Zwischenbericht: So soll künftig der Bundestag gewählt werden
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736 Abgeordnete hat der Bundestag zurzeit. Eigentlich sollten es nur 598 sein – 299 direkt gewählte und 299 über die Landeslisten der Parteien. „Der wachsende Bundestag führt zu immer größeren Ausschüssen und erschwert bis hin zu Plenardebatten den Austausch“, nennt der SPD-Abgeordnete Sebastian Hartmann zwei Probleme. Sichtbar wird der Zuwachs durch immer weitere Anbauten für Abgeordnetenbüros. Verantwortlich sind vor allem sogenannte Überhangmandate, die dann entstehen, wenn eine Partei bei der Direktwahl der Abgeordneten in den Wahlkreisen deutlich erfolgreicher ist als bei der Wahl per Zweistimme.
Überhangmandate soll es nicht mehr geben
Anfang des Jahres hat der Bundestag deshalb eine Kommission mit Vertreter*innen aller Fraktionen eingesetzt, die einen Vorschlag für eine Reform des Wahlrechts erarbeiten soll. Am Dienstagabend hat sie ihren Zwischenbericht beschlossen. Danach soll das Wahlsystem so reformiert werden, dass die Regelgröße des Bundestags von 598 Sitzen künftig verpflichtend eingehalten wird. Um Überhangmandate zu vermeiden, sollen demnach künftig in einem Bundesland einer Partei nur so viele Wahlkreismandate zugeteilt werden, wie ihr über die Landesliste zustehen. Der Kommissionsvorschlag spricht von einer „Zweistimmendeckung“.
Damit bei diesem Verfahren kein Wahlkreis ohne Abgeordnete*n bleibt, schlägt die Kommission die Zuteilung des Wahlkreismandats über eine Ersatzstimme zur Erststimme vor: Die Wähler*innen legen mit dieser noch am Wahltag fest, wer Ersatzbewerber*in werden darf, falls ein Direktmandat mangels Sitzkontigent nicht zugeteilt werden kann. Auch die Kandidatur parteiloser Bewerber*innen im Wahlkreis soll so weiterhin problemlos möglich sein.
Parteitaktische Kritik von CDU und CSU
Innerhalb der Kommission sorgte das Verfahren für Streit. Vor allem die Vertreter*innen von CDU und CSU kritisierten, dass Kandidat*innen künftig nicht im Bundestag vertreten sein könnten, auch wenn sie die meisten Direkt-Stimmen im Wahlkreis erhalten hätten. Dies sei nicht zuletzt verfassungsrechtlich problematisch.
Sebastian Hartmann, Berichterstatter der SPD-Fraktion in der Wahlrechtskommission, lässt die Einwände jedoch nicht gelten. „Mit unserem Modell erhalten wir die vorhandenen Wahlkreise und stellen gleichzeitig sicher, dass es keine verwaisten Wahlkreise gibt – und dies bei einer festen Zahl von Bundestagsabgeordneten“, erklärt er. Auch einer möglichen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht sieht er gelassen entgegen. „Wir haben den Reformvorschlag mit einer Vielzahl von Expertinnen und Experten erörtert. Wir sind deshalb sehr sicher, dass wir mit guten Argumenten in eine mögliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht gehen könnten“, sagte er bereits im Juli im Interview mit dem „vorwärts“.
Die Kritik der Union sieht er eher parteitaktisch motiviert: „CDU und CSU sind die großen Profiteure des derzeitigen Wahlrechts“, so Hartmann. Auch den Unionsvorschlag, ein „Grabenwahlrecht“ einzuführen lehnt Hartmann entschieden ab. „Das würde einseitig vor allem die CSU begünstigen, und zwar insgesamt völlig inakzeptabel.“
Das Wahlalter soll auf 16 Jahre sinken
Nach dem mehrheitlichen Beschluss der Kommission soll nun zügig das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet werden. Während auch bei der Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre bei Bundestags- und Europawahlen gegen die Stimmen von CDU/CSU und AfD eine Mehrheit erzielt werden konnte, will sich die Wahlrechtskommission in den kommenden Wochen noch mit der Frage beschäftigen, wie Frauen und Männer künftig paritätisch im Bundestag vertreten sind. Bis zum Jahresende will sie auch hier einen Vorschlag machen. „Wir wollen das Gesetzgebungsverfahren zu diesem Modell noch in diesem Jahr abschließen“, kündigte Sebastian Hartmann an.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.