Wie die Wirtschaftspolitik auf die steigenden Preise reagieren sollte
imago images/blickwinkel
Unsere Wirtschaft gerät zunehmend in unruhiges Fahrwasser. Die Produktion kommt nach ersten Erholungstendenzen nach den Corona-Lockdowns wegen des fortwährenden Lieferkettenstresses nur noch zögerlich vom Fleck. Gleichzeitig steigen die Preise in vielen Bereichen aufgrund knapper Energieressourcen und auch deren umweltpolitisch erwünschter Verteuerung rasant an. All dies geschieht in globalem Maßstab. Die Kaufkraft der Konsument*innen im In- und Ausland droht zu schwinden, die Dynamik der globalen Wirtschaft gerät in Gefahr.
Selbst wenn ein Teil dieses Preisschubs nur von kurzer Dauer sein dürfte: Ein nennenswerter Anteil könnte bestehen bleiben. Schließlich laufen alle größeren Volkswirtschaften derzeit in die gleiche Richtung. Stehen wir also unmittelbar vor einer Stagflation, einer lahmenden Wirtschaft mit hohen Inflationsraten und in der Folge auch steigender Arbeitslosigkeit?
Nicht zwangsläufig. Aber dazu ist es notwendig, dass die Wirtschaftspolitik die Gefahr erkennt und sich entsprechend verhält.
Haushalte mit schwächeren Einkommen unterstützen
Kurzfristig muss vor allem die Kaufkraft der Haushalte gestützt werden. Das kann durch befristete Energie-Zuschüsse beim Wohngeld geschehen. Damit würden gezielt Haushalte mit schwächeren Einkommen in dieser schwierigen Phase unterstützt. Generell sollte die ohnehin beabsichtigte Abschaffung der EEG-Umlage rasch umgesetzt werden. Dies würde zumindest den Strompreisanstieg dämpfen. Mit diesen Maßnahmen könnte Kaufkraft gesichert und soziale Energienot vermieden werden.
Zudem sollte die CO2-Abgabe intelligenter gestaltet werden als dies bisher der Fall ist. Indem man sie einfach als Preisaufschlag definiert, macht man sich beim Umstieg auf Erneuerbare Energie von den unkalkulierbaren Wendungen des Marktgeschehens abhängig. In Zeiten hoher Marktpreise verschärft man den Preisauftrieb und verschärft die damit verbundenen Probleme und bei niedrigen Preisen schwächt man den Anreiz zum Umstieg auf eine nachhaltigere Energieversorgung.
Sinnvoller wäre es, ein Ziel für einen Preispfad für umweltschädliche Energieträger vorzugeben. Liegt der Marktpreis darüber oder knapp darunter, sollte die Abgabe entsprechend gering ausfallen bzw. zeitweilig sogar ausgesetzt werden. Fällt der Marktpreis sollte die Abgaben entsprechend höher ausfallen. Dies gibt sowohl den Konsument*innen als auch den Investor*innen eine höhere Sicherheit für den Umstieg und vermeidet die Probleme stark schwankender Energiepreise.
Erneuerbare Energien rasch ausbauen
Die gesamte Wirtschaftspolitik muss sich rasch auf dieses neue Umfeld einstellen. Es muss alles dafür getan werden, das Angebot an heimischer Energie im europäischen Maßstab auszuweiten. Es geht vor allem darum, Engpässe, die den Preisauftrieb anheizen, schnellstmöglich zu überwinden. In der Energieversorgung heißt dies, die neue Bundesregierung muss sich am Beginn ihrer Tätigkeit darauf konzentrieren, das Angebot an Erneuerbaren Energien und deren bessere Speichermöglichkeiten auszuweiten. Das bedeutet, ohnehin geplante beschleunigte Genehmigungsverfahren, hohe öffentliche und private Investitionen in diesen Feldern sollten an der Spitze der Prioritätenliste stehen.
Auch die Geldpolitik sollte ihren Kurs leicht ändern. In dem derzeitigen Umfeld hoher Inflationsraten sind Strafzinsen, die jede Art von Ausgaben stimulieren, nicht mehr sinnvoll. Das treibt die Inflation an. Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte daher ihren aktuell negativen Einlagezins auf Null setzen.So sinkt der Druck auf Banken, ihren Kund*innen gleichfalls Negativzinsen abzuverlangen, was den Anreiz mindert, erspartes Geld sofort auszugeben.
Auswirkungen auf die Tarifverhandlungen
Vor allem muss vermieden werden, dass es zu einer Lohn-Preis-Spirale kommt. Bisher ist von ihr nichts zu sehen, aber die Tarifparteien sollten die Gefahr bei ihren Verhandlungen berücksichtigen. Dazu ist im übrigen keine Lohnzurückhaltung notwendig, sondern allein der Verzicht, den überschießenden Teil der Inflationsrate kompensieren zu wollen. Mit einem solchen Vorgehen lassen sich Beschäftigung und auf Dauer auch die Kaufkraft sichern.
Veränderte Umstände erfordern ein verändertes Verhalten. Das Umfeld hat sich verändert, leider nicht zum Besseren. Daher muss die Wirtschaftspolitik reagieren, wollen wir die anstehenden Herausforderungen mit sicherer Beschäftigung und guten Einkommen bewältigen.
Alle Texte der Sozen-Wirtschaft von Gustav Horn gibt es hier.
ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.