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Warum SPE-Spitzenkandidat Frans Timmermans die Menschen in Europa begeistert

Seit Wochen reist SPE-Spitzenkandidat Frans Timmermans für seinen Wahlkampf kreuz und quer durch Europa. Egal ob in der Warschauer U-Bahn oder bei den Jusos: Bei denen, die ihn treffen, springt der Funke über. Auch deshalb, weil Timmermans ihre Sorgen ernst nimmt.
von Karin Nink · 7. Mai 2019
Standing Ovations in Barcelona: SPE-Spitzenkandidat Frans Timmermans mit dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez
Standing Ovations in Barcelona: SPE-Spitzenkandidat Frans Timmermans mit dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez

Unter den Klängen von Bruce Springsteen taucht Franciscus Cornelis Gerardus Maria, kurz „Frans“ Timmermans, in ein Meer aus katalanischen und europäischen Fahnen ein, als er am 25. April die ehemalige Olympia-Halle am nördlichen Stadtrand von Barcelona betritt. Der SPE-Spitzenkandidat für die Europawahl hat es sich nicht nehmen lassen, den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez drei Tage vor der Parlamentswahl noch einmal bei einer Wahlveranstaltung der Katalanischen Sozialdemokraten (PSC) zu unterstützen.

Standing Ovations für Frans Timmermans

Der Jubel ist groß, als der Niederländer, der sechs Sprachen fließend spricht, aber eben nicht Spanisch und Katalanisch, seine Rede dennoch abwechselnd in den beiden Sprachen hält. Er wirbt um die Unterstützung der sozialdemokratischen Katalanen für Sánchez – waren doch die katalanischen Unabhängigkeitsparteien dafür verantwortlich, dass Sánchez Neuwahlen ausrufen musste. Timmermans stärkt gleichermaßen den Stolz der Katalanen und der Spanier: „Das Europa, das ich will, muss ein Spiegelbild des fortschrittlichen Kataloniens und Spaniens sein!“ Und er wirbt mit seiner Bürgernähe für ein den Menschen zugewandtes Europa. Timmermans weiß: Ein Wahlerfolg der spanischen PSOE kann auch den europäischen Sozialdemokraten noch mal einen Schub für die Europawahl geben.

Standing Ovations sind Timmermans von den rund 4.000 Zuhörerinnen und Zuhörern sicher, als er der extremen Rechten, die auch in Spanien an Terrain gewinnt, eine klare Abfuhr erteilt. „Niemals und unter keinen Umständen werde ich mit den Rechtsradikalen paktieren!“ Er heizt den Saal an, indem er den Genossinnen und Genossen am 25. April, „am Tag der Befreiung in Italien und Portugal“ zuruft: „Es gibt etwas, an dem es in der europäischen Sozialdemokratie nie einen Zweifel gab: Wir waren und werden immer aufrechte Antifaschisten sein.“ Wieder erhebt sich das Meer der gelb-roten und blau-gelben Fahnen – voller Stolz und Zustimmung.

Auch bei den Jusos springt der Funke über

Timmermans reist für seinen Wahlkampf kreuz und quer durch Europa. Drei Wochen vorher und kurz vor dem ersten TV-Duell mit seinem konservativen Konkurrenten ist er zum Auftakt des Jugendwahlkampfes der Jusos im Berliner Willy-Brandt-Haus. Lässig in Jeans, Sneakers und blauem Polohemd verzichtet er auf das große Begrüßungs-Brimborium: Ein kurzes Handheben zur Begrüßung des Plenums. Den zugewiesenen Platz einnehmen. Zuhören – und geduldig warten, bis die Fragerunde mit SPD-Spitzenkandidat Udo Bullmann vorbei ist.
Einmal auf der Bühne aber dauert es dann nur Sekunden, bis Timmermans sich den Raum erobert und ihn für sich einnimmt. Schnell springt der Funke zum Publikum über. Die jungen Zuhörerinnen und Zuhörer spüren die Empathie des 57-Jährigen. „Der mag Leute“, sagt einer, der ihn im Wahlkampf begleitet.

Und so sucht Timmermans während seiner Kampagne ganz bewusst den Kontakt zu den Menschen. Am liebsten zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Noch vor der heißen Wahlkampfphase war er in 30 europäischen Städten und hat sich mit Leuten getroffen. Von Helsinki nach München. Von München nach Athen. Die „Tour de Frans“ geht immer wieder kreuz und quer über den Kontinent: „Jung und alt. Frauen und Männer. Ost und West. Das ist Europa. Das ist mein Wahlkampf. Das sind die Europäer und das ist das Europa, für das ich stehe“, postet er in seiner Heimatstadt Heerlen, als die Kampagne startet.

Ein Klares Bekenntnis zur Gleichstellung

Bei seinen Reisen hört er „viel mehr dieselbe Frage, als ich das am Anfang gedacht habe“. Es ist die Frage nach mehr sozialer Gerechtigkeit. „Überall ist das Gefühl, diese Gesellschaft ist nicht fair“, erzählt er. „‚Ihr seid in der Lage Banken zu retten, aber was tut ihr für uns in Europa?‘, fragen mich die Leute“, so Timmermans. Da hält er gegen mit dem SPE-Wahlprogramm „Gerecht, frei und nachhaltig“. Nachhaltigkeit bezieht er dabei nicht nur auf Fragen der Ökologie sondern auf alle Politikfelder. „Wir müssen nachhaltige Politik konkret übersetzen, damit die Leute spüren: Ich habe Einfluss, ich persönlich.“

Er sei ein „männlicher Feminist“ sagt Timmermans von sich selbst. Und das ist für ihn mehr als ein griffiger Spruch. So deutlich wie der Niederländer hat sich bisher kein EU-Kandidat für die Gleichstellung eingesetzt. Und so ist es nur konsequent, dass er am 8. März beim großen Frauenmarsch in Madrid dabei ist. „Somos Feministas – Wir sind Feministinnen“ skandieren die Frauen. Der „männliche Feminist“ mittendrin. Denn es ist auch ein ganz persönliches Bekenntnis des vierfachen Vaters. „Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass meine Tochter weniger Rente bekommen soll als mein Sohn“, ruft er vier Wochen später den Jusos in Berlin zu. „Ich bin davon überzeugt, dass es Millionen Frauen in ganz Europa gibt, die für ein feministisches Europa stimmen werden, das ihre Rechte verteidigt und das die rückwärtsgewandte Politik der Rechtspopulisten ablehnt.“

Gespräche in der U-Bahn

Von Berlin aus fährt Timmermans weiter nach Warschau. Dort redet er in einer neuen, von der EU finanzierten U-Bahn mit den Fahrgästen. Die Frage der Rechtsstaatlichkeit in Polen ist hier angesichts der wachsenden Einschränkungen durch die nationalkonservative Regierung ein großes Thema. Gleiches hat Timmermans schon in Ungarn erlebt.

In allen seinen Gesprächen fällt dem SPE-Spitzenkandidaten auf: Zum ersten Mal verbinden die Leute die wesentlichen Fragen mit Europa. „Die Schicksalsfragen zu Wohnen, Gesundheit, Bildung, Arbeit, Sicherheit sind noch vor fünf Jahren nationale Fragen gewesen.“ Damit ist es vorbei. „Jetzt haben die Leute gefühlsmäßig begriffen, dass wir alle in einem Boot sitzen“, sagt er. Für progressive Optimisten wie die Sozialdemokraten sei das eine gute und erstrebenswerte Sache. Pessimistische Menschen hingegen verunsichere das, sie seien dadurch anfällig für die Parolen der Rechtsradikalen. Aber auch solche Menschen will Timmermans erreichen: „Ich bin überzeugt, dass es eine stille Mehrheit von Europäern gibt, die keine hasserfüllte, spaltende und nationalistische Politik wollen“, twittert er.

Konkrete Probleme statt EU-Philosophie

Für seinen Wahlkampf hat er daraus Konsequenzen gezogen: Timmermans philosophiert nicht über Europa im Allgemeinen. Er thematisiert konkrete Probleme und Forderungen wie Wohnungsnot, Mindestlohn, faire Besteuerung, Klima und eben Gleichberechtigung. „Es kann nicht sein, dass junge Leute bei ihren Eltern wohnen bleiben müssen, weil sie die Miete nicht bezahlen können“, kritisiert er bei den Jusos. Er will dafür europäische Antworten liefern. In Wien, wo er einen Tag zuvor war, hat er sich deswegen mit den dortigen Genossen die erfolgreiche Wohnungspolitik der Stadt angeschaut und seine Schlüsse gezogen: „Wir können die Strukturfonds so umbauen, dass wir unmittelbar mit Städten und Gemeinden übers Wohnen reden.“ Timmermans macht Hoffnung und bietet Lösungen an.

So wendet er sich auch gezielt an junge Leute. Sie seien „nicht mehr ideologisch, sondern idealistisch verknüpft“, sagt er. „Sie haben ein Ideal und sie suchen Politiker und Parteien, die das in konkrete Maßnahmen übersetzen. Dann kommen die auch zu diesen Parteien.“ Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit gehörten zu diesen Idealen. Da will er ran. „Ich spüre wie der Frühling kommt, wenn ich durch Europa reise, und diese junge Generation ist das Herz dieser Aufbruchsstimmung“, findet Timmermans. „Wenn wir mit ihrem Optimismus und ihrer positiven Einstellung in die Wahl gehen, gehen wir einer guten Zukunft entgegen und einem Europa, das von seiner Hoffnung und nicht von seinen Ängsten gelenkt wird.“

Bruce Springsteen als Ratgeber

Wie leicht es wieder geworden ist, eine Gesellschaft – wie etwa die von Großbritannien – auseinanderzudividieren, treibt Timmermans um. Das macht er in Spanien genau so deutlich wie in Deutschland: „Wenn wir eine Aufgabe haben als Sozialdemokraten, dann ist es, dafür zu sorgen, dass wir dieses Spiel nicht mitmachen, sondern sagen: Wir brauchen Kompromisse in der Gesellschaft. Jeder macht mit. Keiner wird zurückgelassen.“

Und dann kommt auch in Berlin Bruce Springsteen ins Spiel: Bei einem Gespräch holt Timmermans sein Handy raus und spielt „If I should fall behind“ ab. „Ich warte auf dich … und wenn ich zurückbleibe … wartest du auf mich …“, zitiert er „das ist Sozialdemokratie für mich. Keiner wird allein gelassen.“ Darum geht es dem großen ­Europäer und Springsteen-Fan. Darum tourt er noch ohne Unterlass bis zum 26. Mai durch Europa.

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Karin Nink

ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.

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