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Euro 2016: Wie Rechte gegen die französische Nationalmannschaft ätzen

Am Sonntagabend kämpft die französische Nationalmannschaft um den Einzug ins Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft. Auf dem Platz werden auch wieder viele dunkelhäutige Spieler stehen. Das ruft längst erledigt geglaubte Ressentiments hervor.
von Christoph Ruf · 3. Juli 2016
Paul Pogba beim EM-Spiel gegen Irland
Paul Pogba beim EM-Spiel gegen Irland

Vier Mal hat Frankreich bislang bei der EM gespielt – vier Mal hatten die Administratoren zahlreicher deutscher Online-Foren jede Menge damit zu tun, offen-rassistische Kommentare zu löschen. Doch auch viele Posts, die noch von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, erlauben den Blick in Abgründe. „Ich dachte erst, hier spielt ein afrikanisches Team mit einigen europäischen Migranten in den eigenen Reihen. Aber es war ja Europameisterschaft, das konnte ja nicht sein“, ätzte ein Forist nach dem Eröffnungsspiel auf „Spiegel Online“. Und ein anderer ergänzte. „Dank meiner französischen Oma aus Paris habe ich mehr französisches Blut in mir als die meisten französischen Nationalspieler.“

Denken wie bei der NPD

Wer eine dunkle Hautfarbe hat, kann nicht für Deutschland oder Frankreich spielen, heißt das. Und es ist ein Denken, das die NPD 2006 auszubeuten versuchte. „Weiß, nicht nur eine Trikotfarbe“, lautete damals der Text zu einem Plakat, auf dem ein DFB-Trikot mit der Rückennummer 25 zu sehen war. Die trug damals der in Hamburg geborene, dunkelhäutige Nationalspieler Patrick Owomoyela.

Nun kann man mit gutem Grund davon ausgehen, dass solche Äußerungen dem Denken einer krassen Minderheit entsprechen. 2006 wie 2016. Und in Deutschland wie in Frankreich. Im Land des EM-Gastgebers allerdings wirken solche Debatten noch gestriger als hierzulande, wo erst die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts unter Rot-Grün 1998 den bis dato geltenden Grundsatz reformierte, dass nur derjenige Deutscher sein kann, dessen Eltern ebenfalls deutsch sind.

„Frankreich zuerst, für immer weiß“

In Frankreich hingegen gilt seit 1889 im Prinzip das „ius soli“: wer auf französischem Boden geboren ist, ist Franzose. Das ist ein Grundsatz, der relativ breit verinnerlicht ist. Und dennoch gibt es auch in Frankreich am rechten Rand Stimmen, die eine „weißere“ oder „weiße“ Nationalmannschaft fordern. In Nizza und Lyon tauchten am Rand der Spiele Aktivisten der rechten Splittergruppe  „Lyon nationaliste“ auf und verklebten Aufkleber, die das Keltenkreuz auf der Trikolore zeigten. Aufdruck: „Frankreich zuerst, für immer weiß“.

Und das Pariser Sportministerium hat Anfang Juni eine landesweite Anti-Rassismus-Kampagne lanciert. Auf einem der Plakate wird der „Abpfiff“ für den Spruch gefordert: „Ernsthaft, in der Fußballnationalmannschaft gibt es keinen einzigen echten Franzosen mehr.“

Was bedeutet es, französisch zu sein?

Dabei ist die Hochphase der Agitation für eine „weiße“ Nationalmannschaft eigentlich längst vorbei. 1996 hatte Jean-Marie Le Pen, der Vater der derzeitigen (moderateren) Parteichefin des Front National, Marine Le Pen, angesichts der Europameisterschaft betont, er finde es „künstlich, Spieler aus dem Ausland kommen zu lassen und sie französische Nationalmannschaft zu nennen“. Gemeint waren Spieler wie Lilian Thuram oder Bernard Lama, die beide auf französischem Staatgebiet geboren sind und außerhalb der extremen Rechten als so französisch galten wie Laurent Blanc oder Didier Deschamps.

Eine interessante Parallele zu Deutschland ist derweil die Debatte über die Nationalhymne. Schon in den Achtzigern hatte Vater Le Pen seine Distanz zum Fußball damit begründet, im Gegensatz zur deutschen Nationalmannschaft singe bei den Franzosen niemand die Hymne mit. Das war eine glatte Lüge, beim Halbfinale der Weltmeisterschaft 1982 sang kein deutscher und kein französischer Spieler die jeweilige Hymne.

Kritik an den Spielern, die nicht die Hymne singen

Heute, wo so gut wie alle Spieler inbrünstig mitsingen, stürzen sich die Nationalisten umso erbitterter auf genau diesen Punkt. Während in Deutschland häufig zu lesen ist, Mesut Özil fehle es offenbar an Identifikation mit Deutschland, da er bei „Einigkeit und Recht und Freiheit“ die Lippen nicht bewegt, schlägt der Sportfreferent von Marine Le Pen, Eric Domard, exakt dieselben Töne an.

Befeuert durch die Affäre um den Stürmer Karim Benzema, der in die Erpressung eines Mannschaftskollegen verwickelt sein soll, sagte er an die Adresse der Einwandererkinder mit oft maghrebinischem Hintergrund. „Sie sollten zumindest den Anstand haben, die Marseillaise mitzusingen.“ Seine Parteichefin ist schon einen Schritt weiter. Marine Le Pen betonte jüngst in einem Interview, dass „die Exzesse auf allen Ebenen, der unendliche Skandal um das ‚FIFA-Gate’ und seine rein kommerzielle Ausrichtung des Fußballs“ dafür sorgten, dass sie sich nicht zu ihm hingezogen fühlt.

In den Stadien zwischen Lille und Marseille scheint es derweil nicht allzu viele französische Fans zu geben, die sie dort vermissen. Die Tore von Dimitri Payet werden genauso laut bejubelt wie die von Antoine Griezmann. Der eine ist in St. Pierre auf Réunion geboren, der andere in Mâcon, nördlich von Lyon. Franzosen sind sie beide.

Autor*in
Christoph Ruf

44, ist freier Journalist und Buchautor aus Karlsruhe, schreibt für Spiegel Online und diverse Zeitungen (SZ, taz, FR, etc.) über Rechtsextremismus und Fankultur. Zuletzt erschien von ihm „Kurvenrebellen – die Ultras. Einblicke in eine widersprüchliche Szene.“ (Werkstatt-Verlag) und „Was ist links? Reportagen aus einem politischen Milieu.“ (Beck`sche Reihe)

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