Wandel gestalten: Olaf Scholz will Energiestandort Lausitz erhalten
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„Ihnen brauche ich das nicht zu erklären“, sagt Olaf Scholz. Der Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat weiß wovon er spricht – aber er weiß auch, dass die Menschen die ihm dort gegenübersitzen, das auch wissen. Die Energiewende, der Stromverbrauch, der Strukturwandel – wenn der Sozialdemokrat in der Lausitz davon spricht, dann kann er ins Detail gehen. Er muss bei Terawattstunden nicht erst erklären, wie viel Strom das ist. „Wer wüsste das besser als die Menschen, die das hier machen“, sagt er zu den Mitgliedern der Industriegewerkschaft IGBCE, den Betriebsrät*innen, den Vertreter*innen für Auszubildende und Funktionär*innen in der Stadthalle in Cottbus.
Es sind die, die in den Kohlekraftwerken und Kohletagebauen in Ostdeutschland arbeiten. Diejenigen, deren Arbeitsplätze bedroht sind, die schon mittendrin sind im Strukturwandel. Es sind aber auch die Menschen, die den Wandel gestalten wollen und können. Dass er den Menschen vor Ort das zutraut, daran lässt Scholz keinen Zweifel. Angesprochen auf die Idee, das Kohlekraftwerk Jänschwalde zu einem Innovationskraftwerk umzubauen, den Industriestandort zeitnah CO2-arm oder emissionsfrei zu betreiben, ist er begeistert: „Ich finde, das ist genau der richtige Weg.“ Nachdenken, ermöglichen, vor Ort um Investitionen zu werben, damit der Standort trotz Kohleausstieg erhalten bleibe, „das müssen wir machen.“
Olaf Scholz: „Verträge werden eingehalten"
Ein paar Wochen sind es noch bis zur Bundestagswahl. Als gegenwärtiger Bundesfinanzminister, als der er an diesem Tag in die Stadthalle in Cottbus gekommen ist, versichert er: „Verträge werden eingehalten." Damit erneuert er die Zusage zum Kohleausstieg, der in der Kommission 2019 beschlossen worden war. Daran hängt auch das Versprechen, dass Milliarden in die Region fließen sollen, während die Kohlekraftwerke nach und nach vom Netz gehen. Mit dem Geld soll die Region im Wandel unterstützt werden, Arbeitsplätze sollen erhalten bleiben, Weiterbildungen finanziert werden.
Dabei ist die Lausitz alles andere als einfaches Terrain für den Sozialdemokraten. Von den Gästen in der Halle bekommt Scholz zwar Applaus, aber er ist nicht endlos. Immer wieder kommt die Diskussionsrunde auf die Frage zurück: Was passiert, wenn der Ausstieg gar früher vorangetrieben wird, fließt dann trotzdem noch Geld? Der Beschluss der Kohlekommission stammt noch aus der Zeit, als die Bundesregierung für 2050 Klimaneutralität beschlossen hatte – inzwischen gilt dieses Ziel für 2045, der Ausstieg aus der Kohleverstromung steht weiterhin für 2038 im Kalender. Vor Ort – das ist auch an diesem Dienstag zu spüren – sorgen sich die Menschen um diesen Termin, sehen einer unsicheren Zukunft entgegen und fürchten darum, dass die Strukturhilfen, die im Ministerium von Scholz locker gemacht werden, vielleicht auch gekürzt werden könnten. So wie der Fahrplan zum Kohleausstieg.
Arbeitsplätze erhalten, an Traditionen anknüpfen
Aus seiner Sicht, darauf kommt Scholz immer wieder zurück, soll das Geld trotzdem fließen. Allerdings: Es brauche auch Projekte und Investitionen vor Ort, für neue Arbeitsplätze, die aber auch passen. Die, die jetzt in der Energie-Industrie arbeiten, sollten auch künftig einen Job entsprechend ihrer Qualifikation in der Region ausüben können. Ein Werk der Deutschen Bahn, das in Cottbus gerade entsteht, ist für Olaf Scholz beispielsweise ein passender Arbeitsplatz für Mechaniker*innen, die derzeit noch in den Kraftwerken arbeiten. Der Tourismus, die Hotels, die Gastronomie, die vielleicht mit der Seenlandschaft entsteht, den die alten Tagebaue hinterlassen, sieht er zwar auch als gute Chance für die Region, für Industriearbeiter*innen sei es aber womöglich nicht ganz das Richtige. „Es geht um Arbeitsplätze, die an die Tradition anknüpfen“, bekräftigt Scholz.
Wer etwas von Energieerzeugung verstehe, der habe keine schlechten Chancen in der Zukunft, ist Scholz überzeugt. Die industrielle Revolution, vor der Deutschland stehe, werde viel Energie, viel Strom benötigen. Allein die chemische Industrie werde womöglich bis 2050 so viel Strom wie derzeit die gesamte Bundesrepublik verbrauchen, sagt er mit einem Verweis auf eine Studie der Branche. „Wir brauchen Strom, viel Strom", sagt Scholz und auch der IGBCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis pflichtet dem bei.
Der Gewerkschaftschef stellt das Ziel der Klimaneutralität nicht in Frage, will aber über den Weg dorthin streiten. „Strom ist Strom“ meint Vassiliadis, egal aus welcher Quelle er komme. Wenn der Umbau aber allein zu Lasten der Beschäftigten gehe, dann stehe man als Gewerkschaft im Weg. Sollte der Ausbau der Erneuerbaren gelingen, werde wohl die fossile Energieerzeugung von alleine aus dem Markt gedrängt. „Davon sind wir allerdings noch meilenweit entfernt“, so Vassiliadis weiter mit Blick auf den schleppenden Ausbau von Stromleitungen, Gas-Pipelines, Photovoltaik und Windkraftanlagen.
IGBCE nimmt Energieindustrie in die Pflicht
Deswegen plädiert Vassiliadis auch für Unterstützung durch die Politik um den Übergang zu gestalten, vor allem mit und für die Beschäftigten vor Ort. Allerdings: Auch die betroffenen Industrien sollten dafür investieren. „Die Leag“, nennt er den Lausitzer Energiekonzern beim Namen, „ist nicht nur Opfer.“ Auch dieses Unternehmen könne die Zukunft mitgestalten. Als Gewerkschaft habe man außerdem alle Branchen im Blick, sagt er mit Verweis auf beispielsweise die Zement- oder Kautschukindustrie und die Chemiekonzerne – all jene hängen von der Energieerzeugung in Deutschland ab. Wenn „nur abschalten“ der Weg sei, so Vassiliadis, „dann sind wir im Weg.“