Thomas Losse-Müller: „Es gibt den Wunsch nach einem Politikwechsel“
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In gut vier Wochen wird in Schleswig-Holstein gewählt. Wie groß ist die Anspannung auf der Zielgeraden?
Anspannung spüre ich nicht, eher freudige Konzentration. Ich bin sehr viel unterwegs und habe jeden Tag vier bis fünf wirklich spannende Wahlkampftermine. Am Samstag findet unser offizieller Wahlkampfauftakt mit Olaf Scholz in Lübeck statt. Je näher der Wahltag rückt, desto weiter wird sich die Taktzahl erhöhen. Es macht aber viel Spaß.
Wie erleben Sie die Menschen, die Sie treffen?
Als sehr interessiert. Die SPD in Schleswig-Holstein hat sich ja inhaltlich neu aufgestellt. Wir haben bewusst eine Menge Zeit und Energie in die Erarbeitung unseres Wahlprogramms gesteckt und verfolgen in vielen Fragen einen neuen Ansatz. Das haben die Menschen mitbekommen und deshalb gibt es viele interessierte Nachfragen. Das freut mich sehr.
Wie reagieren die Menschen auf Sie persönlich?
Meistens sind sie sehr offen und neugierig. Vielen bin ich ja auch noch nicht so bekannt. Deshalb müssen sie mich erstmal kennenlernen, haben aber dadurch auch noch kein festgefügtes Bild von mir. Erst jetzt beginnen die Formate, in denen ich einer breiteren Öffentlichkeit bekannt werde, etwa die beiden Fernseh-Trielle mit den anderen Spitzenkandidaten.
Eine richtige Wechselstimmung macht sich in Schleswig-Holstein bisher nicht bemerkbar. Wie wollen Sie das bis zum 8. Mai ändern?
Ich denke, da muss man differenzieren: Es gibt zwar eine große Zustimmung zur regierenden Jamaika-Koalition. Bei den Themen sehe ich aber eine große Unzufriedenheit und den Wunsch nach einem Politikwechsel, sei es beim Ausbau der Windenergie, dem Kampf gegen steigende Mieten, der Abschaffung Kita-Gebühren oder der Entlohnung von Arbeit nach Tarif. In all diesen Fragen machen wir gute Angebote. Und das kommt bei den Menschen auch an.
Großes Thema der Klausur des Parteivorstands der Bundes-SPD am Wochenende war die Transformation der Gesellschaft. Was bedeutet sie für Schleswig-Holstein?
Schleswig-Holstein gilt bundesweit als das Vorreiterland der Energiewende. Hier weht gefühlt immer der Wind. Doch dieses Bild stimmt nur bedingt. Unter der Jamaika-Regierung kam der Ausbau der Windkraft quasi zum Erliegen. Hinzu kommt, dass die Nachfrage nach Strom in den nächsten Jahren auch bei uns deutlich zunehmen wird. Noch entscheidender wird aber sein, andere Infrastrukturen aufzubauen. Wir brauchen beispielsweise landesweit 20.000 Ladesäulen für Elektroautos. Im Moment haben wir gerade mal 2.000. Ähnliches gilt im Gebäudebereich. Es ist schlicht unbezahlbar, wenn jeder Hausbesitzer sein Haus massiv dämmen und eine Wärmepumpe einbauen soll. Deshalb wollen wir gemeinschaftliche Infrastrukturen wie Wärmenetze. In unserem Nachbarland Dänemark haben bereits 60 Prozent aller Haushalte Anschluss an ein Wärmenetz. Das wollen wir auch schaffen.
Verändern der Krieg in der Ukraine und die steigenden Energiepreise das Bewusstsein dafür?
Ja, auf jeden Fall. Die Menschen wollen raus aus fossilen Energien. Betriebe berichten, dass die Aufträge seit einigen Wochen durch die Decke gehen, sei es für Solaranlagen oder Wärmepumpen. Allerdings sind das alles Menschen, die ein Haus besitzen und sich die Umrüstung leisten können. Wenn sich zu viele für individuelle Lösungen entscheiden, fehlt irgendwann die kritische Masse, um etwa ein Wärmenetz aufzubauen, von dem die finanziell schlechter Gestellten auch profitieren würden. Als Ministerpräsident werde ich deshalb sehr schnell eine Strategie für die Wärme- und Energieversorgung vorlegen, damit die Menschen planen können und niemand auf der Strecke bleibt.
Die Grünen regieren in Schleswig-Holstein mit. Trotzdem scheint der Klimaschutz im Land ins Hintertreffen geraten zu sein.
Das ist leider so. In der Küstenkoalition haben wir gemeinsamen mit den Grünen Klimaziele für Schleswig-Holstein Klimaziele festgelegt, die die Jamaika-Koalition jetzt klar verfehlt. Im Land wurden im vergangenen Jahr drei Millionen Tonnen mehr CO2 ausgestoßen als wir sollten. Der Landesregierung fehlt der Mut, hier klar gegenzusteuern. Hinzu kommt, dass die CDU den Ausbau der Erneuerbaren Energien gestoppt hat. Es gab im Januar 2022 keine einzige Windkraftanlage mehr im Land als Ende 2017. Das ist unverantwortlich. Ich sage deshalb ganz klar: Wenn die SPD regiert, werden wir die Klimaschutzziele umsetzen.
Das müsste den Grünen ja eigentlich gefallen.
Das denke ich auch. Für die SPD ist allerdings wichtig, dass Klimaschutz weder ein Lifestyle-Produkt ist, das man sich im Bioladen kauft, noch etwas, das sich durch irgendeine Zaubertechnologie erreichen lässt. Entscheidend ist deshalb die Frage, ob die Grünen bereit sind, wirklich umzusteuern und die Infrastruktur aufzubauen, die für echten Klimaschutz notwendig ist.
Lassen sich für Sie Lehren aus dem guten Abschneiden der SPD im Saarland ziehen?
Die absolute Mehrheit für Anke Rehlinger gibt kräftig Rückenwind! Auch wenn wir in Schleswig-Holstein nicht auf die absolute Mehrheit schielen, ziehe ich aus dem Wahlerfolg im Saarland zwei wichtige Lehren: Zum einen hat auch dort die Transformation im Wahlkampf eine wichtige Rolle gespielt, zum anderen haben Landesthemen die Wahl entschieden. Das macht sich auch in unserem Landtagswahlkampf bemerkbar und da haben wir als SPD die besseren Konzepte.
Sie haben den Wahlkampfauftakt am Samstag bereits erwähnt: Was erwarten Sie von Olaf Scholz am Samstag in Lübeck?
Dass er ganz deutlich macht, was in der Welt gerade passiert und wie seine Bundesregierung dafür sorgt, dass bei uns niemand Schaden nimmt. Wir leben ja in weltpolitisch bewegten Zeiten wie lange nicht. Ich bin mir sicher, dass Olaf Scholz da auch in Lübeck Orientierung geben wird. Er wird zudem deutlich machen, dass die Zukunfts-Missionen der Ampel in Berlin nur dann erfolgreich sein werden, wenn wir sie auch in den Ländern mit aller Kraft verfolgen. In Schleswig-Holstein geht es am 8. Mai um eine Koalition, die gesellschaftlichen Fortschritt organisiert. Die führt der Bundeskanzler in Berlin gerade an. Ich freue mich deshalb sehr auf Olaf Scholz‘ Besuch.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.