Das Buch, das dem Freistaat Sachsen den Spiegel vorhält
Ein biblischer Vers, ausgerechnet: „Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.“ Was schon die Autoren der Heiligen Schrift wussten, müssen die Christdemokraten in Sachsen derzeit am eigenen Leib erfahren. Gegen den Sammelband „Unter Sachsen“ hatten einige ihrer Vertreter zuletzt so scharf geschossen, dass die Kugeln sie nun selbst treffen. Im Christoph Links Verlag dagegen dürfte die Stimmung prächtig sein. Schließlich bedeutet die bundesweit für Schlagzeilen sorgende Posse eine Werbekampagne zum Nulltarif.
Kritik trifft Sachsen-CDU auf den Nerv
Angefangen hatte alles mit einer anderen Erkenntnis, die so neu gar nicht ist. Neben weiteren Autoren des Sammelbandes hatte insbesondere Tagesspiegel-Redakteur und „Unter Sachsen“-Herausgeber Matthias Meisner analysiert, dass die CDU im Freistaat am schlechten, weil braunen Image des Freistaats mindestens eine Mitschuld trägt. Die Regierungsführung im Stile eines Monopolisten, die tradierte Mär von der Immunität der Sachsen gegenüber dem Rechtsextremismus und das Ersticken jeder Kritik von Außen im Keim des Nestbeschmutzers trage dazu bei, dass sich Rechtsextreme in Sachsen besonders gut etablieren und ihr Gedankengut verbreiten konnten, so Meisner in „Unter Sachsen“. Einzelne CDU-Politiker vor Ort traf er, der Kritiker mit West-Migrationshintergrund, damit scheinbar exakt auf den Nerv.
Erste Anzeichen dafür gab es unmittelbar nach der Premiere des Buches im März. Eine ursprünglich in der sächsischen Landesvertretung vorgesehene Lesung musste umgeplant werden, statt auf sächsischem Terrain fand die Lesung in der Landesvertretung Thüringens statt. Auf dem Podium nahmen der sächsische Vize-Regierungschef Martin Dulig (SPD) und Linken-Chefin Katja Kipping Platz. Die kurzfristige Zusage des CDU-Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz konnte die vollständige Blamage für die Christdemokraten zwar gerade noch verhindern, ein fader Beigeschmack aber blieb.
CDU-Stadtrat bezeichnet „Unter Sachsen“ als „Dreck“
Auf brutale Weise bestätigt wurde der Befund Meisners durch den Meißner CDU-Stadtrat Jörg Schlechte. Die Ankündigung, „Unter Sachsen“ zur Eröffnung des Meißner Literaturfestes im Historischen Ratsaal der Stadt lesen und diskutieren zu lassen, quittierte Schlechte auf Facebook mit dem Satz „Dieser Dreck wird mit Sicherheit nicht in unserem Rathaus gelesen!“. Binnen weniger Tage entwickelte sich ein handfester Streit über das Demokratieverständnis der sächsischen CDU auch innerhalb der Partei, der Meisners Befund kaum offensichtlicher hätte bestätigen können.
Schließlich endete der unter anderem über soziale Netzwerke geführte Schlagabtausch mit der vollkommenen Demaskierung Schlechtes auf der einen und einem wenig befriedigendem Kompromiss auf der anderen Seite. Zwar wird die Lesung von „Unter Sachsen“ stattfinden, Fragen zum Buch oder eine Diskussion der Thesen sind jedoch nicht gestattet. Darauf hatten sich die Organisatoren des Literaturfestes nach Gesprächen mit dem parteilosen Bürgermeister von Meißen, Olaf Raschke, eingelassen. Zuvor solidarisierten sich Vertreter der sächsischen AfD mit dem Vorstoß Jörg Schlechtes, woraufhin sich dieser im Internet gemeinsam mit der selbst für Pegida zu radikal gewordenen Aktivistin Tatjana Festerling zeigte. Inzwischen hatte sich der Stadtverband der CDU in Meißen vonn ihrem eigenen Stadtrat distanziert.
„Sächsische Verhältnisse“ bleiben im Fokus
Ob sich die Gäste der Lesung am Ende tatsächlich an das Disskussionsverbot halten, wird der heutige Abend zeigen. Die Veranstaltung findet am Donnerstagabend (8. Juni) um 19 Uhr im Ratssaal von Meißen statt. Fest steht schon jetzt: Die sogenannten „sächsischen Verhältnisse“ werden auch am Tag darauf nicht beseitigt sein. Die Diskussion darüber wurde jedoch selten so prominent geführt wie aktuell, dank „Unter Sachsen“ und Teilen der sächsischen CDU.