Warum Wohnen arm macht und was die SPD dagegen unternehmen will
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Je weniger Geld ein Haushalt zur Verfügung hat, desto höher ist der Anteil der Miete – das ist eine zentrale Erkenntnis einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Damit sind hohe Mieten eine zusätzliche Gefahr für Menschen, die in prekären Verhältnissen leben und arbeiten. Geringverdiener*innen müssen in Großstädten einen größeren Teil ihrer Einnahmen für die Miete aufwenden, selbst wenn die Wohnung bereits klein und die Ausstattung einfach ist.
Steigende Wohnkosten sind damit ein entscheidender Faktor für arm oder reich. Wer mehr Geld für die Wohnung ausgeben muss, kann weniger in Lebensmittel und andere Produkte investieren, von Mobilität, Urlaub und Freizeitaktivitäten ganz zu schweigen. 12,9 Prozent aller Miethaushalte in Großstädten sind demzufolge in einer prekären Situation, haben die Forscher*innen der Berliner Humboldt-Universität im Auftrag der Stiftung errechnet. Das sind rund 2,1 Millionen Menschen, denen nach Abzug von Miete und Nebenkosten weniger als das Existenzminimum zum Leben bleibt – also nicht mehr als der HartzIV-Regelsatz. Besonders betroffen sind der Studie zufolge Alleinerziehende.
Sören Bartol: „Wohnen muss Chefsachse sein“
Angesprochen auf diese Erkenntnis fordert Sören Bartol, SPD-Bundestagsfraktionsvize: „Wohnen muss Chefsache sein.“ Olaf Scholz habe als Erster Bürgermeister in Hamburg das Thema selbst in die Hand genommen und eine sehr erfolgreiche Wohnungspolitik umgesetzt. Das zeigt für Bartol: „Das ist eine Frage der politischen Schwerpunktsetzung für die SPD, und es ist auch fachlich nötig, weil Wohnungspolitik thematisch komplex ist und mit politischem Gewicht koordiniert werden muss.“
Die Studie zeigt auch eine weitere große Ungleichheit: Haushalte, die wesentlich mehr Geld zur Verfügung haben, haben nach Abzug von Miete und Nebenkosten anteilig mehr übrig. Bei prekären Haushalten ist es andersrum: Je niedriger das Nettoeinkommen, desto höher der Anteil für Mieten und Wohnen. „Wohnen kann arm machen“, so das Fazit der Forscher*innen. „Die ohnehin schon bestehende Einkommenspolarisierung wird durch die Mietzahlung verstärkt.“ Basis der Untersuchung sind Daten des Mikrozensus 2018, untersucht wurden rund 8,4 Millionen Mieter*innenhaushalte in den Großstädten.
Die Forscher*innen leiten daraus Empfehlungen ab: Es werden dringend mehr günstige Wohnungen in den Großstädten benötigt. Dafür setzen sie eine Warmmiete von maximal neun Euro pro Quadratmeter an. 1,4 Millionen Haushalte in den Großstädten bräuchten eine solch günstige Wohnung. Bliebe es bei den aktuellen Fördermitteln, würde dieser dringend benötigte, günstige Wohnraum wohl erst nach etwa 60 Jahre zur Verfügung stehen, so die Schätzung.
Neun Euro Warmmiete: ambitioniert, aber richtig
Die neun Euro Warmmiete hält Bartol für ein ambitioniertes, aber wichtiges Ziel: „Weil wir vom Mieter denken müssen, der sich mit einem mittleren oder kleinen Einkommen eine Wohnung leisten können muss. Und da sind für eine Familie mit zwei Kindern oder eine alleinerziehende Mutter Quadratmeter-Mieten oberhalb neun Euro häufig nicht zu stemmen.“
Um das zu erreichen, hat er konkrete Vorstellungen: Zunächst solle der Staat wieder die Hoheit über den Boden bekommen, erklärt er im Gespräch mit dem „vorwärts“: „Die größte Kostenposition ist meist das Grundstück. Wir brauchen eine aktive Bodenpolitik, die Bauland der Spekulation entzieht.“ Stärken möchte er dafür Vorkaufsrechte sowie kommunale Bodenfonds. Bürokratie würde er ebenso gerne abbauen: „Über 20.000 Vorschriften zu Standards sind ein Riesenkostenproblem. Da kann bei vielen Bauwerken Standardisierung helfen, ohne dass wir Einbußen zum Beispiel beim Klimaschutz hinnehmen müssen“, ist Sören Bartol überzeugt.
Und wo günstiges Bauen unmöglich ist, solle der Staat auch etwaige Kostennachteile ausgleichen und bezahlbares Wohnen ermöglichen, indem ein Differenzpreis erstattet wird. „Das heißt nicht, dass wir privaten Vermietern Gewinne bezahlen, aber dass wir im Sinne der sozialen Verantwortung des Staates in einem fairen Maßstab einen Kostenausgleich übernehmen“, erklärt der hessische Sozialdemokrat die Idee.
Bezahlbarer Wohnraum – auch für normale Einkommen
Um dauerhaft den Wohnungsmarkt zu entspannen, will die SPD aber nicht nur mehr über die öffentliche Hand bauen. Im Zukunftsprogramm fordern die Sozialdemokrat*innen auch eine neue Form des gemeinwohlorientierten Wohnungsbaus, die mehr bezahlbaren Wohnraum ermöglicht.
Es geht Sören Bartol insgesamt auch nicht nur um den sozialen Wohnungsbau. „Uns als SPD geht es um die Leute, die in Städten mit kleinen und mittleren Einkommen zunehmend verdrängt werden“, sagt der Bundestagsfraktionsvize. „Man muss sich mit einem normalen Einkommen in der Stadt, in der man arbeitet auch eine Wohnung leisten können.“ Die Maßnahmen sollen ausdrücklich auch das bezahlbare Segment neben dem klassischen sozialen Wohnungsbau stärken. „Bezahlbar heisst, dass der Krankenpfleger, die Polizistin oder Verkäuferinnen und Verkäufer nicht noch die längsten Arbeitswege haben, weil sie sich zentrumsnah keine Wohnung mehr leisten können“, sagt Bartol.
Gehen über 40 Prozent des Einkommens an Vermieter*innen, dann findet Bartol das „unanständig“. Deswegen habe die SPD in der Vergangenheit bereits das Wohngeld erhöht um Härten abzufedern, erklärt Bartol. Und nach der Wahl will die SPD eine „Atempause“ umsetzen, ein Mietmoratorium, damit für einen befristeten Zeitraum die Mieten nicht über die Inflationsrate hinaus erhöht werden können.