, die gegen eine immer mächtiger werdende, innerparteiliche Front standen, hätte das A und das O des Handelns sein müssen. Man muss es den Mitstreitern so leicht wie möglich machen, einen zu verteidigen.“ Eben das jedoch tat Kalbitz nicht, als er zur stürmischen Begrüßung seines Nachfolgers ausholte.

Die es gut mit Kalbitz meinen, wissen nun, dass er untragbar geworden ist, in welcher Funktion auch immer. Die es weniger gut mit ihm meinen, in Brandenburg und anderswo, schieben Geschichten über frühere Ausraster von Kalbitz und seinen Alkoholkonsum nach. Bisheriger Gipfel der Demütigung und Demontage war eine Warnung an die Parlamentspräsidentin in Potsdam, über die der „Tagesspiegel“ am vorigen Wochenende berichtete: Kalbitz könne angesichts seiner Lage bei der Landtagssitzung in dieser Woche die Kontrolle verlieren, ausrasten und gewalttätig werden. Er habe nichts mehr zu verlieren und ein Alkoholproblem, sei bereits gewalttätig geworden und Waffenträger, meldete der Hinweisgeber laut „Tagesspiegel“.

„Politische Schmierenkomödie“

Kalbitz klagte über eine „Rufmordkampagne“. Der Vorgang sei „offenkundig innerparteilich motiviert“ und „Teil einer politischen Schmierenkomödie“, sagte er der „Berliner Zeitung“. Intrigant ging es in der Partei schon immer zu. Kalbitz hat dabei mitgemischt. Doch mit der Unterstellung, ein Mitglied der eigenen Fraktion sei waffenschwingend eine Gefahr für andere, ist ein neues Schmutzniveau erreicht.

Derweil der gefallene Ex-Fraktionschef mit Schlagzeilen wie „Parlament schaltet wegen Ex-AfD-Mann Kalbitz Polizei ein“ oder „,Gewalttätig und Waffenträger‘: Parlament alarmiert wegen Kalbitz Polizei“ zu kämpfen hatte, war Björn Höcke feiern. Der Kreisverband Northeim – Hochburg der „Flügel“-Anhänger in Niedersachsen – hatte am Samstag zum „6. Patriotischen Sommerfest“ eingeladen. Höcke gab am Rande der Veranstaltung einem AfD-nahen YouTube-Kanal ein Interview. „Ich war ja immer jemand, der die Einheit der Partei betont hat“, sagte Höcke. Er habe sich immer deutlich positioniert. „Aber ich habe niemals gesagt, dass andere Strömungen nicht in die Partei gehören.“

Als Volkspartei „ganz breit angelegt sein“

Anders in Erinnerung haben es freilich diejenigen, die er einst als „Halbe“ titulierte, und diejenigen, von denen er meinte, es werde Zeit, dass „die, die nicht in der Lage sind, das Wichtigste zu leben, was wir zu leisten haben, nämlich die Einheit, dass die allmählich auch mal ausgeschwitzt werden“. Als Volkspartei müsse die AfD „ganz breit angelegt sein“, sagt Höcke in Northeim in die Kamera. Er hoffe, dass diejenigen, die das seiner Meinung nach anders sehen, „noch zur Besinnung kommen“. Auffällig, aber bezeichnend war: Den Namen Kalbitz nahm Höcke einen Tag nach der Entscheidung des Berliner Landgerichts in seinem Sechseinhalb-Minuten-Interview nicht in den Mund.

Seine Meinung zum Fall Kalbitz habe sich nicht geändert, sagte er freilich am Dienstag im MDR-Sommerinterview. Er halte den Ausschluss für einen „schweren Fehler“. Aber, so Höcke: „Nun hat die Partei, aber auch die Parteibasis zumindestens den dringenden Wunsch nach Ruhe und Frieden.“ Und: „Wir müssen jetzt gucken, dass wir diese Partei wirklich als Alternative wieder stabilisieren und wieder mit starker Stimme und gemeinsam nach außen auftreten.“

Kein schützender „Flügel“

Höcke weiß sich zu ducken, wenn die Einschläge näherkommen. Zu Kalbitz sagt er momentan wenig. Als andere Rechtsaußen aus der Partei befördert wurden, war vom „Flügel“-Vormann gar nichts zu hören. Die Landeschefs Doris von Sayn-Wittgenstein und Dennis Augustin traf es und den Landtagsabgeordneten Stefan Räpple. In diesen Tagen schloss das Landesschiedsgericht in Sachsen-Anhalt den Bundestagsabgeordneten Frank Pasemann aus; vor dem Bundesschiedsgericht geht es weiter. Gegen den Münsteraner Bezirksvorsitzenden Steffen Christ wurde ein Ausschlussverfahren in Gang gebracht. Nichts spricht dafür, dass Höcke einen schützenden „Flügel“ über sie halten könnte.

Ins Fadenkreuz des Meuthen-Lagers sind längst andere gerückt. Der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland zum Beispiel. (bnr.de berichtete) Immer wieder hat er Kalbitz verteidigt, Parteivorstand und Bundesschiedsgericht gescholten. Dem Landgericht bot er sich am vorigen Freitag gar als Zeuge an. „Als Zeuge gegen die eigene Partei – kann man sich nicht ausdenken. Er könnte als Leuchtturm der AfD verbleiben, wenn er umgehend sich zurückzieht. Leider haben schon andere (Lucke, Petry, etc.) die Zeichen der Zeit verpasst – macht Gauland auch diesen Fehler?“, notierte der Vorsitzende eines einflussreichen Kreisverbands in Nordrhein-Westfalen.

Riss mitten durch die Partei

Vor dem Gerichtssaal in Berlin formulierte Bundesvorstandsmitglied Alexander Wolf (noch) etwas dezenter: In den letzten Tagen und Wochen habe Gauland „mehrmals unglücklich agiert“, sagte der Meuthen-Gefolgsmann. Mit seinem Angebot, als Zeuge aufzutreten, habe er sich, „so fürchte ich, selbst beschädigt“. Doch ehe es Gauland ans Leder gehen kann, müssen die wenigen auf Linie gebracht werden, die an Kalbitz festhalten. Jene, die ihn nach wie vor zu Veranstaltungen einladen, „werden sich das jetzt sehr genau überlegen“, sagt Wolf. Es ist eine als Erwartung formulierte Drohung. Als erste dürften sich die Funktionäre des AfD-Kreisverbands Leipziger Land angesprochen fühlen. Sie bereiten für Freitagabend eine Kundgebung auf dem Marktplatz in Grimma vor. Als Redner sind bislang unter anderem Höcke und Kalbitz angekündigt.

Erst einmal hat sich Meuthen in der Auseinandersetzung mit Kalbitz und dem „Flügel“ als der bessere Strippenzieher erwiesen. Gewonnen hat er den parteiinternen Machtkampf jedoch längst noch nicht. Im Vorstand fand sich nur eine knappe 7:5-Mehrheit für seinen Kurs der Konfrontation. Im Bundeskonvent bekam er mit Ach und Krach eine 27:23-Mehrheit hinter sich. Mit dieser schmalen Mehrheit lehnte das höchste Organ der AfD zwischen den Parteitagen einen Antrag ab, in dem ihm „unverantwortliche Spaltungsversuche“ vorgeworfen und personelle Konsequenzen gefordert wurden. Der Riss geht ziemlich genau mitten durch die Partei.

Weitere Machtproben

Die nächsten Machtproben folgen. Beim Landesparteitag in Niedersachsen geht es Mitte September noch einmal um die Kontroverse zwischen vorgeblich „Gemäßigten“ und „Flügel“-Leuten. (bnr.de berichtete hier und hier) Weitere, neue Frontlinien zeichnen sich ab. Zum Beispiel in Baden-Württemberg, wo sich Alice Weidel erneut als Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl küren lassen will, während Meuthen öffentlich immer wieder mit dem Gedanken spielt, dort ebenfalls für den Bundestag zu kandidieren.

Und selbst wenn sich im Südwesten ein gesichtswahrender Kompromiss finden ließe, wäre der große Krach wohl nur aufgeschoben. Nach der Wahl müsste eine neue AfD-Fraktion in Berlin entscheiden, wer an ihrer Spitze stehen soll. Dass Meuthen mit einem Platz in der zweiten Reihe oder noch weiter hinten vorliebnehmen würde, muss man nicht vermuten. Zweite Reihe ist er – wenn auch gut dotiert – in der Sitzordnung des Europaparlaments schon heute.

Erschienen am 26. August auf bnr.de

Autor*in
Rainer Roeser

ist freier Autor, beschäftigt sich intensiv mit der „Alternative für Deutschland“ und schreibt unter anderem für den „Blick nach Rechts“.

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