Wuhan vor Corona: Ein Dokumentarfilm gegen Rassismus
Vor acht Jahren kam Kai Zwettler zum ersten Mal nach Wuhan. Damals wollte er nach dem Abitur in der chinesischen Provinz Hubei eine neue Kultur, eine neue Lebensart kennenlernen. Über das Programm „Kulturweit“ kam er an eine Schule in Wuhan, an der er Englisch und Deutsch unterrichtete. Schon während seiner Schulzeit hatte er Chinesisch gelernt. Dennoch war das Leben in Fernost eine Umstellung für ihn. „Ich kam aus einem kleinen Ort mit 5.000 Einwohnern in eine Stadt mit zwölf Millionen Einwohnern. Ich war ein kleines Landei in einer riesigen Stadt, aber ich wurde sehr herzlich aufgenommen“, erzählt Zwettler.
„I'm not a virus“
Zwei Lehrer nahmen sich dem Abiturienten an, zeigten ihm die Stadt. Dadurch lernte er Wuhan nach kurzer Zeit schätzen und hat bis heute Freunde vor Ort. Eigentlich wollte er Anfang dieses Jahres zum chinesischen Frühjahrsfest wieder nach Wuhan reisen, um seine beste Freundin zu besuchen, die gerade hochschwanger war. Doch dann kam Corona, die Provinz Hubei wurde über Monate abgeriegelt und Zwettler musste in Deutschland bleiben. Er konnte seine Freundin nur aus der Ferne unterstützen, die im Chaos ihr Baby bekam.
Zugleich bekam er mit, wie während der Krise der antiasiatische Rassismus zunahm. Mit der Kampagne „I'm not a virus“ begegneten asiatischstämmige Menschen den zunehmenden Anfeindungen. Und auch Zwettler, als Deutscher, wollte seinen Beitrag leisten. Er veröffentlicht einen Dokumentarfilm, um „ein Zeichen gegen den auch in Deutschland gerade rapide zunehmenden anti-asiatischen Rassismus zu setzen“, wie der Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung betont.
Im Zug mit einem Rassisten
Zwettler studiert im Master Medien, Kunst und Gestaltung an der Bauhaus-Universität in Weimar. Den nun veröffentlichten Film hat er bereits vor längerer Zeit angefertigt, aber vorher noch nie einem größeren Publikum zugänglich gemacht. „Jetzt war ein guter Zeitpunkt, um ein Zeichen zu setzen“, fand er. Im Kurzfilm „Dear Traveler“ geht es um eine Begegnung, die Zwettler einst während einer Fahrt im Nachtzug durch China mit einem ignoranten amerikanischen Touristen machte. Dieser äußerte sich abfällig über China, die Kultur, die Lebensweise, das Essen. „Ich war super überrascht, dass dieser Mensch so einen Hass hatte und habe mich ziemlich schnell aus dem Gespräch ausgeklinkt. Es hatte aber lange Nachwirkungen bei mir“, erzählt der Student.
Im Kurzfilm antwortet er dem unbekannten Amerikaner, der stellvertretend für westliche Ignoranz stehen soll, mit einem „filmischen Brief“ auf seine rassistischen Äußerungen über die vermeintlichen Eigenschaften der chinesischen Bevölkerung. In authentischen Bildern zeigt Zwettler außerdem den normalen Alltag in Wuhan – ganz ohne Coronavirus – „und dass die Menschen dort vielleicht gar nicht so anders sind als er oder ich“, sagt er. Für seinen Film habe er von seinen chinesischen Freunden bislang viele dankende Worte bekommen. Ihm gehe es jedoch auch darum, hierzulande das Bewusstsein der Menschen zu schärfen. „Ich habe online viele rassistische Memes über Asiaten im Zusammenhang mit der Corona-Krise gesehen. Das hat mich besonders geärgert.“
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo