Debatte

Welche Alternativen es zum Grundeinkommen gibt

Das Grundeinkommen gibt keine Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen. Eine Diskussion darüber, ist trotzdem sinnvoll und notwendig – weil sie der Gesellschaft hilft zu klären, was ihr wirklich wichtig ist.
von Lars Castellucci · 20. April 2017
Gerüstbauer in Berlin: Wie soll die Wirtschaft weiterhin ihren Fachkräftebedarf decken, wenn auch nur fünf oder zehn Prozent der Arbeitskräfte eine Auszeit mit Grundeinkommen einer wertschöpfenden Tätigkeit vorziehen würden?
Gerüstbauer in Berlin: Wie soll die Wirtschaft weiterhin ihren Fachkräftebedarf decken, wenn auch nur fünf oder zehn Prozent der Arbeitskräfte eine Auszeit mit Grundeinkommen einer wertschöpfenden Tätigkeit vorziehen würden?

Praktisch alle Parteien diskutieren über ein Grundeinkommen. Aber es wird dabei über ganz unterschiedliche Dinge geredet. Die einen meinen bedingungslos, die anderen sagen garantiert. Götz Werner verknüpft sein Modell mit einer radikalen Steuerreform, die nur noch Konsumsteuern kennt, 50 Prozent Mehrwertsteuer für die Rentnerin wie den Einkommensmillionär.

Die Würde der Arbeit in Zeiten der Digitalisierung

Wenn in Kreisen von CDU oder gar FDP von Grundeinkommen die Rede ist, dann geht es klar um Sozialabbau. Alle Sozialleistungen bis hin zum Kindergeld fallen weg. Und Thomas Straubhaar nutzt das Konzept hier auf vorwärts.de, um den Mindestlohn anzugreifen – den brauche es ja nicht mehr, wenn alle mit einem Mindesteinkommen ruhiggestellt sind. Ist das die Würde der Arbeit in Zeiten der Digitalisierung? Vielleicht für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, für Sozialdemokraten jedenfalls nicht.

Allerdings: Wenn über ein Grundeinkommen gesprochen wird, dann strömen die Menschen. Lädt man zur „Zukunft des Sozialstaats“ ein, bleiben die Stühle leer. Was steckt dahinter?

Der Sozialstaat als Helfer

Einerseits müsste man den Sozialstaat erfinden, gäbe es ihn heute nicht. Alle wesentlichen Errungenschaften wurden von der Arbeiterbewegung und der SPD erkämpft. Darauf können wir stolz sein. Auf der anderen Seite gibt es die konkreten Erfahrungen der Menschen mit Staat und den Institutionen, die das Soziale organisieren. Wie immer bei menschlichen Erfahrungen, berühren uns die negativen stärker als die positiven – und sie bleiben auch stärker in Erinnerung.

Wie erleben die Menschen den Sozialstaat im Alltag? Er tritt ihnen gegenüber in unverständlichen Formularen und Anschreiben. Sie erleben den Sozialstaat nicht als Helfer, sondern in der Ablehnung der höheren Pflegestufe oder in der Aufforderung, eine günstigere Wohnung zu suchen und damit das gewohnte Lebensumfeld zu verlassen. Benötigt der Vater einen Rollator wird man an das fünfzig Kilometer entfernte Vertragssanitätshaus verwiesen, obwohl es im Ort ein günstigeres Angebot gibt. Und ist das Kind in der Reha, wird der ALG-II-Satz gekürzt, denn das Kind ist ja nicht daheim; wohin dann aber mit den zusätzlichen Kosten, für die Fahrt, für Besuche, für Sportsachen?

Es geht um eine Kultur des Sozialen

Hinter dem Run auf das Grundeinkommen stecken also ganz andere Fragen. Es geht um die sozialstaatlichen Leistungen in ihrer Angemessenheit. Es geht um die sozialstaatlichen Verfahren, die einfacher, nachvollziehbarer und ergebnisorientierter werden müssen. Und es geht um eine Kultur des Sozialen, die sich nicht zuletzt in der Haltung der Menschen äußert, die ihn in ihren Ämtern und an den beauftragten Stellen verkörpern. Verbesserungen für diejenigen, die am stärksten auf den Sozialstaat angewiesen sind, müssen vor allem in stärkerer Begleitung bestehen. Der Sozialstaat als Helfer verweist mich nicht nur an spezialisierte Stellen, er nimmt mich an der Hand.

Eine Kultur des Sozialen entsteht durch professionelle Dienste. Sie entsteht aber vor allem durch Menschen, die Zuwendung geben. Es gibt eine Sehnsucht der Menschen nach Zuwendung. Einer Zuwendung, die nicht nur professionell ist, nicht nur Dienstleistung, nicht nur unter Zeitdruck. Es geht einfach um Menschen, die da sind. Deswegen müssen wir die Debatte ein Stück weiter führen. Wir müssen in einer Zeit der Verdichtung und Beschleunigung erreichen, dass die Menschen füreinander da sein können. Oder im Sinne der Arbeiterbewegung: Es geht um organisierte Solidarität, zunächst untereinander, erst dann als Staat.

Solange das nicht erreicht ist, wächst die Sehnsucht nach dem ganz anderen, dem Neuanfang, der einen, einfachen Idee, die alle Probleme gleichzeitig löst, Freiheit, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit verwirklicht und dabei noch Kosten spart. Das Grundeinkommen ist Projektionsfläche für diese Sehnsüchte. Aber es ist es zu Unrecht.

Das Grundeinkommen – ein unüberlegtes Experiment

So kritisch wie man aktuelle Zustände beschreiben kann, so kritisch muss man auch dem Konzept des Grundeinkommens begegnen. Schließlich wäre eine Systemumstellung ein Experiment an lebenden Objekten, keine Versuchsanordnung im geschützten Labor. Wer sagt, dass ein Paradigmenwechsel, dem die Einführung eines Grundeinkommens gleich käme, einerseits Probleme löst, andererseits aber nicht neue hervorruft? Was verändert sich in der Gesellschaft alles, wenn ihre Grundlage – Arbeit – umdefiniert wird? Was machen (wir mit) Menschen, die nicht arbeiten wollen? Götz Werner sagt: Egal, Hauptsache, sie hängen nicht mehr in den Unternehmen herum – eine betriebswirtschaftlich nachvollziehbare, aber volkswirtschaftlich unzureichende Antwort.

Eine Systemumstellung hätte vielfältige Folgen. Wie soll die Wirtschaft weiterhin ihren Fachkräftebedarf decken, wenn auch nur fünf oder zehn Prozent der Arbeitskräfte eine Auszeit mit Grundeinkommen einer wertschöpfenden Tätigkeit vorziehen würden? Wenn man, wie Axel Berg, davon ausgeht, dass uns die Arbeit ausgeht, mag das kein Argument sein. Ich habe diese These schon Johano Strasser in den 1990er Jahren nicht geglaubt. Heute haben wir einen Höchststand an Beschäftigten und alle, die man trifft, haben eher zu viel zu tun als zu wenig.

Entlastung der Wirtschaft auf Kosten der Gesellschaft

Die Grundeinkommensthematik berührt auch die Verteilungsfrage. Die Befürworter sagen, dass sich heute gering entlohnte oder überhaupt nicht nachgefragte Tätigkeiten mit einem Grundeinkommen rechnen – für Unternehmen, die weiter Minilöhne für gute Arbeit zahlen, wie für die Beschäftigten, die ihr Grundeinkommen zusätzlich behalten können. Was ist das aber anderes als ein gigantischer Kombilohn, der die Wirtschaft auf Kosten der steuerzahlenden Allgemeinheit (also eben nicht: der Allgemeinheit) entlastet?

Die Grundeinkommens-Befürworter fordern zurecht mehr Würde im System. Aber ist es nicht würdiger, für gute Arbeit anständig entlohnt zu werden, ohne dass der Staat noch etwas draufpacken muss? Schauen wir auf die heute Hilfebeziehenden: Es ist eine Lehre aus den Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010, dass Pauschalierung an Grenzen stößt, weil Gerechtigkeit auch erfordert, dem Einzelnen mit seinen Bedürfnissen gerecht zu werden. Wer also einer aufstrebenden, alleinstehenden Studentin dieselbe Unterstützung zugesteht, wie einem schwer erkranken Familienvater, der nicht mehr arbeiten kann, wird ihnen eben nicht mehr gerecht.

Das Grundeinkommen bleibt Utopie

Wir stehen zudem vor immensen Herausforderungen, die allesamt nicht alleine mit Geldverteilen zu lösen sind: Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, das Auseinanderfallen der Gesellschaft generell in kleinste Gruppen und isolierte Individuen, die Integrationsanforderungen nach der gewonnenen Einsicht, ein Zuwanderungsland zu sein, der demografische Wandel mit der Alterung und Schrumpfung der Gesellschaft, die Notwendigkeit eines neuen Bildungsaufbruchs. Teilhabe sichernde, öffentliche Güter, Ausbau aufsuchender Beratung, Investitionen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, all dies und noch viel mehr ist auch und zusätzlich zu leisten. Von welchem Geld?

Damit wären die Realisierungschancen eines Grundeinkommens angesprochen, die doch weit hinter den konkreten Verbesserungen zurückstehen, die im bestehenden Sozialsystem erreichbar sind und nicht zuletzt auch in dieser Legislaturperiode erreicht wurden.

Den Sozialstaatsdiskurs nach oben ziehen

Bis dahin: Diskutieren wir das Grundeinkommen! Die Diskussion tut uns gut. Sie zieht den Sozialstaatsdiskurs nach oben. Sie hilft der Gesellschaft zu klären, was ihr wert und wichtig ist. Und vielleicht fangen wir mit Kindern oder Alten sogar an. Das gestaffelte Kindergeld aus dem Regierungsprogramm 2013 wäre ein Weg in Richtung Kindergrundsicherung. Die Solidarrente, die es immerhin in den Koalitionsvertrag geschafft hat, eine deutliche Verbesserung der von uns entwickelten Grundsicherung im Alter, die entgegen ihrer Zielsetzung doch zu entwürdigenden Situationen in den Sozialämtern führt. Diese Solidarrente wurde gerade im Koalitionsausschuss blockiert.

Wer mit dem Sozialen vorankommen will, muss neue Mehrheitsverhältnisse schaffen. Im September ist wieder Gelegenheit dazu.

Autor*in
Lars Castellucci

Prof. Dr. Lars Castellucci ist stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestages und Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion.

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