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Ulla Schmidt: „Hätte gerne die Bürgerversicherung durchgesetzt“

Sie nennt sich selber Quotenfrau und hätte als Bundesgesundheitsministerin gerne die Bürgerversicherung durchgesetzt. Nach 31 Jahren verlässt Ulla Schmidt den Bundestag, aber nicht die Politik.
von Vera Rosigkeit · 24. Juli 2021

Sie kandidierte 1990 für das erste gesamtdeutsche Parlament, weil die SPD drei Jahre zuvor auf dem Parteitag in Münster die Quotierung eingeführt hatte. „Ich war schon der Meinung, dass die Frauen jetzt auch antreten müssen, nachdem wir die Quote durchgesetzt hatten und jeder dritte Platz mit einer Frau besetzt werden musste“, erinnert sich Ulla Schmidt. So zog die Lehrerin für Sonderpädagogik, Rehabilitation lernbehinderter und erziehungsschwieriger Kinder über den Listenplatz 24 der Landesliste Nordrhein-Westfalen für Aachen in den Bundestag ein. Noch heute erkläre sie jungen Frauen, dass sie anders gar keine Chance gehabt hätte. „Ich bin das, was man als richtige Quotenfrau bezeichnet“, betont Schmidt.

Besonderer Moment im Leben: Ministerin zu werden

Heute ist sie neben CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel die letzte Frau dieser ersten Legislaturperiode nach der Deutschen Einheit und wird im September nicht mehr zur Bundestagswahl antreten, obwohl sie die Arbeit immer gerne gemacht hat. „Ich habe noch nie einen Tag bereut“, versichert sie. Als großen Erfolg sieht sie noch heute die Frauenkonferenz am Chiemsee an, damals war sie Vorsitzende der Querschnittsgruppe Gleichstellung von Frau und Mann und wichtige Ziele der Frauenbewegung waren bis dato noch nicht erreicht.  Initiiert von der SPD-Bundestagsfraktionen trafen sich 1992 Frauen aus allen Parteien sowie Verbänden, Organisationen und Gewerkschaften auf Frauenchiemsee, um für eine Verfassungsänderung des Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes zu kämpfen. Mit Erfolg. Seit 1994 ist der Staat verpflichtet, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern aktiv zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. „Das ist noch heute die Grundlage für alle positiven Entscheidungen und Beschlüsse“, erklärt Schmidt.

Froh ist sie auch, dass es ihr trotz aller Angriffe und Forderungen nach Teilprivatisierungen aus der Union in der Zeit als Bundesgesundheitsministerin gelungen ist, das solidarische Gesundheitswesen zu erhalten und eine Versicherungspflicht für alle einzuführen. Ihre Nachfolger im Amt des Bundesministers für Gesundheit zehren noch immer von den Erfolgen der Jahre bis 2009, so Schmidt. Auch Maßnahmen der Qualitätssicherung und der Ausbau der Palliativversorgung zählt sie als Erfolg. Überhaupt erinnere sie sich gerne an den Moment, als sie 2001 Ministerin wurde. „Plötzlich vor so einer Aufgabe zu stehen, das ist schon ein besonderer Moment“, erzählt sie. Im Amt blieb sie bis 2009.

Engagement für Menschen mit Behinderungen

Toll seien aber auch die Augenblicke gewesen, in denen man endlich eine Mehrheit für etwas erstreiten konnte, für das man lange gekämpft habe. Als Beispiel nennt Schmidt das Wahlrecht für Menschen mit umfassender Betreuung, für das sie sich zehn Jahre lang eingesetzt habe. Und sie sei froh, dass sie in ihrem Engagement für Menschen mit Behinderungen gemeinsam mit der damaligen Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles das Bundesteilehabegesetz durchsetzen konnte, „gegen alle Widerstände, die es gab.“ Heute sei es Grundlage für viele Dinge in der Frage der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen. „Für uns als SPD war das ein großer Erfolg, auch, dass wir so hartnäckig waren.“

Die politische Agenda der Sonderpädagogin ist geprägt von sozialen Aspekten und einer inklusiven Politik, die von der Vielfalt des menschlichen Lebens ausgeht. Was sie aktuell noch umtreibt und sie gerne erreicht hätte? „Ich hätte gerne die Bürgerversicherung umgesetzt“, erklärt sie. Weil sie weiß, wie wichtig es ist, dass sich alle Bürgerinnen und Bürger zu gleichen Bedingungen an der Finanzierung beteiligen. So aber würde die private Versicherung weiterhin das Geld auf der Bank sammeln und die gesetzliche müsse das Geld ausgeben, kritisiert sie. „Wenn wir hingegen heute die Bürgerversicherung in der Pflege hätten, könnten wir die Infrastruktur gut festigen und alle Menschen, die den Pflegeberuf ergreifen, so gut finanzieren, dass die Pflege auch in Zukunft gesichert wäre“, ist Schmidt überzeugt und bedauert, dass die Einführung seinerzeit an der CDU gescheitert sei.

Schmidt: Bleibe dem Parlament verbunden

Doch Ulla Schmidt weiß, dass Politik nur funktioniert, „wenn wir bereit sind, Kompromisse zu machen.“ Auch deshalb gebe sie der vor 33 Jahren in Aachen geborenen Ye-One Rhie, Helene-Weber-Preisträgerin und ihre Nachfolgerin im Wahlkreis, gerne das Zitat der amerikanischen Juristin Ruth Bader Ginsburg mit auf dem Weg, die sagte: „Kämpfe für das, was dir wichtig ist, aber kämpfe so, das andere sich dir anschließen können“. Ebenso wichtig sei, immer ein offenes Ohr für die Belange der Menschen zu haben. „Auch wenn man nicht alle Probleme lösen kann, muss man sich darum kümmern, was die Menschen für Sorgen haben“, betont sie.

Für Schmidt geht nach der Bundestagswahl im Herbst eine bewegte Zeit zu Ende, doch sie hat noch vieles vor. In ihrer Region Aachen unterstützt Schmidt viele Vereine, ist u.a. Kuratoriumsvorsitzende der Hospizstiftung und Mitglied im transatlantischen Bündnis Atlantik-Brücke e.V.. Auch dem Parlament bleibe sie verbunden, denn sie werde erneut für den Bundesvorsitz der Bundesvereinigung Lebenshilfe kandidieren. Schmidt: „In diesem Bereich gibt es noch einiges, was ich machen will und im Parlament habe ich Verbündete dafür.“

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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