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Demokratiebahnhof Anklam: Mit Mitbestimmung gegen Nazis

Anklam im Osten Mecklenburg-Vorpommerns gilt vielen als rechte Hochburg. Der „Demokratiebahnhof“ hält dagegen. Mit seinem Mitmachangebot vermittelt das Jugendzentrum jungen Menschen den Wert von Toleranz und Demokratie.
von Johanna Lehn · 16. Oktober 2018
Nazis abwählen: Konzert gegen Rechts im August 2016 vor dem Demokratiebahnhof in Anklam
Nazis abwählen: Konzert gegen Rechts im August 2016 vor dem Demokratiebahnhof in Anklam

Mecklenburg-Vorpommern, Anklam. 13.000 Einwohner, 26 Prozent für die AfD, neun für die NPD bei der Landtagswahl. Das bestimmte lange Zeit das Bild der Stadt. Seit 2014 stört etwas dieses Bild: der Demokratiebahnhof. Und das ist gut so.

Demokratie verbreiten in einer „ziemlich rechten Ecke“

Gemeinsam mit der Studentin Klara Fries ist ­Michael Steiger, Vorsitzender des Pfadfinderbundes Mecklenburg-Vorpommern, Initiator des Demokratiebahnhofs, eines Jugend- und Kulturzentrums im alten Bahnhofsgebäude Anklams. „Wir haben es in Vorpommern mit einer ziemlich rechten Ecke zu tun“, sagt er. Anklam sei der Hotspot. „Trotzdem gibt es viele coole Leute hier. Mit denen wollen wir etwas machen.“
Dieses „etwas“ ist extrem vielseitig: Jeden Tag können Kinder und Jugendliche im Jugendzentrum Freunde treffen, das Bahnhofsgebäude mitgestalten, kochen, ihr Fahrrad reparieren, gärtnern. Bei all dem lernen sie etwas über Gemeinschaft, Toleranz, Demokratie. Kommt jemand mit Kleidung von Thor Steinar, einer Marke, die von Rechten getragen wird, wird er nicht weggeschickt. „Wir versuchen schon, den Leuten klar zu machen, dass wir das nicht toll finden, aber  wenn man das nicht aushält, muss man es lassen“, sagt Steiger.

Dabei steht immer im Vordergrund: Jeder darf und soll mitbestimmen. Ein Plenum aus allen Ehrenamtlichen, Angestellten und den Kindern und Jugendlichen entscheidet über weitere Aktionen. Aber auch bei der Einstellung eines neuen Mitarbeiters haben die Kinder ­eine Stimme. Das seien sie nicht gewohnt – mitzureden, nach ihrer Meinung gefragt zu werden. „Es klingt banal, dass es Orte geben muss, an denen Diskussionen möglich sind. Aber so ist es nun mal.“

Der Einsatz produziert Widerstand

Dieser Einsatz produziert Widerstand. 2016 wurde Steigers Auto angezündet, 2017 folgte ein Brand- und Farbanschlag auf den Demokratiebahnhof. Im Jugendzentrum wird darüber offen gesprochen. „Das kann man nicht nicht thematisieren. Die Jugendlichen gehen teilweise mit den Tätern in eine Klasse“, sagt der Vorsitzende. Sie hätten überlegt, aufzuhören. „Aber das ist das, was die Rechten wollen.“
Ob sie mit ihrem Engagement das Bewusstsein der Kinder und Jugendlichen ändern, kann Steiger nicht sagen. Das Bild der Stadt jedenfalls hat sich während der vergangenen vier Jahre positiv gewandelt. Im September bekamen sie den Deutschen Nachbarschaftspreis. Und: „Thor-Steinar-Klamotten tragen die Jugendlichen irgendwann nicht mehr.“

Autor*in
Johanna Lehn

studiert Politikwissenschaft und Soziologie und schreibt für den „vorwärts“.

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