„Haltung zeigen!“ Was Dresden Querdenken und Rechten entgegensetzt
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Seit Wochen marschieren Gegner*innen der Corona-Politik durch Dresden und andere Orte in Sachsen. Was sind das für Leute, die da unterwegs sind?
Sie selbst bezeichnen die Aktionen ja als „Spaziergänge“, aber das sind sie definitiv nicht. Zumindest in einigen Stadtteilen von Dresden hat das eher den Charakter von Aufmärschen. Dabei sind auch harte Neonazis, etwa aus der Freien Kameradschaft Dresden, die auch zu früheren Anlässen schon in Erscheinung getreten sind. Sie sind unterwegs mit Politiker*innen der AfD, Querdenker*innen und Anhänger*innen von Verschwörungsmythen. Sie können sich meist völlig ungestört bewegen, weil es kaum Polizeibegleitung gibt. Regelmäßig werden so bei diesen Aufmärschen Journalist*innen bedroht und sogar angegriffen.
In Bautzen gab es kürzlich Ausschreitungen. Auch Freiberg steht immer wieder im Fokus der Berichterstattung. Warum ist Sachsen ein Hotspot der Corona-Proteste?
Querdenken ist ein bundesweites Phänomen. In Sachsen kommt allerdings dazu, dass die sogenannten Freien Sachsen den Protest tragen. Mit Martin Kohlmann an der Spitze mischen in der Partei bekannte Rechtsextremisten mit. Manche haben eine NPD-Vergangenheit. Andere, wie Michael Brück, sind in der Partei „Die Rechte“ organisiert. Brück ist vor kurzem aus Dortmund nach Chemnitz gezogen. Die „Freien Sachsen“ rufen vor allem über ihren Telegram-Kanal jeden Montag sachsenweit zu Protesten auf.
Gibt es Parallelen zu den Pegida-Demos?
Pegida selbst ist im Moment sehr ruhig, weil in Sachsen ja offiziell keine Kundgebungen mit mehr als zehn Personen stattfinden dürfen. Von den Personen her gibt es aber große Überschneidungen zwischen den Corona-Protesten und Pegida. Vielerorts nehmen diejenigen, die sonst bei Pegida auf der Straße waren jetzt an den sogenannten Spaziergängen teil. Bei mindestens zwei von ihnen gab es im Zusammenhang mit der Morddrohung gegen den Ministerpräsidenten auch Hausdurchsuchungen.
Wer gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße geht, weiß also genau, mit wem er das tut?
Ja, auf jeden Fall. Deshalb haben wir in unserem Aufruf „Haltung zeigen!“ ja auch klar formuliert: „Wer diesem Personenkreis den Schutz in der Masse gewährt, macht sich mitschuldig.“ Natürlich muss niemand ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben, um dort mitzulaufen, aber sie bilden mit dezidiert Rechtsextremisten eine kritische Masse, die viele Übergriffe überhaupt erst möglich macht.
Was hat Sie bewogen, den Aufruf zu starten und für Samstag zu einer Kundgebung aufzurufen?
In vielen kleineren Städten in Sachsen haben sich in den vergangenen Wochen bereits Initiativen gegründet, die mit Online-Petitionen, offenen Briefen und vielem mehr darauf aufmerksam machen, dass sie keine Querdenker in ihrer Stadt wollen. In Dresden gab es das bisher nicht. Kurz vor Weihnachten hat mich ein Freund gefragt, ob wir nicht gemeinsam für Dresden etwas auf die Beine stellen wollen, um Flagge zu zeigen. Daraus ist dann erst die Kundgebung am Samstag entstanden und im weiteren Verlauf dann auch ein Twitter-Account und die Petition, die innerhalb weniger Tagen fast 7.500 Menschen unterzeichnet haben.
Was genau ist für Samstag geplant?
Uns war von vorneherein klar, dass es schwierig ist, eine Kundgebung unter Pandemiebedingungen abzuhalten. Wir wollen uns ja an alle bestehenden Regeln halten. Wir rufen deshalb dazu auf, im Laufe des Nachmittags auf den Dresdner Neumarkt zu kommen und eine Kerze anzuzünden. Die Kerzen stehen stellvertretend für die Menschen. Gruppen von mehr als zehn Menschen sollten dabei unbedingt vermieden werden. Mit den Kerzen wollen wir ein Zeichen gegen rechts setzen, aber auch an die inzwischen mehr als 1.400 Corona-Toten in Dresden erinnern. Wer nicht auf den Neumarkt kommen möchte oder kann, kann auch online Gesicht zeigen. Alles mit Anstand und Abstand.
Soll es bei der einmaligen Aktion bleiben?
Nein, das sicher nicht. Dafür ist die Resonanz auf unsere Initiative auch einfach zu groß und zu positiv. Spätestens Anfang kommender Woche werden wir uns deshalb zusammensetzen und überlegen, wie es weitergeht. Wir wollen auch gern mit den Initiativen und Parteien, die unseren Aufruf unterzeichnet haben, überlegen, wie wir etwas Längerfristiges aufbauen können. Wir werden auf jeden Fall weiter Haltung zeigen.
Wenn man an die Zeit nach Corona denkt: Wie lässt sich der entstandenen Riss in der Gesellschaft wieder kitten?
Ich weiß gar nicht, ob das Bild des Risses richtig ist. Die verschwörungsideologische Szene gab es vor Corona und es wird sie auch nach Corona geben. Entscheidend wird weiterhin politische Bildungsarbeit sein. Wir müssen die Menschen informieren und schulen, damit sie gar nicht erst empfänglich für Verschwörungsideologien sind bzw. Menschen in ihrem Umfeld Verschwörungsmythen widersprechen können.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.