Anti-Corona-Proteste: Warum Antisemitismus eine zentrale Rolle spielt
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Als sich in den vergangenen Tagen Rednerinnen bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen mit Sophie Scholl oder Anne Frank verglichen, erschütterte das Politiker*innen und breite Teile der Gesellschaft in ganz Deutschland. Die Radikalisierung der Proteste und gleichzeitig der Zulauf aus allen politischen und gesellschaftlichen Richtungen besorgt viele Menschen. Auch für Anetta Kahane haben die Proteste mit der Eskalation der vergangenen Wochen eine neue Stufe erreicht. Allerdings sieht die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung hinter den kruden Irrglauben und Verschwörungserzählungen, die die Coronakrise als Erfindung geheimer Mächte sehen, eine ganz alte Erzählung im Hintergrund: Antisemitismus, der Hass auf Juden.
„Verschwörungserzählungen sind immer genuin antisemitisch“, erklärt Kahane, „sie haben immer ein antisemitisches Betriebssystem.“ Das sei die Idee, dass hinter allem Bösen in der Welt, hinter all dem schlechten am Ende eine Person oder Gruppe stecke. „Am Ende ist das der Jude, der an allem schuld ist.“ Diese Verschwörungserzählungen hätten inmitten der Coronakrise eine unglaubliche Konjunktur erlebt. „Das Netz von Antisemitismen ist immer enger geworden“, so Kahane weiter, „und wir erwarten, dass sich der direkte, der offene Antisemitismus, wie wir ihn von früher kennen, bald offen ausdrücken wird.“ Da braue sich etwas zusammen, „was wir so bisher nicht gekannt haben“.
Kühnert: Antisemitismus als „gemeinsamer Nenner“
Bei der Radikalisierung der Proteste spielten zwar auch Parteien wie die AfD eine Rolle, allerdings macht Kahane immer wieder deutlich: Antisemitisimus ist kein allein rechtsextremes Problem. „Antisemitismus gibt es in allen Schichten der Gesellschaft. Das ist die Wirklichkeit.“ Deswegen sei er anschlussfähig und bringe in der gegenwärtigen Situation Reichsbürger*innen und Esotheriker*innen als auch bürgerliche Milieus zusammen. Die Gefahr sieht sie dabei nicht in Protesten gegen reale Probleme, „sondern in der Idee, dass da eine Verschwörung hintersteht.“ Dass sich Menschen gemeinsam mit Nazis auf die Straße stellen, hält sie für bedenklich.
Unterstützt wird sie in der Argumentation von SPD-Parteivize und Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert. Er bezeichnet in der Bundespressekonferenz den Antisemitismus als „kleinsten gemeinsamen Nenner“, der diese Querfront verbinde, unabhängig davon, ob dies allen bewusst sei, die bei den Protesten mitliefen. Mit Blick auf die bevorstehende Weihnachtszeit stellt Kühnert außerdem eine konkrete Sorge in den Mittelpunkt: Wie mit den Personen umgehen, die solchen Erzählungen Glauben schenken? „Es gibt Menschen, die Angst davor haben, auf Verwandte zu treffen, die in den vergangenen Wochen ein paar merkwürdige Abbiegungen genommen haben“, umschreibt Kühnert Sorgen, die auch ihn in Form von Fragen von Bürger*innen erreichen. Die Frage sei, wie man diese Menschen unterstützen könne.
Demokratiefördergesetz zur besseren Prävention
Deswegen plädiert Kühnert dafür, ebenso wie Kahane und der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sich schon im Vorfeld mit diesem Antisemitismus auseinanderzusetzen, am besten schon bevor sich dieser Hass offen äußert. Kahane fordert dafür finanzielle, langfristige Unterstützung entsprechender Programme und einen eigenen Haushalt für Klein, Kühnert zielt auf das von der SPD angeschobene Demokratiefördergesetz, um gegen jede Form des Extremismus und Antisemitismus schon früh vorgehen zu können. „Es geht hier nicht um parteipolitische Konflikte“, appelliert er eindringlich. Das Gesetz soll Vereinen und Stiftungen, die gegen solche Entwicklungen arbeiten, sowohl finanziell unterstützen als auch auf eine rechtssichere Grundlage stellen. „Wir sollten das aus dem Bundestagswahlkampf raushalten und vorher zu einer Einigung kommen“, so Kühnert. Es gehe darum, Rüstzeug für Betroffene zu entwickeln, um diesen Argumentationen standzuhalten.
Das beinhalte das Versprechen „nie wieder“: Es gehe nicht nur um die industrielle Massenvernichtung des Judentums, erklärt Kühnert mit Verweis auf den Holocaust. „Wir müssen die Wurzeln rausreißen, die zu solchen Entwicklungen führen.“ Klein nimmt auch die Gesellschaft in die Pflicht: „Die demokratische Mehrheit muss lauter werden.“ Man müsse eine Radikalisierung verhindern, wo immer solche Tendenzen wahrgenommen werden und nicht erst wenn sich jemand offen rechtsextrem äußere. „Worte werden schnell zu Taten“, das hätten die Angriffe in Hanau oder Dresden gezeigt.
Ob man mit „Jana aus Kassel“, die sich am Wochenende in Hannover bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen mit der Widerstandskämpferin Sophie Scholl verglichen hatte, noch reden könne, ließ Kahane indes offen. Selbstverständlich solle man versuchen mit solchen Personen zu sprechen, so Kahane auf eine Frage, sie bezweifelte aber, ob die Grundvoraussetzungen für ein Gespräch gegeben seien „oder ob man niedergebrüllt wird.“ Den Vergleich an sich bezeichnete sie als perfide, der nicht mehr akzeptabel sei.