Familie von Walter Lübcke fordert lebenslänglich auch für Mitangeklagten
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Es war ein zweischneidiges Kompliment, das Holger Matt dem Senat machte. Einzeln lobte der Anwalt der Familie Lübcke die Richter und die Richterin des Frankfurter Oberlandesgerichts, die seit jetzt sieben Monaten über den rechtsextrem motivierten Mord am Kasseler Regierungspräsidenten verhandeln. Er pries ihre Offenheit, ihre klugen Fragen, sogar, trotz mancher Ruppigkeit des Senatsvorsitzenden Thomas Sagebiel, ihre „kommunikative Verhandlungsführung“. Es sei ein „echter Erfolg des Gerichts“ und ein „historisches Verdienst“, den Hauptangeklagten Stephan E. durch beharrliches Fragen nach und nach zur „Wahrheit“ gebracht zu haben, sagte der Frankfurter Rechtsprofessor.
Doch hinter dem großen Lob versteckte sich die eigentliche, weniger freundliche Botschaft: Es passe nicht zu diesem Aufklärungserfolg, dem 47-jährigen Kasseler Neonazi sein Abrücken von früheren Aussagen zugleich als Zeichen mangelnder Glaubwürdigkeit vorzuwerfen – was der Senat getan hatte, als er den Mitangeklagten Markus H. Anfang Oktober mangels dringenden Tatverdachts aus der Untersuchungshaft entließ. Für den Nebenklagevertreter ist das eine nach wie vor grundfalsche Entscheidung, wie er in seinem vierstündigen Plädoyer am Dienstag ausführlich darlegte. „Ohne den Angeklagten H. hätte es den Mord an Walter Lübcke nicht gegeben“, erklärte Matt. „Seine Unterstützung ist unabweisbar bewiesen, es bleiben hier keine Restzweifel.“
Mittäter statt Helfer?
Markus H. wegen Beihilfe zum Mord zu verurteilen, wie es die Bundesanwaltschaft in ihrem Schlussvortrag vor Weihnachten gefordert hatte, sei das Mindeste, sagte der Anwalt. Anders als die Anklagebehörde – und anders als zumindest bislang auch das Gericht – hält Matt den 44-jährigen überzeugten Rechtsextremen nicht nur für einen Helfer, sondern für einen Mittäter. „Wir haben einen knallharten Beweis: die Angaben des einzigen aussagebereiten Tatzeugen“, sagte der Nebenklagevertreter und meinte damit: Stephan E. „Nach unserer tatsachenbasierten Überzeugung hat uns der Angeklagte E. zur Anwesenheit von H. am Tatort die Wahrheit gesagt.“ Beide Männer sollten deshalb wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt und bei beiden zudem die besondere Schwere der Schuld festgestellt werden, die eine Entlassung nach 15 Jahren so gut wie ausschließen würde.
Mehr als 30 Beweise und Indizien listete der Jurist auf, die nach seiner Bewertung für die Glaubhaftigkeit der Angaben von Stephan E. vor Gericht sprechen sollen. Und er übte sich eifrig im Bauen goldener Brücken, um dem Senat die geforderte Kehrtwende in puncto Markus H. zu erleichtern. Auch er, sagte Matt, habe lange die Alleintäterthese für zutreffend gehalten. Irgendwann aber habe er verstanden, dass das nicht stimmen könne. „Das war ein längerer Prozess.“
„Komplettversagen der Verfassungsschutzbehörden“
Als „symbolische Unterstützung“ für den ermordeten Walter Lübcke sehe die Familie ihre Nebenklage, als Unterstützung seines Einsatzes für demokratische Werte und gegen Rechtsextremismus. „Wir treten für die wehrhafte Zivilgesellschaft auf“, sagte Matt. „Wir meinen, dass der Staat nie wieder naiv oder auf dem rechten Auge blind sein darf.“ Der Anwalt kritisierte das „Komplettversagen der Verfassungsschutzbehörden“ beim Umgang mit Stephan E. und Markus H. und machte die von AfD & Co. betriebene Hetze gegen den flüchtlingsfreundlichen CDU-Politiker mitverantwortlich für die Tat: „Das ist genau der Nährboden für solche Verbrechen.“
Noch schärfere Worte wählte der Anwalt von Ahmed I., des irakischen Geflüchteten, den Stephan E. bereits 2016 aus rassistischen Beweggründen auf offener Straße niedergestochen und schwer verletzt haben soll. Sein Mandant, sagte Alexander Hoffmann, sei von der Polizei nicht wie das Opfer eines lebensgefährlichen Angriffs behandelt worden, sondern als „Geflüchteter, der parieren soll“. Ohne Ankündigung habe man ihn zu Vernehmungen abgeholt, in den Akten werde er mit einem falschen Namen oder nur mit seinem Vornamen genannt. „Anstatt Empathie wurde Herrn I. von den ermittelnden Beamten Misstrauen entgegengebracht.“
Und das habe sich vor Gericht fortgesetzt. Aggressiv und kleinteilig sei Ahmed I. zu Unterschieden in seinen Angaben bei der Polizei befragt worden, obwohl es darauf für das Urteil gar nicht ankomme: Der 27-Jährige hatte nie behauptet, seinen Angreifer erkannt zu haben. „Als der Zeuge nicht so reagierte, wie man das von ihm erwartete, nämlich demütig und unterwürfig, kippte die Stimmung gegen ihn“, sagte Hoffmann und sprach von „institutionellem Rassismus“.
Mangelnder Aufklärungswille des Gerichts?
Wie die Bundesanwaltschaft verlangte er die Verurteilung von Stephan E. auch wegen des Mordversuchs an dem jungen Iraker. Ein konkretes Strafmaß nannte er allerdings nicht. Und er machte deutlich, dass er an eine Verurteilung ohnehin nicht recht glaubt. Schließlich hat das Gericht schon unmissverständlich durchblicken lassen, dass es die Beweislage nicht für ausreichend erachtet. Für den Kieler Anwalt ein Zeichen mangelnden Aufklärungswillens: „Ahmed I. wird vom Gericht allein gelassen.“
Kurz vor Schluss dieses 41. Verhandlungstags ergriff dann sein Mandant auch noch einmal selbst das Wort. „Ich möchte meine Solidarität mit der Familie von Walter Lübcke zum Ausdruck bringen“, sagte Ahmed I. – und zeigte sich, was den Ausgang des Verfahrens angeht, zumindest etwas optimistischer als sein Anwalt: „Ich hoffe, dass die Gerechtigkeit weiterhin siegt.“
Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt. Dann plädieren die beiden Verteidiger von Stephan E.
arbeitet als freier Journalist in Kassel und Hamburg. Einer seiner Schwerpunkte ist dabei die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten.