Studie: So groß war der Einfluss der Jungen bei der Bundestagswahl
imago/Michael Schick
Wieviel Einfluss hatten die jungen Wähler*innen auf den Ausgang der Bundestagswahl im vergangenen Jahr?
Jan Eichhorn: Rein demografisch gesehen sind junge Menschen eine Minderheit in der Wahlbevölkerung. Es gibt in Deutschland deutlich mehr Menschen im Rentenalter als junge Menschen. Quantitativ gesehen ist ihr Einfluss auf das Wahlergebnis dadurch nicht so groß. Entscheidender sind aus meiner Sicht Faktoren, die über das reine Wahlverhalten hinausragen.
Welche sind das?
Eichhorn: Wir stellen bereits seit Jahren fest, dass Politik junge Menschen und ihre Anliegen ernster nimmt, umso mehr diese zur Wahl gehen. Gerade deshalb ist die Beteiligung junger Menschen an Wahlen sehr wichtig, wenn sie ihren Anliegen Gehör verschaffen wollen.
Es macht also durchaus einen Unterschied, ob junge Menschen wählen gehen oder nicht?
Yvonne Lehmann: Ja, auf jeden Fall. Gerade weil die jungen Menschen demografisch nicht so viel Gewicht in die Waagschale werfen, ist es umso wichtiger, sie und ihre Anliegen zu verstehen und sie fit zu machen in Fragen der politischen Bildung. Das ist das Ziel unserer Seminare bei der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die neue Studie hilft uns sehr, diese passend auszurichten.
Eichhorn: Auch wenn der Einfluss der jungen Menschen auf das Wahlergebnis begrenzt ist: Je mehr sich von ihnen beteiligen, desto mehr Einfluss können sie auf die Debatte haben. Das bedeutet z.B., dass sie Einfluss auf ihre Eltern und deren Wahlverhalten haben können und dass Politiker*innen stärker auf ihre Vorstellungen und Bedürfnisse eingehen. Das ist ein Faktor, der nicht zu unterschätzen ist.
Lehmann: Wieviel Kraft junge Menschen haben können, hat ja z.B. die Fridays-for-Future-Bewegung gezeigt. Dass der Klimaschutz bei der der Bundestagswahl eine so große Rolle gespielt hat, war kein Zufall.
Auch wenn die Wahlbeteiligung unter jungen Menschen zunimmt, liegt sie trotzdem noch deutlich unter dem Durchschnitt. Was hält junge Menschen davon ab, zur Wahl zu gehen?
Eichhorn: Es liegt auf jeden Fall nicht daran, dass sie Politik doof oder uninteressant finden. Gerade im Leben der Menschen Anfang 20 passiert wahnsinnig einfach sehr viel zur selben Zeit: das Ende der Ausbildung, der erste Job, die erste Wohnung – alles Dinge, die sie davon abhalten können, zur Wahl zu gehen. Das ist übrigens ein weltweites Phänomen. Allerdings ist diese Lücke heute deutlich geringer als sie es noch vor einigen Jahren war. Die Wahlbeteiligung unter den jungen Menschen wächst seit Jahren und die Lücke zu den älteren Wahlberechtigten schließt sich mehr und mehr. Ein wichtiges Instrument gegen eine geringere Wahlbeteiligung junger Menschen ist übrigens, wenn sie schon mit 16 wählen können.
Wieso?
Eichhorn: Wenn junge Menschen bereits mit 16 oder 17 wählen dürfen, starten sie meist von einem höheren Beteiligungsniveau. Der Einbruch mit 19 oder 20, wenn viele Dinge gleichzeitig passieren, ist danach nicht so groß. Wer früher wählen darf, wird das mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch über die erste Wahl hinaus tun. Unsere Zahlen aus Deutschland decken sich da mit Erhebungen aus Schottland, Österreich und Südamerika.
Lehmann: Gerade deshalb ist es aus unserer Sicht auch so wichtig, dass die Ampel das Wahlalter 16 im Koalitionsvertrag stehen hat. Viele junge Menschen warten darauf.
Kritiker*innen sagen, 16-Jährige seien noch nicht so gut informiert, wüssten also vielleicht nicht, was sie tun, wenn sie ihr Kreuz machen.
Eichhorn: Das Argument wird tatsächlich oft vorgebracht, stimmt aber so nicht. 16-Jährige informieren sich meist differenzierter als ältere Wähler*innen über die Parteien und ihre Programme, wenn sie das Wahlrecht haben. Das bedeutet aber auch, dass sie weniger festgelegt sind. Für die Parteien bedeutet das, dass junge Menschen besser erreichbar sind für Argumente, aber auch, dass sie ihre Parteipräferenz auch schnell wieder ändern können.
Bei der Bundestagswahl lagen Grüne, FDP und SPD bei jungen Wähler*innen ganz vorn. Was haben die Parteien richtig gemacht?
Eichhorn: Neben den Themen war ganz entscheidend, dass sich die jungen Wähler*innen von den Parteien als junge Leute angesprochen gefühlt haben. Das ist den Grünen im vergangenen Bundestagswahlkampf vor allem bei jungen Frauen und der FDP bei jungen Männern gut gelungen. Im Bundestagswahlkampf 2017 war hier noch die CDU sehr erfolgreich. Die Grünen konnten vor allem mit dem Klima-Thema punkten, die FDP mit der Digitalisierung. Neben den Themen haben auch die Kampagnen der Parteien bei den jungen Menschen verfangen.
Lehmann: Bei den Themen spielte auch Corona eine wichtige Rolle. Da gerade junge Menschen sich während der Pandemie stark einschränken mussten, dürfte die Haltung der FDP viele von ihnen angesprochen haben.
Welchen Themen haben darüber hinaus für junge Menschen eine Rolle gespielt?
Eichhorn: Klimaschutz war durch die Bank das mit Abstand wichtigste Thema. Daneben standen die Digitalisierung, bezahlbares Wohnen und soziale Fragen im Mittelpunkt. Bei den jungen SPD-Wähler*innen z.B. gab es nach dem Klimaschutz drei gleichermaßen wichtige Themen: Corona, soziale Fragen und Demokratie. Bei den FDP-Wähler*innen folgten auf den Klimaschutz Wirtschaft und Corona. Daran sieht man, dass es bei jungen Menschen natürlich Gemeinsamkeiten gibt, sie aber bei weitem keine homogene Gruppe sind.
Lehmann: Für die Politik kann es deshalb durchaus sinnvoll sein, den Klimaschutz mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit zu verbinden, wie es die SPD im Bundestagswahlkampf getan hat. Auch junge Menschen nehmen Unterschieden zwischen den Parteien wahr – das ist eine Botschaft dieser Studie.
Eichhorn: Das stimmt. Für junge SPD-Wähler*innen ist die Verknüpfung zwischen Klimaschutz und sozialen Fragen besonders wichtig. Das bedeutet nicht, dass sie das eine Thema gegen das andere ausspielen! Sie wollen nur, dass beide Aspekte berücksichtigt werden.
Würden Sie so weit gehen und sagen: Die Ampel ist die Koalition der jungen Menschen?
Eichhorn: Diese Aussage geht etwas zu weit. Die Ampel deckt zwar eine Vielzahl junger Menschen in ihren Interessensprofilen ab. Es gibt aber durchaus einen substanziellen Anteil an jungen CDU-Wähler*innen, denen andere Themen wichtiger sind als den Jung-Wähler*innen der Ampel, Zuwanderung zum Beispiel. Zutreffend ist aber, dass die Ampel die Ansichten einer Vielzahl junger Leute abdeckt, ohne dass wir dabei vergessen sollten, dass es auch junge Menschen mit konservativem Weltbild gibt. Und: Junge Wähler*innen sind bei weitem nicht so festgelegt wie ältere: Wechsel zwischen Parteien kommen hier viel häufiger vor als im fortgeschrittenen Alter.
Wie sollten die Parteien darauf reagieren?
Eichhorn: Vor allem nicht, indem sie es als mangelnde Reife der jungen Menschen interpretieren. Sie sind stattdessen offen für Argumente und unterschiedliche Meinungen. Für Politikschaffende bedeutet das, dass sie die Gruppe der Jungen nicht aufgeben sollten, nur weil sie einmal nicht so gut bei ihnen abgeschnitten haben. Bei der nächsten Wahl kann es schon wieder ganz anders aussehen. Entscheidend ist, dass sie sich weiter um die jungen Wähler*innen kümmern und ihnen Angebote machen.
Lehmann: „Diese jungen Leute“ gibt es ohnehin nicht. Wir sprechen hier von Menschen zwischen 18 und 29. Zwischen den Interessen liegen da oft Welten, auch wenn sie von Alter her nur ein paar Jahre auseinander sind. Wenn sich die Lebensumstände ändern, blickt man auch anders auf Politik, einfach weil sich die Prioritäten verschieben.
Gibt es trotzdem etwas, das sich die Parteien zu Herzen nehmen sollten, wenn sie junge Menschen erreichen wollen?
Eichhorn: Wichtig ist, junge Leute nicht nur als junge Leute zu betrachten. Auch junge Menschen haben vielfältige Sichtweisen auf viele Themen. Sie sind eben nicht nur jung, sondern auch arm, reich, gut oder schlecht ausgebildet oder haben unterschiedliche Identitäten. All das hat einen Einfluss auf die Wahlentscheidung. Trotzdem wollen sie auch als junge Leute wahrgenommen und so angesprochen werden, dass sie sich ernstgenommen fühlen. Dazu gehört, dass sie nicht bevormundet werden wollen. Wer junge Menschen als Politiker*in ernst nimmt, redet mit ihnen nicht nur über Klimaschutz und Jugendclubs, sondern über all das, was auch andere Wähler*innen bewegt – aber eben mit einem Fokus auf ihrer Lebenswirklichkeit.
Die Studie gibt es hier zum Download.
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Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.