Umweltverbände fordern Klima-Konjunkturhilfe mit europäischer Note
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Ein Ende der Corona-Krise ist noch nicht absehbar, aber schon jetzt ist klar: Die Pandemie hat überall Geld verbrannt, Investitionen gestoppt, das Wirtschaftswachstum gebremst. Jetzt läuft die Produktion langsam wieder an, die Wirtschaft soll mit Konjunkturhilfen angekurbelt werden. Umweltverbände warnen dabei vor einer großen Gefahr: Wenn jetzt die alte, auf fossilen Brennstoffen basierende Industrie auf Kosten von Umwelt- und Klimaschutz gefördert wird, könnte das Bemühungen für eine nachhaltige Wirtschaft der vergangenen Jahre zunichte machen. Schlimmer noch: Alte, klimaschädliche Produktionsprozesse könnten für viele weitere Jahre zementiert werden.
Konjunkturhilfen für nachhaltige Investitionen nutzen
Deswegen stimmen Umweltverbände wie der BUND, der WWF, die Deutsche Umwelthilfe (DUH) oder Germanwatch darin überein, dass das Geld zielgerichtet für nachhaltige Investitionen ausgegeben werden sollte. „Die nächsten Wochen sind entscheidend“, sagte Kai Niebert Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR) bei der Vorstellung der umweltpolitischen Vorstellungen zum geplanten Konjunkturpaket am Donnerstag.
Silvia Kreibiehl von Germanwatch forderte deshalb nicht weniger als ein Umdenken bei den Konjunkturhilfen im Vergleich zu früheren Krisen: Investitionen sollten „nicht nur Bedarfe decken, sondern auch Risiken aus Investitionen minimieren.“ Anders gesprochen: Bei Investitionen nicht nur auf Erfolg und Umsatz schauen, sondern auch auf Nachhaltigkeit und Risiken für die Zukunft. Das zur Verfügung gestellte Geld solle deswegen in nachhaltige Wirtschaft investiert werden, in die Transformation der Wirtschaft. Investitionen sollten sich an den Nachhaltigkeitszielen der EU orientieren.
„Mit dem Geld sollten nur die Unternehmen unterstützt werden, die sich zu Klimazielen bekennen“, so die Expertin zur Finanzierung von Klimaschutzprojekten. Bei der Bewertung könnte auch die Taxonomie der Europäischen Union helfen, die Investitionen nach ihrer klimaverträglichkeit bewertet – also beispielsweise, wie gut sich ein Projekt mit den CO2-Emissionszielen der EU verträgt. Denn 2050 soll Europa klimaneutral wirtschaften, so ist es auch im Green Deal der EU-Kommission festgeschrieben.
BUND: „Weniger, nicht mehr Autos“
Bezogen auf die deutsche Industrie wurde Antje von Broock besonders deutlich. Die Leiterin der Abteilung Klimaschutz beim BUND positionierte sich klar gegen eine neue Kaufprämie für Autos, wie sie derzeit in der Politik wieder diskutiert und von der Automobilindustrie gefordert wird. „Wir brauchen weniger, nicht mehr Autos“, erklärte von Broock anhand des Mobilitässektors die Herausforderungen für die Zukunft. Mit Blick auf die CO2-Emissionen sei der Bereich das Sorgenkind, die Emissionen seien in den vergangenen Jahren nicht gesunken.
„Wir müssen die Chance jetzt ergreifen und die Mobilitätswende einleiten“, appellierte sie eindringlich an Politik und Wirtschaft. Die Automobilindustrie brauche keine staatlichen Hilfen, der öffentliche Nah- und Fernverkehr hingegen schon. Dort fehlten Gelder in Milliardenhöhe zum Ausbau des Schienennetzes, für neue Fahrzeuge und vieles mehr.
Ausgaben, die aus ihrer Sicht gar nicht ausschließlich über neue Schulden finanziert werden müssten: Mit dem Abbau von Subventionen für Langstreckenflüge und mit einer Kerosinsteuer beispielsweise gäbe es Möglichkeiten, vorhandene Gelder anders zu verteilen. „Das staatliche Engagement in dem Bereich ist allerdings fragwürdig“, sagte von Broock mit Blick auf die Zusage der Bundesregierung, die angeschlagene Lufthansa mit Steuergeldern zu stützen.
Gesamte Industrie in den Blick nehmen
Doch es geht nicht nur um einen Wirtschaftsbereich, wie Viviane Raddatz vom WWF Deutschland am Donnerstag erläuterte. Die Klimaschutz-Expertin fordert dazu auf, gesamte Industrieprozesse umzugestalten, Produktionsketten zu überdenken. „Wenn jetzt noch in fossile Strukturen investiert wird, stehen die für die nächsten Jahre fest“, warnte Raddatz eindringlich. Dabei brachte sie auch „grünen“ Wasserstoff – also Wasserstoff, der ausschließlich mithilfe Erneuerbarer Energien produziert wird – ins Gespräch, um beispielsweise bei der energieintensiven Stahlproduktion direkt die CO2-Emissionen zu senken. Dafür müssten nicht nur Erneuerbare Energien weiter ausgebaut werden, sondern auch die klimafreundliche Wasserstoff-Produktion gefördert werden.
Entwicklungen, die aus Sicht von Raddatz mit drei Ansätzen gefördert werden könnten: mit einem Investitionsfonds genau für solche Projekte, Normen und Standards für die Wirtschaft, die die klimaneutralität in die Bewertung einbeziehen und klare Verträge mit den Unternehmen, die staatliche Hilfe erhalten. „Wir dürfen nicht nur über einzelne Sektoren, einzelne Dinge reden“, erklärte sie, es müsse jetzt ein klimaneutraler Pfad eingeschlagen werden.
Jobmotor Gebäudesanierung
Dass dieser klimaneutrale Pfad auch ein enormes Wachstumspotential bieten kann, erklärte Barbara Metz von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) anhand der Bauwirtschaft. Pläne, beim Bau und der Sanierung von Gebäuden CO2-Emissionen zu sparen und die Energieeffizienz zu steigern, gebe es ja bereits, sie müssten nur umgesetzt werden. Die Erneuerung von Heizungsanlagen, energetische Sanierungen und vieles mehr könnten sogar hundertausende neue Jobs schaffen. „Der Gebäudesektor reagiert sehr träge“, erklärte Metz jedoch ein Problem der Branche. Gebäude, die jetzt gebaut würden, würden für Jahrzehnte stehen bleiben. „Die dann kurze Zeit später aufwendig zu sanieren, wäre nicht nachhaltig.“
Dabei sei der Bedarf an zusätzlichem Geld schon jetzt enorm. Der Deutsche Mieterbund hat einen jährlichen Bedarf von 25 Milliarden Euro für die energetische Sanierung des Wohnungsbestands in Deutschland errechnet. „Da reichen die drei Milliarden, die die KfW pro Jahr bereitstellt, bei weitem nicht aus“, so Metz.
Energiewende europäisch denken
Eines habe die Corona-Krise außerdem noch gezeigt, ergänzte Kai Niebert abschließend: Um Klimaneutralität zu erreichen und die CO2 Emissionen zu senken, ist wesentlich mehr nötig, als nur das eigene Verhalten zu ändern. Während des Lockdowns, als große Teile der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens auf das Nötigste heruntergefahren wurden, wurden nach jüngsten Schätzungen im April rund 25 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland eingespart – fehlen also noch weiterhin drei Viertel der gegenwärtigen Emissionen, um das Ziel der für 2050 anvisierten Klimaneutralität zu erreichen. Da dieses Ziel eigentlich für die gesamte Europäische Union gilt, forderte Niebert außerdem eine europäische Perspektive bei den anstehenden Investitionen. Beispielsweise bei der Energiewende: „Die müssen wir europäisch denken“, sagte er, um beispielsweise für den gesamten Kontinent zu überlegen, welche Art der Energieerzeugung in welcher Region sinnvoll ist.