Inland

Zukunftsprogramm: Wie die SPD für bessere Arbeitsbedingungen sorgen will

Wenig Wertschätzung und schlechte Bezahlung sind in vielen Berufen noch immer an der Tagesordnung. Mit ihrem „Zukunftsprogramm“ will die SPD das ändern – mit einem höheren Mindestlohn und einem bundeweiten Tariftreuegesetz.
von Kai Doering · 4. April 2021
Schlechte Bezahlung, fehlende Verträge: Lieferdienste boomen nicht erst in der Corona-Krise. Die Arbeitsbedingungen der Fahrer*innen grenzen allerdings oft an Ausbeuterei.
Schlechte Bezahlung, fehlende Verträge: Lieferdienste boomen nicht erst in der Corona-Krise. Die Arbeitsbedingungen der Fahrer*innen grenzen allerdings oft an Ausbeuterei.

Als die Mindestlohnkommission im vergangenen Juni ihre Vorschläge vorlegte, war Olaf Könemann tief enttäuscht. „Ich hatte ja gehofft und eigentlich auch erwartet, dass sie ihr Verfahren ändert“, sagt Könemann, der für DHL in Hamburg Pakete ausliefert. Seit Einführung des Mindestlohns zum 1. Januar 2015 entscheidet die unabhängige Kommission, die aus Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern besteht, „welche Mindestlohnhöhe einen angemessenen Mindestschutz für die Beschäftigten bietet, faire Wettbewerbsbedingungen ermöglicht und die Beschäftigung nicht gefährdet“, wie es in der Aufgaben­beschreibung heißt. Im Juni entschied sie, dass der Mindestlohn in vier Schritten bis Juli 2022 auf 10,45 Euro erhöht wird. Seit 1. Januar beträgt er 9,50 Euro.

Aus Sicht von Olaf Könemann ist das viel zu wenig. Bereits 2019 hatte er eine Petition gestartet, deren Ziel es war, dass der gesetzliche Mindestlohn zum 1. Januar 2021 auf 12 Euro steigt. 95.000 Unterschriften übergab Könemann auf dem Bundesparteitag den frisch gewählten SPD-Vorsitzenden Saskia ­Esken und Norbert Walter-Borjans. Doch deren Einfluss ist in dieser Frage sehr begrenzt. Die Mindestlohnkommission arbeitet von der Politik unabhängig. „Ich denke, wenn wir uns auf einen Mindestlohn von mindestens 12 Euro ab 2022 verständigen würden, wäre eine Menge gewonnen“, sagt Könemann deshalb jetzt.

Lücke zwischen Wert und Lohn

Dass sich eben diese Forderung im „Zukunftsprogramm“ der SPD für die Bundestagswahl findet und Kanzlerkandidat Olaf Scholz und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im März in einem Eckpunktepapier das Ziel formulierten, der Mindestlohn müsse 2022 „auf ­mindestens 12 Euro ansteigen“, ­findet ­Könemann daher „revolutionär“. Den Vorstoß sieht der Paketbote auch als „ein Ergebnis der Enttäuschung vieler von den Vorschlägen der Mindestlohnkommission“.

Nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums arbeitet jeder vierte Beschäftigte in Deutschland derzeit für weniger als 12 Euro in der Stunde. Im Jahr 2018 wurden rund acht Millionen Jobs unterhalb der Niedriglohnschwelle von 11,05 Euro brutto je Stunde entlohnt. So hat es das Statistische Bundesamt ermittelt. Aktuell gibt es demnach 1.421.000 Jobs die nach Mindestlohn bezahlt werden, 807.000 davon üben Frauen aus. Im vergangenen Jahr ist das besonders deutlich geworden. „Corona hat ein Schlaglicht darauf geworfen, wie groß bei manchen Berufsgruppen die Lücke zwischen Wert und Lohn ist“, heißt es daher im Entwurf für das SPD-Zukunftsprogramm.

Mehr Mitbestimmung

Besonders stark macht sich das in sozialen Dienstleistungsberufen wie der Kranken- und Altenpflege bemerkbar. Dass im März die Verhandlungen über einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag in diesem Bereich an der katholischen Caritas scheiterten, sorgte daher bei vielen für Unverständnis und Entsetzen. Die SPD hat darauf reagiert. Zwar hält sie im Entwurf für das „Zukunftsprogramm“ am Ziel fest: „Wir wollen die Lohn- und Arbeitsbedingungen in der Altenpflege schnell verbessern.“ Doch will sie das nun nicht wie noch im ersten Entwurf über die Pflegemindestlohnkommission erreichen, sondern, indem gemeinsam mit kirchlichen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein Weg gefunden wird, um das kirchliche Arbeitsrecht an das allgemeine Arbeits- und Tarifrecht anzupassen.

Zudem setzt die SPD auf einen weiteren Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung. Diese soll künftig auch „auf Unternehmen in ausländischer Rechtsform“ erweitert werden und ab einer geringeren Anzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gelten. „Der Erfolg der Unternehmen wird von ihren Beschäftigten erarbeitet“, begründet die SPD das. Bei Themen wie Datenschutz, dem Einsatz neuer Technologien wie Künstlicher Intelligenz, Arbeitszeit und Beschäftigungssicherung sollen Betriebsräte künftig mehr Einfluss bekommen. „Wir werden den Kündigungsschutz für Betriebsrätinnen und Betriebsräte ausweiten und eine Behinderung von Betriebsratsarbeit stärker verfolgen“, verspricht die SPD.

„Wir schaffen Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt.“

Dass es die Sozialdemokraten mit dem Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ernst meinen, war im vergangenen Herbst zu beobachten. Nach Corona-Ausbrüchen in mehreren Schlachtbetrieben waren die zum Teil unmenschlichen Arbeits- und Unterbringungsbedingungen in der Branche in den Fokus gerückt. ­Bundesarbeitsminister Hubertus Heil versprach „aufzuräumen“. Gegen den Widerstand von CDU und CSU brachte er das Arbeitsschutz­kontrollgesetz auf den Weg, das am 1. Januar dieses Jahres in Kraft trat. In der Fleischindustrie sind seitdem Werkverträge und seit 1. April auch Zeitarbeit verboten. Zudem wird nun vorgeschrieben, wie die Gemeinschaftsunterkünfte zur Unterbringung von ­Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ausgestattet sein müssen. Die Kontrollen wurden verschärft, Bußgelder erhöht. „Wir schaffen Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Hubertus Heil dazu.

Denselben Anspruch verfolgt die SPD auch bei Löhnen und Arbeitsbedingungen in anderen Branchen. Seit Jahren ist die Tarifbindung in Deutschland rückläufig. Galt 1998 noch für 76 Prozent der Beschäftigten in West-Deutschland ein Tarifvertrag, waren es 2019 gerade noch 53 Prozent – 23 Prozentpunkten weniger innerhalb von 20 Jahren. In Ostdeutschland betrug der Rückgang im selben Zeitraum 18 Punkte. Die Tarifbindung lag 2019 allerdings bei nur noch 45 Prozent, wie das Statistische Bundesamt ­ermittelt hat.

Tariftreue per Gesetz

Die Lösung könnte ein bundesweites Tariftreuegesetz sein, das dafür sorgt, dass öffentliche Aufträge des Bundes, der Länder sowie der Kommunen für Bau- und Dienstleistungen nur noch an Auftragnehmer vergeben werden dürfen, die ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Tarif bezahlen. Wo kein Tarifvertrag besteht, soll für öffentliche Aufträge ein bundesweit geltender Vergabemindestlohn in Höhe von 60 Prozent des Medianlohns eingeführt werden. So haben es Olaf Scholz und ­Hubertus Heil vorgeschlagen.

In 14 der 16 Bundesländer gibt es ein solches Gesetz bereits, allerdings mit zum Teil sehr unterschiedlichen Bedingungen. In Hamburg hat der SPD-geführte Senat vor gut einem Jahr entschieden, öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen zu vergeben, die ihren Mitarbeitern mindestens zwölf Euro in der Stunde bezahlen. „Das war ein sehr wichtiges Signal, auch mit Blick auf die Tariftreue von Unternehmen“, sagt Olaf Könemann, der Paketbote, der die ­Petition für 12 Euro Mindestlohn ­gestartet hat.

Kein Wunder also, dass auch der DGB den Vorstoß für ein bundesweites Gesetz unterstützt. „Öffentliche ­Aufträge von Bund und Ländern sollten ausschließlich an Unternehmen gehen, die Tarifverträge anwenden“, sagt der Vorsitzende Reiner Hoffmann. „Ein Staat, der Aufträge an nicht tariftreue ­Betriebe vergibt, macht sich zum ­Komplizen beim Lohndumping.“

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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