Warum eine Versöhnung zwischen Deutschland und Namibia so schwierig ist
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Bis vor einigen Jahren war die unrühmliche deutsche Kolonialgeschichte im ehemaligen Deutsch-Südwest Afrika, dem heutigen Namibia, nur wenigen Expert*innen bekannt. Erst seit wenigen Jahren hat das Interesse stark zugenommen. Während in Deutschland die Kolonialzeit weitgehend in Vergessenheit geriet, wurde die Erinnerung an den Völkermord in Namibia lange aufrechterhalten. Die südafrikanische Verwaltung versetzte das Land lange in einen Dornröschenschlaf und unterband internationale Kontakte bis zur Unabhängigkeit
Lediglich die damalige Entwicklungministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) stellte sich der Vergangenheit mit einer sehr beachteten Rede im Jahr 2004, in der sie die Opfer der deutschen Verbrechen um Verzeihung bat. Das Gros der jährlich mehr als 100.000 deutschen Tourist*innen, die Namibia vor Corona bereist haben, hat keine Kenntnis der Verbrechen der deutschen Schutztruppen. Im Gegenteil: Für Besucher*innen wird der Kolonialismus positiv verklärt.
Verbrechen an Herero und Nama sind unvergessen
Dabei sind die Verbrechen der deutschen Truppen bei den Opfern, hauptsächlich Herero und Nama, noch allgegenwärtig. Familien, die gezwungen wurden, die Schädel ihrer Verwandten auszukochen damit diese für die deutsche Rassenforschung nach Europa verschickt werden konnten, sind heute noch traumatisiert. Die Reduzierung der Population von Nama und Herero durch den „Vernichtungsbefehl“ des Generals von Trotha auf 10-15 Prozent der damaligen Bevölkerung wirken heute noch nach.
Bei Aufnahme der (Versöhnungs-)Verhandlungen zwischen Namibia und Deutschland schien die deutsche Seite noch von einer „win-win“-Situation und einem schnellen Verhandlungsergebnis auszugehen. 2015 benutzte der Sprecher des Auswärtigen Amtes Schäfer erstmalig, wenn auch in einer umständlichen Umschreibung, den Begriff „Völkermord“. Noch 2017 erklärte der deutsche Verhandlungsführer Ruprecht Polenz (CDU), dass er davon ausgehe, dass die Verhandlungen bis Ende 2017 beendet sein würden. Dass wir drei Jahre später zwar vielleicht kurz vor dem Abschluss der Verhandlungen stehen, aber vom Beginn eines Versöhnungsprozess weiter denn je entfernt sind, hat mehrere Gründe:
Bundesregierung passiv im Versöhnungsprozess
Zum einen hat die deutsche Seite wohl die ethnischen Spannungen auf der namibischen Seite unterschätzt. Die regierende SWAPO wird von der größten Ethnie den Ovambos dominiert, die kaum unter der deutschen Besatzung leiden mussten. Herero und Nama, die zusammen 10 Prozent der namibischen Bevölkerung ausmachen, sehen sich von der namibischen Regierung unzureichend vertreten. Zum anderen gefährdete eine in New York anhängige Klage von Nama- und Hererovertreter*innen die Grundlage der deutschen Verhandlungsführung. Die Bundesregierung hatte immer argumentiert, dass es keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung geben könnte und dass alle Verhandlungen lediglich auf ethisch-moralischer Grundlage geführt wurden.
Darüber hinaus fiel die Abwesenheit der Politik in diesem Prozess auf. Während die großen Versöhnungsprozesse der 1970er Jahre aktiv von den damaligen Bundesregierungen vorangetrieben wurden, hat man bei den deutsch-namibischen Verhandlungen den Eindruck, dass die Bundesregierung sich sehr zurück gehalten und das Feld den Verhandlungsdelegationen überlassen hat. Die Abkommen mit den osteuropäischen Nachbar*innen waren in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts alle innerhalb weniger Monate unterschriftsreif verhandelt.
Ethnische Spannungen in Namibia
Auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass ein Abkommen in diesem Jahr unterschriftsreif werden dürfte und mit einem dreistelligen Millionenbetrag ausgestattet wird, ist man von einem Versöhnungsprozess aber weiter entfernt. Während der Verhandlungen haben die ethnischen Spannungen in Namibia wieder zugenommen. Wichtige Herero und Namaführer*innen verweigern dem Verhandlungsprozess ihre Unterstützung (Not about us – without us). Diese Probleme sind der deutschen Seite nicht verborgen geblieben. Wahrscheinlich erscheint heute ein Szenario, dass ein Abkommen geschlossen wird, dass umfangreiche Entschädigungsleistungen enthält, aber ein, den Namen verdienender Versöhnungsprozess nicht in Gang kommt, da die Zielgruppen sich dem verschließen.
Noch ist es nicht zu spät, den Prozess zu retten und die ursprünglichen Ziele wieder ins Augenmerk zu rücken. Wichtig sind dabei zwei Aspekte. Deutsche Politiker*innen sollten das Verhältnis zwischen Deutschland und Namibia um eine Vision, eine Zukunftsperspektive, ergänzen. Leider hat es die Kanzlerin versäumt, bei ihren zahlreichen Afrikareisen der vergangenen Jahre den Verhandlungsprozess mit ihrer Autorität zu unterstützen. Bei der Aufarbeitung der Vergangenheit geht es auch darum, für die Zukunft eine besondere Partnerschaft zwischen Namibia und Deutschland zu begründen. Bei einem Land mit einer Bevölkerung von 2,5 Millionen Einwohner*innen kann ein Technologie- und Finanztransfer einen erheblichen Entwicklungsschub auslösen und Namibia zu einem Erfolgsmodell der deutschen Entwicklungshilfe werden lassen. Namibia ist grundsätzlich an einem guten Verhältnis zu Deutschland interessiert, wird aber auch von China umworben.
Begegnungen sind entscheidend
Zum anderen sollte bei der Ausgestaltung der „Entschädigungsleistungen“ der Begegnungsaspekt zwischen Deutschen und Namibier*innen mehr in den Mittelpunkt rücken. Erst wenn jede*r Herero und jede*r Nama einmal mit einem/einer deutschen Bürger*in über die Ereignisse der Kolonialzeit gesprochen hat und klar geworden ist, dass das Zeitalter, in dem Konflikte nur mit Gewalt gelöst wurden, für Deutschland überwunden ist, kann ein Weg der Versöhnung beschritten werden. Zu einem derartigen „people to people“-Ansatz sollten Städte- und Gemeinde- Schul -und Firmenpartnerschaften sowie private Austäusche gehören.. Diese Kooperationen bedürfen aber einer Koordinierung, um den Versöhnungsaspekt zu verankern. Es ist noch nicht zu spät, aber fast.
leitete bis 2020 das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Windhoek (Namibia).