Helge Lindh: „Diese Form von Hass und Hetze kann Leben kosten“
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Sie erhalten immer wieder Morddrohungen und gegen sehr offensiv damit um. Warum?
Es ist für mich der richtige Weg, damit offensiv umzugehen, um den Drohungen keine Macht zu geben. Denn das ganze Prinzip beruht darauf, Angst zu machen, einzuschüchtern und das Leben durch diese Drohungen zu beherrschen. Ich möchte mich nicht kontrollieren lassen, sondern selbst die Kontrolle behalten. Außerdem möchte ich aufklären, was da passiert. Wir gewöhnen uns mittlerweile an ein Grundlevel von Hass, aber wir unterschätzen dadurch die Folgen.
Was macht das mit einem, permanent solche Nachrichten zu bekommen?
Es gibt ein permanentes Grundrauschen von Beschimpfungen und Beleidigungen, aber seit dem 23. September gibt es wieder eine besonders große Welle. Die letzte heftige Drohung kam am 7. Oktober. So heftig und so konkret wie jetzt war es noch nie. Ich habe mir eine Elefantenhaut zugelegt. Sonst würde ich das nicht aushalten, wenn geschildert wird, wie ich abgeschlachtet werden soll. Wenn Bezüge gemacht werden auf Veranstaltungen im Wahlkreis oder Menschen, die ich kenne, wird die Bedrohung ganz unmittelbar. Ich versuche das auszublenden, aber es holt mich immer wieder ein.
Auf Facebook schrieben Sie „Lieber lasse ich mich von den „Türkenjägern“ abknallen, als dass ich irgendwas an meiner Haltung ändern würde“. Haben Sie Angst um Ihr Leben?
Angesichts der Drohungen, in denen detailliert geschildert wird, wie ich hingerichtet werden soll, wäre es fahrlässig zu sagen: So etwas kann nie passieren. Was mich beunruhigt, ist die Art und Weise, wie das bei mir gemacht wird. Im Netz wurde eine Art Wettbewerb um meine Abschlachtung ausgeschrieben. Und man weiß natürlich nie, wer sich dadurch aufgefordert fühlt. Es gibt ein Heer von potenziellen Tätern.
Beim Mord an Walter Lübcke hat man im vergangenen Jahr gesehen, dass aus solchen Drohungen schnell auch ernst werden kann.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Bei ihm begann es. Diese Form von Hass und Hetze kann buchstäblich Leben kosten. In den Schreiben, die mich am 23. September erreichten, ist auch wiederholt von „Lübcke 2“ die Rede. Das ist gespenstisch.
In Kamp-Lintfort hat der SPD-Bürgermeister aufgrund von Bedrohungen öffentlich darüber nachgedacht, einen Waffenschein zu beantragen. Käme das für sie auch in Frage?
Die bittere Pointe ist: Ich bin in der SPD-Bundestagsfraktion zuständig für das Thema Waffenrecht. Für mich selbst würde ich das aber ausschließen. Diese Waffe wäre auch kein Schutz, sondern würde höchstens das Gefühl einer Sicherheit vortäuschen.
Sie haben die AfD im Bundestag häufiger scharf kritisiert und die Partei auch „nationalsozialistisch“ genannt. Inwieweit hat sie zur Verrohung der politischen Kultur beigetragen?
Wenn Anschläge auf mich passieren, begreife ich sie politisch als mitverantwortlich. Dann haben sie politisch die Hand mit am Abzug. Nicht jeder Wähler der AfD ist Faschist, aber jeder Anhänger der AfD kann nicht sagen, er hätte nicht gewusst, wen er da wählt. Einzelne AfD-Abgeordnete wie Gottfried Curio verwenden ganz eindeutig NS-Rhetorik. Sie verharmlosen den Nationalsozialismus.
Vor einem halben Jahr gab es einen Anschlag auf Ihr Bürgerbüro in Wuppertal. Was tun Sie, um Ihre Mitarbeiter*innen stärker zu schützen?
Wir arbeiten eng mit dem Staatsschutz zusammen, in NRW und in Berlin. Auch das BKA betreut uns eng und betreibt Objektschutz. Aber das Büro ist mitten in einem lebendigen Viertel. Wir können daraus keine Festung machen. Denn der Sinn des Büros ist es, ein Kommunikationsort zu sein. Darüber hinaus unterstützt und berät mich auch die Organisation HateAid.
Zum Anschlag bekannte sich eine links-autonome Gruppierung. Inwieweit befinden Sie sich als SPD-Abgeordneter grundsätzlich in einem Spannungsfeld zwischen ganz links und ganz rechts?
Als Innenpolitiker stehe ich mitten in diesem Spannungsfeld. Von rechts kommen die Morddrohungen und Beschimpfungen. Von links kam mutmaßlich der Anschlag auf mein Büro. Es ist die absurde Situation, dass Rassisten einen umbringen wollen und wiederum einzelne Linksautonome mein Büro kaputt machen, mit der Begründung, die SPD sei rassistisch.
Inwieweit gefährden die Drohungen auch die Demokratie, indem Menschen Angst haben, sich politisch zu engagieren?
Das ist auch der Grund, warum manche solche Drohungen nicht öffentlich machen, weil sie denken, es könne viele abschrecken, wenn klar wird, welches Ausmaß das hat. Aber wenn man es geheim hält, schafft man das Problem nicht aus der Welt. Denn die Demokratie gefährdet nicht der Diskurs über diese Bedrohungen und den Hass, sondern die Kultur des Hasses selbst. Das führt sicherlich dazu, dass Menschen es nicht wagen, politisch aktiv zu sein. Von der kommunalen Ebene über die Landes- bis zur Bundesebene.
Was kann man gegen diese Verrohung der Demokratie tun?
In Anlehnung an Olaf Scholz würde ich sagen: Wir bräuchten eine Lösch-Bazooka, um diesen Flächenbrand zu löschen. Dazu gehört eine härtere und konsequentere Strafverfolgung. Das ist zwingend notwendig, denn diese Kräfte brauchen die komplette Härte des Gesetzes und eine unerbittliche Strafverfolgung. Auf der anderen Seite brauchen wir systematische Präventionsarbeit und politische Bildung. Wir müssen uns aber auch überlegen, wie wir stärker eine demokratische Öffentlichkeit im Internet schaffen können. Es muss gelten: Wir pflegen eine Streitkultur, bei der man auch unterschiedlicher Meinung sein kann und das auch austrägt, aber immer mit Respekt vor dem anderen.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo