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Fall Lothar Lingen: Schreddern bleibt ohne Konsequenzen

Er ließ Akten zu V-Leuten im NSU-Umfeld vernichten, um unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen. Sein Verhalten bleibt für den Verfassungsschützer Lothar Lingen folgenlos. Scharfe Kritik kommt aus Thüringen.
von Robert Kiesel · 11. November 2016
Geschredderte Akten
Geschredderte Akten

In den Augen kritischer Beobachter ist es ein „Skandal im Skandal“: Obwohl Lothar Lingen (Deckname, Anm. d. Red.) Akten über mehrere im Umfeld des NSU-Trios platzierte V-Leute des Verfassungsschutzes des „Thüringer Heimatschutzes“ vernichten ließ, wird es kein Verfahren gegen den Verfassungsschützer geben. Eine entsprechende Entscheidung der Staatsanwaltschaft in Köln wurde am Donnerstag durch die Generalstaatsanwaltschaft der Stadt bestätigt. Da die Verjährungsfrist Medienberichten zufolge in der Nacht zum Freitag (11. November) abgelaufen ist, bleibt die im Rahmen der „Aktion Konfetti“ angeordnete Aktenvernichtung ohne Folgen.

Wusste der Verfassungsschutz vom NSU?

Brisant ist der Vorgang vor allem deshalb, weil Lingen in einer Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft bereits 2014 eingeräumt hatte, die Vernichtung der Akten angeordnet zu haben, um kritische Fragen hinsichtlich der Arbeit seiner Behörde zu verhindern. Lingen erklärte damals:

„Die bloße Bezifferung der seinerzeit in Thüringen vom BfV geführten Quellen mit acht, neun oder zehn Fällen hätte zu der … Frage geführt, aus welchem Grunde die Verfassungsschutzbehörden über die terroristischen Aktivitäten der Drei eigentlich nicht informiert worden sind. Die nackten Zahlen sprachen ja dafür, dass wir wussten, was da läuft, was aber nicht der Fall war. Und da habe ich mir gedacht, wenn der quantitative Aspekt also die Anzahl unser Quellen im Bereich des "Thüringer Heimatschutz" und Thüringen nicht bekannt wird, dass dann die Frage, warum das BfV von nichts gewusst hat, vielleicht gar nicht auftaucht."

„Offenbarungseid des Rechststaates“

Bis zum Bekanntwerden dieser Aussage im Zuge der Vernehmung Lingens durch den zweiten NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag hatte es geheißen, die Akten seien vernichtet worden, weil Löschfristen abgelaufen wären. Eine Version, an der Lingen auch während seiner Vernehmung vor dem Ausschuss des Bundestages festhielt.

Kritik an der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, die nun durch die Generalstaatsanwaltschaft bestätigt wurde, übte unter anderem Dorothea Marx (SPD). Im Gespräch mit vorwärts.de erklärte sie: „Ich sehe eine Strafvereitelung im Amt, wenn nicht wenigstens ein Ermittlungsverfahren gegen Lothar Lingen eingeleitet wird.“ Die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft nannte sie einen „Offenbarungseid des Rechtsstaates, eine Bankrotterklärung“. Sollte es bei der Entscheidung bleiben und tatsächlich nicht gegen Lingen ermittelt werden, kündigte sie eine Strafanzeige gegen die Staatsanwaltschaft Köln wegen Strafvereitelung im Amt an. „Diejenigen, die die Aufklärung hintertreiben, dürfen nicht ungeschoren davon kommen“, so Marx weiter.

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Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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