Wie Viktor Orbán die ungarische Presse gleichschalten will
Bei der Gründung der Reichskulturkammer, nach der Abschaffung der noch existierenden oppositionellen Zeitungen, meinte Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels zynisch, wer einen Funken Anstand hätte, der würde sich hüten, Journalist zu werden.
Die Reichskulturkammer des Joseph Goebbels
Goebbels wusste nämlich genau, dass eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Diktatur die Abschaffung der freien, öffentlichen Meinungsäußerung ist. Dazu gehören das Einstampfen unliebsamer Presseorgane und die Aufkündigung der journalistischen Unabhängigkeit. Für die Abwicklung wurde bereits im Herbst 1933, wenige Monaten nach Hitlers Machtergreifung, die Reichskulturkammer gegründet, die sämtliche journalistischen Aktivitäten reglementierte.
Die Mitarbeiter der Presse mussten dem Reichsverband der Deutschen Presse beitreten, während für die Verleger die Mitgliedschaft in der Reichskulturkammer vorgeschrieben wurde. Deren Aufgabe war das Beseitigen des unabhängigen Verlagswesens. Der Reichsverband der Deutschen Presse musste das entsprechend bei den Journalisten bewirken. Wer Mitglied in diesen zentral gesteuerten Institutionen werden konnte, war durch strenge Vorschriften geregelt.
So funktionierte die Gleichschaltung nach 1933
Das Resultat war, dass die Zeitungsredaktionen in wenigen Jahren praktisch „judenfrei“ geworden waren. Linke und liberale Journalisten hatten Ihre Arbeitsplätze entweder aus freien Stücken verlassen oder sie haben Berufsverbot erhalten. Der Moralkodex der Reichskulturkammer legte fest, dass die Zeitungen nichts veröffentlichen durften, was das Deutsche Reich im In- und Ausland, den gemeinschaftlichen Willen des deutschen Volkes, die Wehrmacht, die deutsche Kultur oder Wirtschaft schwächen oder die religiösen Gefühle des deutschen Volkes missachten würde.
Gleichzeitig war Max Amann, Besitzer von mehreren Verlagen und die rechte Hand Goebbels damit beauftragt, das gesamte Pressewesen entsprechend umzukrempeln. Er kaufte nacheinander die früher erfolgreichen oppositionellen und unabhängigen Zeitungen auf. Die er nicht kaufen konnte, wurden in den Ruin getrieben oder verboten. Gleichzeitig erhielten die nationalsozialistischen Presseorgane Unsummen für von der Regierung finanzierte Werbung.
Unterschiede und Ähnlichkeiten zu Orbán
Die Pressekammer und die obligatorische Mitgliedschaft waren nicht nur Instrumente des Dritten Reichs. Sie dienten in sämtlichen Diktaturen des 20.Jahrhunderts als bewährte Mittel zur Beseitigung von Pressefreiheit, zur Gleichschaltung der Medien, zur Knebelung von Journalisten.
Wenn es auch inhaltliche Unterschiede gibt, die Medienpolitik des Orban-Regime und die der Diktaturen des 20.Jahrhundert weisen unübersehbare Ähnlichkeiten auf. Viktor Orbán hat in den vergangenen Wochen eindeutig erklärt, er sei mit dem „Gleichgewicht“ bei den Medien noch immer nicht zufrieden. Er ließ keinen Zweifel aufkommen, sollte er bei den Wahlen am 8. April erneut als Regierungschef das Mandat für vier weitere Jahre bekommen, wird allen landesweit operierenden unabhängigen Medien der Garaus gemacht. Auch für den in Ungarn seit Jahren meist gesehenen Fernsehsender „RTL-Klub“, eine Tochter der Bertelsmann Media Group, der sich von der nationalistischen Regierung nicht ins Programm hineinreden lässt, würde es keine Gnade mehr geben.
Moderne Diktaturen waren den Schein
Gemäß der Praxis moderner Diktaturen würden einige wenige, begrenzt erreichbare Medien quasi als Feigenblatt für die noch vorhandene Pressefreiheit geduldet werden. Um den Schein zu wahren, würde nicht beabsichtigt, die Mitgliedschaft in der zukünftigen Pressekammer vorzuschreiben, es würden auch keine drakonische Maßnahmen angewandt und es würde auch keine Quoten geben. Die Mitglieder würden berufliche und existenzielle Vorteile genießen; nur wenige von den in existenzieller Not lebenden Journalisten würden sich erlauben, darauf zu verzichten.
Somit würde nicht das Draußen bleiben bestraft, sondern der Eintritt belohnt. Der wirtschaftliche und politische Druck würde nicht direkt auf die Journalisten ausgeübt, sondern auf die Verlage und Redaktionen. Sie sollten die sich eventuell weigernden Mitarbeiter zum Eintritt in die Kammer zwingen. Die Aufgabe, die Angestellten dazu zu zwingen, würde dann vom Staat auf die Arbeitgeber übertragen.
Kriegserklärung an unabhängiges Fernsehen
Laut Orbán ist das Ziel der zu errichtenden Pressekammer „die Interessenvertretung von Mitarbeitern, die den Medien im ausländischen Besitz ausgeliefert“ sind. Da es in Ungarn kaum noch Medien im ausländischen Besitz gibt, ist das eine klare Kriegserklärung an den Fernsehsender RTL-Klub. Damit will man nicht nur das Rückgrat von RTL-Klub brechen, sondern auch das der Mitarbeiter aller potentiellen Medien.
So würde der gegenwärtig noch in Spuren vorhandenen Pressefreiheit der Gnadenstoß versetzt. Geplant sei, dass bei landesweiten Medien nur noch Journalisten arbeiten dürfen, die Mitglieder der neuen Pressekammer sind. Um Mitglied zu werden, müsste der Betreffende die vorgegebenen ethischen und politischen Richtlinien akzeptieren. Dies würde von den in die Pressekammer delegierten linientreuen Vertretern des Regimes beaufsichtigt.
Pressefreiheit auf tönernen Füßen
In Ungarn steht die Unabhängigkeit der Medien seit Abbau des ehemaligen sozialistischen staatlichen Medienmonopols1989/90 fortwährend auf tönernen Füßen. Die meisten Journalisten haben sich in ihrer Tätigkeit nie ganz autonom gefühlt.
Jetzt, dreißig Jahre später wird die staatlich verordnete Pressekammer auch die letzten Krümel des freien Journalismus vom Tisch wischen, so wird dem goebbelschen Gedanken endlich auch bei uns, im EU-Land Ungarn Geltung verschafft: Wer einen Funken Anstand hat, wird sich hüten, Journalist zu werden,
ist Kommunikationswissenschaftlerin an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest. Sie wurde 2011 von „Reporter ohne Grenzen“ mit dem Press Freedom Award ausgezeichnet.