Außen- und Sicherheitspolitik

Verteidigungspolitik: Viel Lob aus dem Baltikum für Scholz‘ neuen Kurs

Imants Lieģis10. März 2022
Neuer deutsch-baltischer Schulterschluss: Bundeskanzler Olaf Scholz empfängt den Präsidenten Litauens Gitanas Nauseda (l.) am 26.02.2022 im Bundeskanzleramt in Berlin.
Neuer deutsch-baltischer Schulterschluss: Bundeskanzler Olaf Scholz empfängt den Präsidenten Litauens Gitanas Nauseda (l.) am 26.02.2022 im Bundeskanzleramt in Berlin.
Für Estland, Lettland und Litauen läutet Olaf Scholz' Kurswechsel in der Sicherheitspolitik eine neue Ära ein: für die Rolle Deutschlands in Europa, der NATO und der Welt. Scholz‘ Rede im Bundestag wird im Baltikum als historisch begrüßt.

Es war ein außergewöhnlicher Sonntag in Berlin. Als Präsident Putin sein achtjähriges militärisches Abenteuer in der Ukraine eskalieren ließ und am 24. Februar das Land aus drei Richtungen mit Boden- und Luftangriffen überzog, entstand in Windeseile eine neue europäische Sicherheitsarchitektur. In der Sondersitzung des Bundestags am 27.Februar trug Bundeskanzler Olaf Scholz in einer richtungsweisenden Rede federführend zur Ausgestaltung dieser neuen Architektur bei. Mehr als 100 000 Menschen bekräftigten auf den Straßen Berlins an diesem Sonntag ihre Unterstützung für die Ukraine. Der Kanzler griff die Stimmung der Demonstrierenden auf. Er schlug Angela Merkels vorsichtige Haltung in den Wind und distanzierte sich klar von Altkanzler Gerhard Schröder und anderen „Putin-Streichlern“ in seiner SPD. Die Auswirkungen auf die baltische, europäische und euro-atlantische Sicherheit werden gravierend sein.

Während in einem nicht fernen europäischen Land Putins Krieg tobte, gab der Kanzler historische Entscheidungen zur künftigen deutschen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik bekannt. Noch einen Monat zuvor hatten die Deutschen im Baltikum und anderswo Kritik geerntet, weil sie Estland untersagt hatten, Waffen deutscher Herkunft an die Ukraine zu liefern. Scholz hatte noch betont, Deutschland exportiere „seit vielen Jahren […] keine letalen Waffen“. Nun wurde diese Haltung plötzlich revidiert. Scholz erklärte, dass Deutschland der Ukraine Verteidigungswaffen zur Verfügung stellen werde und kündigte die lange erwartete Erhöhung der Verteidigungsausgaben sowie ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für die Bundeswehr an. Damit erfüllt Scholz das politische Versprechen gegenüber der NATO, die Verteidigungsausgaben bis 2024 auf 2 Prozent des BIP zu erhöhen. Er verwies auf das NATO-Abschreckungskonzept der nuklearen Teilhabe und erklärte, veraltete Tornado-Kampfflugzeuge müssten ersetzt werden. Putin wiederum gab an diesem Sonntag bekannt, er werde die russischen Atomwaffen in „Alarmbereitschaft“ versetzen.

Scholz: „Kriegstreibern wie Putin Grenzen setzen“

Ziel all dieser Maßnahmen sei es, so Bundeskanzler Scholz, „Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen“. Der von Putin künstlich herbeigeführte Konflikt mit der Ukraine hat in den vergangenen Wochen auch andere Differenzen zwischen Deutschland und seinen baltischen Partnern offengelegt. Dies betraf sowohl die russisch-deutsche Gaspipeline Nord Stream 2 als auch den Ausschluss Russlands aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk SWIFT. Diese Differenzen konnten ausgeräumt werden, als zunächst Bundeskanzler Scholz am 22. Februar das Verfahren zur Zertifizierung der Gaspipeline aussetzte und die EU vier Tage später die Einigung der 27 Mitgliedsstaaten über den SWIFT-Ausschluss wichtiger russischer Banken bekanntgab. Diese Maßnahmen erfolgten zügig und in enger Zusammenarbeit mit den USA und anderen EU-Partnern.

Die Regierungen in Tallinn, Riga und Vilnius müssen diese dramatischen Neuerungen in der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik vorbehaltlos begrüßen und laut applaudieren. Mit dieser radikalen Wende zerstreut die Bundesrepublik die Bedenken, die der frühere polnische Außenminister Radoslaw Sikorski vor zehn Jahren zum Ausdruck brachte, als er erklärte, er fürchte deutsche Macht weniger als deutsche Untätigkeit. Offenkundig ist es mit der Untätigkeit jetzt vorbei. Deutschland überwindet endlich seine zögerliche Haltung und nimmt seine Führungsrolle in Europa an, nicht ohne auch weiterhin den französisch-deutschen EU-Motor auf Drehzahl zu bringen. Die neusten Entwicklungen strafen jedenfalls die Behauptung der renommierten Intellektuellen Māra Zālīte Lügen, Olaf Scholz oder Emmanuel Macron könnten mögliche Partner Wladimir Putins in einer Neuauflage des Ribbentrop-Molotow-Paktes sein.

Für eine stärkere und souveränere EU

Wie wirkt sich diese Kehrtwende auf Lettland und seine baltischen Nachbarn aus? Nach dem Wahlsieg im vergangenen Herbst hatte Scholz erklärt, das wichtigste Thema der deutschen Politik werde die Entwicklung einer stärkeren und souveräneren EU sein. Das ist ein lobenswertes Ziel, das in enger Zusammenarbeit mit der NATO erreicht werden muss. Mit seinem jüngsten Vorstoß im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich hat Scholz den Worten Taten folgen lassen und dem Ziel der EU, sich als geopolitischer Akteur zu profilieren, Auftrieb gegeben. Bedenken der baltischen Staaten hinsichtlich einer größeren strategischen Autonomie – statt „Souveränität“ – der EU, von der in den letzten Jahren die Rede war, könnten hinfällig werden. Hilfreich ist jedenfalls, dass Deutschland laut Scholz mehr strategische Verantwortung für die Ostflanke der NATO übernehmen und „jeden Quadratmeter des Bündnisgebietes“ verteidigen wird. Um Europa enger zusammenzuschweißen, muss der Kanzler die transatlantischen Beziehungen pflegen.

Die fortgesetzten schrecklichen Angriffe Russlands haben den Blick der deutschen Politik auch auf die Sicherheit Europas im Baltikum gelenkt. In der NATO muss Deutschland die Verteidigung und Abschreckung gegen mögliche weitere imperialistische Vorstöße Putins insbesondere im Baltikum intensivieren. Die angekündigte Erhöhung der deutschen Truppenpräsenz in der NATO Enhanced Forward Presence in Litauen ist begrüßenswert. Eine wichtige Maßnahme ist auch der angekündigte Beitrag zur Verteidigung unseres Luftraums und zur Sicherung der Ostsee. Die Bundesrepublik muss die Modernisierung der europäischen Verteidigung vorantreiben, indem sie Fähigkeiten zur Abschreckung gegen neue Technologien für unkonventionelle Kriegsführung entwickelt. Die Gefahren, die von diesen Technologien ausgehen, kann man gar nicht hoch genug einschätzen.

Deutschland stärkt die NATO

Durch die Erfüllung des Zweiprozentziels der NATO wird Deutschland das transatlantische Bündnis zweifelsohne stärken. Dieser Schritt dürfte künftig jede Kritik aus Washington entschärfen, Deutschland entziehe sich in der NATO seinen Verpflichtungen. Zudem stützt er das Baltikum, das in der kollektiven Verteidigung Europas unmittelbar auf die USA angewiesen ist. Der deutsche Beitrag zum neuen Strategischen Konzept der NATO, das im Juni beschlossen werden soll, wird nun noch mehr Gewicht haben.

Bundeskanzler Scholz' teutonisch-tektonischer Bruch mit der herkömmlichen deutschen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik läutet für die Rolle Deutschlands in Europa, der NATO und der Welt eine neue Ära ein. Hoffen wir, dass er auch dazu beiträgt, Putins Krieg ein Ende zu setzen, in der Ukraine Frieden zu schaffen und für die Menschen in Europa mehr Sicherheit zu gewährleisten.

Dieser Text erschien zuerst bei ipg-journal.de

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Kommentare

Lob ?

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Lob!

ja, es loben auch welche. Was der Artikel offen lässt, ist die Frage nach der Motivation derer , die loben. Aber ich denke, es macht Sinn, diesen Gesichtspunkt nicht zu verfolgen, denn sonst droht vom Lob nicht so viel übrig zu bleiben.
Also, freuen wir uns mit dem Verfasser, dass man uns (unser Kanzler steht ja stellvertretend für uns) wieder lieb hat. Und dass ist es doch, was wirklich wichtig ist. Daher lobe ich jetzt auch den Kanzler, und die Redaktion, die auch des Lobes würdig ist, und sicher- weil dies menschlich ist- nach Lob dürstet. Also Freundinnen und Freunde- ich lobe nicht den Herrn, ich lobe euch!

„Baltikum: Scholz‘ Rede historisch“

Ein Musterbeispiel für doppelte Ironie. Scholz bricht, so der Autor, mit 20 Jahre dauernder „vorsichtiger Haltung“ (Merkel) der „Putin-Streichler“ (SPD). Er kommt endlich dem der Nato gegebenen Versprechen (2%-Ziel) nach und entkräftet den Verdacht, die BRD schnüre einen neuen Ribbentrop-Molotow-Pakt (Nichtangriffspakt Hitler – Stalin; Teilung Polens; Interessen-Sphären im Baltikum). Was die baltischen Staaten schon immer wussten, habe Scholz nun endlich auch begriffen. So können sich die baltischen Länder rühmen, „Bundeskanzler Scholz ... die Rolle Deutschlands in Europa, der NATO und der Welt“ zugewiesen zu haben. Das ist ein ziemlich vergiftetes Lob.

Der Diplomat scheute sich nicht einmal – ähnlich dem außenpolitischen Experten Röttgen, die Friedensdemonstrationen in der BRD als (u. a.) Unterstützung für die von Scholz angekündigte „lange erwartete Erhöhung der Verteidigungsausgaben sowie ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für die Bundeswehr“ umzudeuten. (Das „sowie“ wird von der SPD inzwischen als „durch“ interpretiert.)

Das Historische ist (u. a.), dass Scholz Deutschland dazu antreibt, seine „Verteidigung und Abschreckung ... zu intensivieren“.

„Verteidigung und Abschreckung“_1

Die größte Militärmacht der Welt konnte die Taliban in Afghanistan nicht beeindrucken, deren mickrige Armee die USA sogar dazu bringen, die „Grenzen amerikanischer Einflussnahme zu akzeptieren“ (D. Immerwahr). Auch der Iran ist weder militärisch noch wirtschaftlich, noch politisch durch Drohungen zu beeindrucken. Im Jemen verbluten, ersticken, verdampfen, verhungern seit vielen Jahren Kinder – und selbst Kinder verhungern nicht innerhalb weniger Tage, Wochen, Monate (, muss ich deutlicher werden?) -, ändert daran die Verteidigungs- oder Abschreckungsmacht der freien Welt etwas? Versucht sie es im Falle Jemen gar nicht?

Die Ukraine verteidigt eine Armee, deren Waffen eine moderne Truppe nur noch im Museum bewundern kann. Was sagt das über das Narrativ von Verteidigung und Abschreckung, was über die Fähigkeiten der russischen Armee? Muss die EU/der europäische Teil der Nato diese russische Armee fürchten? Wohl kaum! Trotzdem kommen EU/europäische Nato der Ukraine nicht zur Hilfe (zu Recht!), sondern zerschlagen Russland durch Sanktionen, durch politische und wirtschaftliche Ächtung. Eine hochgerüstete Bundeswehr in der Hinterhand hilft dabei nicht,

„Verteidigung und Abschreckung“_2

weder bei Verhandlungen mit Indien, China, nicht einmal mit Marokko – die Zeiten der Kanonenboot-Politik sind vorbei. Außerdem: Hat die Russische Föderation schon mal ein EU- oder Nato-Land angegriffen? (Warum machte sie das in Georgien und in der Ukraine (- außer dass Putin wahnsinnig ist)?) Abrüstung auch bei den konventionellen und vor allem bei den taktischen Waffen ist doch nicht das Problem, sondern die Lösung! 100 Milliarden Aufrüstung sollten sich verbieten, schenken wir sie doch der Ukraine!
Fürchten müsste die EU/der europäische Teil der Nato die Russische Föderation nur, wenn die ihre Atomwaffen gegen uns einsetzte. Dagegen wären wir Europäer machtlos. Dann könnten uns aber auch die USA nicht helfen, denn in einem solchen Falle würden die amerikanischen taktischen Atomwaffen eher im Gebiet der EU/europäischen Nato explodieren als in Russland - wir sollten uns das wegen der Bewohnbarkeit Westeuropas nicht wünschen.
Die USA wird ihre strategischen Atomwaffen erst einsetzen, wenn von Russland direkt angegriffen - das sollten wir uns mit Rücksicht auf die Bewohnbarkeit der Erde nicht wünschen. Abrüstung ist die Lösung, nicht das Problem.

„Verteidigung und Abschreckung“_3

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Netiquette

Könnten Sie das mal etwas genauer erklären?

Beleidigungen

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Verteidigung und Abschreckung

Ein guter Kommentar der mir aus der Seele spricht. Leider hat bei Teil 3 die Neti was dagegen daß ich das lese. Hast Du den russländischen Präsidenten beleidigt ?
Auch ich denke, daß mehr Geld für Militär gar nichts bringt außer mehr Kriegsgefahr und hätte man bitte !!! als Zeichen der Deeskalation das gegenwärtige NATO-Manöver in Norwegen nicht ausfallen lassen können ? Nein ! Wie die kleinen Jungs auf dem Schulhof müssen sie ihre Fäuste zeigen.

Aus der Seele sprechen

Im Teil 3 habe ich gesagt, was „atomare Teilhabe“ in letzter Konsequenz bedeuten kann und gefragt, ob unser Bundeskanzler das auch bedacht hat.

Lindner zitierend, eine der „am besten ausgerüsteten Armeen ... (haben zu müssen), weil das der Bedeutung Deutschlands ... entspricht“, habe ich (mich) gefragt, ob „eine Armee als Accessoire“ zu verstehen ist.

Und endlich habe ich zu den Verheerungen, die der Putin-Krieg in der Ukraine und der Welt angerichtet hat, auch die 180-Grad-Wende der deutschen Politik gezählt.

Das war`s schon.

Wir müssen mal den Blick richten

auf den, der hier lobt. dazu ist sehr nützlich, was hier aus zuverlässiger Quelle verlautet:
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/242513/minderheitenintegratio...

Die russische Minderheit in Lettland wird als "staatenlos" diskriminiert- die Kinder der Russen dürfen in der Schule nicht russisch sprechen, sie werden zwangsassimiliert. Sowas in der EU, unglaublich, aber wahr.
Ich frage mich, was das mit den dänischen Schulen hier in SH soll. Nötig ist es nicht, offensichtlich. Aber sehr gut geeignet, ein gutnachbarschaftliches Verhältnis zu gewährleisten. Wer so agiert, braucht sich nicht zu fürchten, vor seinem Nachbarn