verdi-Tarifkommission

Tarifvertrag Pflege: So nimmt verdi Arbeitgeber in die Pflicht

Vera Rosigkeit30. Januar 2019
Mindestens 16 Euro pro Stunde sollen Pflegefachkräfte verdienen. Die Gewerkschaft verdi kämpft für einen bundesweiten Tarifvertrag
Viele Arbeitgeber, unterschiedliche Interessen – in der Altenpflege steht es mit den Arbeitsbedingungen nicht zum besten. Vor allem kommerzielle Pflegekonzerne verweigern Tarifverhandlungen. Warum es schwierig ist, einen bundesweiten Tarifvertrag durchzusetzen, erklärt verdi-Vorstand Sylvia Bühler im Interview.

16 Euro Stundenlohn, 30 Urlaubstage im Jahr und gleiche Bezahlung in Ost und West – das sind einige Forderungen von ver.di für einen Tarifvertrag in der Pflege. Ist das ein Fortschritt?

In kommunalen Pflegeeinrichtungen verdienen die Beschäftigten genauso viel wie in einem tarifgebunden kommunalen Krankenhaus. Viele Arbeitgeber, insbesondere kommerzielle Pflegekonzerne, verweigern jedoch Tarifverhandlungen. Eine Konsequenz: In vielen stationären Einrichtungen und ambulanten Pflegediensten bekommen Pflegehilfskräfte gerade mal den Pflegemindestlohn von derzeit 11,05 Euro im Westen und 10,55 Euro im Osten. Pflegefachkräfte werden oft mit 12 Euro pro Stunde abgespeist. Um jedoch in einer älter werdenden Gesellschaft genügend Arbeitskräfte für dieses relevante Arbeitsfeld zu gewinnen, braucht es neben mehr Personal flächendeckend eine bessere Bezahlung. Deshalb fordert die ver.di- Bundestarifkommission Altenpflege einen Tarifvertrag, der Mindestbedingungen regelt.

Welche Bedingungen sind Voraussetzung?

Mindestens 16 Euro pro Stunde für Pflegefachkräfte mit einer Steigerung der Vergütung bei Berufserfahrung, dies gilt ebenso für Pflegehilfskräfte, hier soll der Einstieg bei mindestens 12,84 Euro liegen. Es soll keine Unterscheidung zwischen Ost und West geben, 30 Tage Urlaub, Überstundenzuschläge und Urlaubsgeld. Es gibt auch Forderungen zur Sicherheit und zum Gesundheitsschutz, wie die, dass niemand alleine in einer Schicht arbeiten darf. Der Tarifvertrag soll für alle Beschäftigten gelten, nicht ausschließlich für die Pflege. Eine Umsetzung unserer Forderungen wäre für viele Beschäftigte eine Steigerung von 30 Prozent und damit ein großer Fortschritt. Sobald der neue Arbeitgeberverband gegründet ist, kann es mit den Verhandlungen losgehen. Wir sind startklar. Unsere bestehenden besseren Tarifverträge bleiben natürlich weiterbestehen. 

Wie wird sich dieser neue Arbeitgeberverband zusammensetzen?

Vor allem wollen sich weltliche Wohlfahrtverbände zusammenschließen, aber auch andere Arbeitgeber sollen sich anschließen können. Das liegt aber alles ausschließlich in der Hand der Arbeitgeber.

Das klingt kompliziert. Warum ist es so schwierig, einen flächendeckenden Tarifvertrag in der Pflege durchzusetzen?

Es gibt nicht den einen Arbeitgeberverband, mit dem ver.di für die gesamte Altenpflege verhandeln könnte. Die Landschaft ist völlig zersplittert. Bei Haustarifverhandlungen müssen die Beschäftigten oft wochenlang streiken, damit der Arbeitgeber überhaupt an den Verhandlungstisch kommt. Mit Häuserkampf ist dieses gesellschaftlich so relevante Arbeitsfeld nicht zu ordnen. ver.di versucht deshalb seit Jahren, über die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen und die Pflegemindestlohnkommission bessere Bedingungen einzuführen. Vor allem die privaten Arbeitgeber blockieren. Sie fürchten um ihre hohen Renditen. Deshalb ist der Ansatz nun, sie mit Hilfe des Arbeitnehmerentsendegesetzes zu besseren Löhnen zu verpflichten. Unter anderem braucht es dazu ein öffentliches Interesse, das dürfte aber in der Altenpflege nicht strittig sein. Es ist der Grundstock, wir können dann noch umfassendere Tarifverträge draufsetzen.

Sind die kirchlichen Träger mit im Boot?

Da gibt es verbandsintern offensichtlich noch einiges an Diskussionsbedarf. Die Diakonie Württemberg hat sich gerade zu dem Projekt öffentlich kritisch geäußert, ohne jedoch zu sagen, mit welchen Mitteln sie den ruinösen Wettbewerb in der Altenpflege sonst beenden will. Die Wohlfahrtsverbände insgesamt und vor allem die großen Trägergruppen Caritas und Diakonie haben eine besondere Verantwortung für die Ausgestaltung des Sozialstaates. Wer es sich hier mit den kirchlichen Sonderrechten bequem macht und sagt, der Rest interessiert mich nicht, hat den Ernst der Lage nicht verstanden. Ich setzte darauf, dass die großen Wohlfahrtsverbände ihrer gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung gerecht werden. Wir suchen gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden nach einer Lösung, wie die kirchlichen Träger angemessen eingebunden werden können. Aus meiner Sicht haben wir den Schlüssel dazu schon in der Hand.

Wie stehen die Chancen, dass das klappt?

Alle Beteiligten wissen, dass es zeitnah eine Lösung braucht, wenn die Altenpflege flächendeckend ein attraktives Arbeitsfeld werden soll. Im Koalitionsvertrag steht, dass in der Altenpflege flächendeckend Tarifverträge zur Anwendung kommen sollen. Dafür will der Gesetzgeber die Voraussetzungen schaffen. ver.di tut alles dafür, damit dieses wichtige Vorhaben umgesetzt werden kann. Gut, wenn begleitend die notwenige Reform der Pflegeversicherung angepackt wird. Höhere Löhne dürfen nicht zu einer höheren finanziellen Belastung der Pflegebedürftigen führen. ver.di fordert eine Pflegevollversicherung, ergänzt durch das Modell der Bürgerversicherung.

Sylvia Bühler

ist Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes. Sie ist Leiterin des Fachbereiches Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen und zuständig für Gesundheitspolitik

Was muss sich in der Pflege ändern?

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Kommentare

Auch Pflegenetzwerke im Quartier !!!

Ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag Pflege ist überfällig und braucht natürlich parallel eine Anforderungskatalog bezüglich Mindestbesetzung bei Pflege, mediz.Versorgung Betreuung und Hygiene. Die auch ohne Unterbestzung schon hohen körperlichen und psychischen Belastungen des Pesonals müssen durch entsprechende Anforderungen an Erholungs- und Urlaub entsprechend berücksichtigt werden, genauso wie durch Anspruch auf Sport- und Entspannungsprogramme zum Erhalt der Leistungsfähigkeit und Gesundheit (was eigentlich schon imueigentsten Interesse des Arbeitgebers liegen müsste ! Maximalrenditen von ausbeuterischen Pflegekonzernen muss ein wirksamer Riegel vorgeschoben werden. Mit dem Geld der Versicherten darf kein Missbrauch getrieben werden. Was den aktuellen katastrophalen Zustand in vilene Pflegeeinrichtungen anbelangt, wo das aus Mangelwirtschaft folgende schlechte Betriebsklima durch Kündigungswellen oft nahe an die Schließung der Einrichtung reicht, wird allein bessere Bezahlung und bessere Fürsorge für´s Personal nicht zur Lösung führen, allein weil es weiterhin an Personal mangeln wird.
Deshalb muss a. die häusliche Pflege massiv a. durch Netzweke unterstützt werden!!

Tarifvertrag Pflege

Hierzu kann man ver.di nur viel Erfolg wünschen. Denn eine ordentliche Bezahlung in der Pflege ist überfälliger denn je; nur auf diese Weise können auch mehr Menschen für diesen Beruf gewonnen werden.

Schwierig ist die Tarifforderung deshalb, weil es eine Vielzahl privater Pflegedienste gibt, die sich einem Tarifvertrag entziehen. Gerade deshalb sollten die kommunalen und kirchlichen Träger zu dem geforderen Tarifvertrag bereit sein, um diese gegenüber den privaten Diensten attraktiver zu machen.

Natürlich ist auch die Politik aufgerufen, die ver.di-Forderung zu unterstützen, wobei zwar nicht mit Spahn und der Union zu rechnen ist, aber umso mehr sollte die SPD-Fraktion sich hinter ver.di stellen.

Prozesspolitik als sozialdemokratisches Prärogativ Teil 1

Der Pflegebereich ist neben dem Einzelhandel und dem Sicherheitsgewerbe ein Musterbeispiel des Zusammenspiels politischer Teilhabe, tariflicher und betrieblicher Mitbestimmung und ihrer Herausforderung.

Die verfassungsrechtlichen Verpflichtung nach Artikel 72 GG bzw. § 2 (1) ROG wird zwar subsidiär unterschieden. Politik, tarifliche und betriebliche Sozialpartnerschaft haben in ihren Bereichen zu wirken. Erst ihr Zusammenwirken erfüllt jedoch die grundgesetzliche Verpflichtung und ihr Auswirkungsgesetz.

Das heißt aber auch, dass die jeweiligen Parteien miteinander arbeiten müssen, nicht gegeneinander, nicht aneinander vorbei und vor allen Dingen ihre Arbeit nicht zum eigen Vorteil verweigern dürfen. Ver.di wie andere DGB Gewerkschaften und die entsprechenden gesetzlichen Interessenvertreter leisten seit einiger Zeit ihren Beitrag.

Allerdings wird dies schon länger von den Arbeitgebern und ihren Verbänden verweigert. Gestützt werden diese durch Teile von Parteien und auch die deutsche Sozialdemokratie hat sich hier in ein gefährliches Fahrwasser begeben, aus dem sie sich nur selbst befreien kann.

Prozesspolitik als sozialdemokratisches Prärogativ Teil 2

Das geht allerdings nicht mit Lippenbekenntnissen, leichtfertigen Annahmen von Geldspenden aus der Wirtschaft, unüberlegter Zusammenarbeit mit der Wirtschaft durch Leihbeamte in Ministerien, das Erstellenlassen von Gesetzesentwürfen durch externe Rechtsanwaltskanzleien sowie der inflationäre Gebrauch von Bundestagsausweisen durch Wirtschaftslobbyisten ohne prozesspolitischen Ausgleich für Arbeitnehmer[innen] und ihre Verbände.

All das hat die SPD nicht erfunden, allerdings sich hiervon auch nur halbherzig bis hin gar nicht distanziert. Auf dieser Basis können subsidiär tarifliche und betriebliche Partnerschaften nicht funktionieren. Ihre Bemühungen laufen ins Leere. Tarifflucht durch o.T. [ohne Tarifbindung] Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden und Mitgliederschwund der DGB Gewerkschaften sind die Folge und bleiben folgenlos.

Wohin also des Weges deutsche Sozialdemokratie?

Der Herr Spahn hat da schon einen "Weg"

und zwar "weg" von den "zu teuren" Ausbildungen insoutgesourcete Billiglohnland.
Eine der vielen wenig sympathischen Ideen des Bundesgesundheitsministers ist die Auslagerung der Ausbildung in den Osten der EU gepaart mit dem tollen neuen Einwanderungsgesetz um die zum Dumpinglohn Ausgebildeten dann gleich zum Dumpinglohn als Fachkaräfte zu importieren.

Was auch immer die Reste der Sozialdemokratie in der SPD dagegensetzen wollen, gehört hat man da noch nicht viel.

Ist schon sehr bezeichnend das die "Tarifautonomie" immer mehr zu Ungunsten der Arbeitnehmer gelebt wird, ohne das die Politik da Korrekturbedarf sehen will.

Eine linke Partei hätte

Eine linke Partei hätte diesen Vorschlag von Spahn deutlich kritisieren müssen, da der Vorschlag dazu führt, dass die Löhne in der Pflege niedrig bleiben bzw. noch niedriger werden. Wo war der Aufschrei der SPD?

Die Grünen haben den Vorschlag begrüßt als ein fremdenfreundliches Zeichen. So gesehen muss der Vorschlag und die Reaktion der Grünen als gemeinsames Bollwerk bezeichnet werden.

Eine linke Partei hätte

Ja, eine linke Partei hätte, aber wie so oft, unterbleibt bei den "Ideen" von Spahn meistens der notwendige Aufschrei der SPD. Im Gegensatz dazu wird bei SPD-Vorschlägen immer sofort der Aufschrei der Union laut, wie z.B. bei den Vorschlägen von Heil zur Grundrente.
War nicht vereinbart worden, die Koalition nach zwei Jahren zu überprüfen? Vermutlich wird dies im Vertrauen darauf, dass die Mitglieder und Wähler dies bis dahin vergessen haben, stillschweigend übergangen, und die Koalition mit all ihren Nachteilen bis 2021 fortgeführt. Und dann wundert man sich wieder über das Wahlergebnis.