Inland

Wie die SPD Zuwanderer zurückgewinnen kann

Vor zwei Jahren war die SPD bei Deutschen mit ausländischem Hintergrund noch die beliebteste Partei. Dass jetzt weniger Menschen mit Migrationsgeschichte die SPD wählen, kann als Zeichen einer gesellschaftlichen Angleichung gesehen werden – verzichten kann man auf die Wähler nicht.
von Johanna Schmeller · 26. Oktober 2018
placeholder

„Wir müssen bunter werden!“, fordert Karamba Diaby. Der aus dem Senegal stammende deutsche Politiker weiß aus eigener Erfahrung, wovon er spricht: Seit fünf Jahren sitzt er für die SPD im Bundestag. Er ist einer von wenigen Deutschen mit  Migrationsgeschichte unter den SPD-Spitzenpolitikern – zu wenigen, findet auch Aziz Bozkurt, Chef der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD: „Wir sehen auf kommunaler Ebene, dass die SPD sogar tiefschwarze Kommunen holen kann, wenn man sich traut, Vielfalt an die Spitze zu stellen“. Eine Zeitlang hat er sich auf seinem Facebookprofil selbstironisch als „anatolischen Preußen“ bezeichnet. „Die gesellschaftliche Vielfalt muss bis an die Spitze der Partei sichtbar werden“, fordert Bozkurt.

 „Alarmierende Entwicklung“

Laut einer repräsentativen Studie mit rund 10.000 Teilnehmern über 18 Jahren wählen weniger Migranten die SPD und die Grünen als noch vor wenigen Jahren. 2016 hatte die SPD unter Zuwanderern rund 40 Prozent Zustimmung. Nach einer Untersuchung des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration hält inzwischen nur noch jeder vierte Mensch mit Migrationsgeschichte die SPD für die beste Partei (also nur noch 25 Prozent). Die Sozialdemokraten stehen damit hinter der CDU/ CSU (43 Prozent) und vor Die Linke (10 Prozent), Bündnis 90/Die Grünen (10 Prozent) und FDP (5 Prozent). „Eine alarmierende Entwicklung“, meint Diaby. „Wir waren immer die Partei, die den Menschen mit Migrationsgeschichte am nächsten stand. Dort müssen wir wieder hin.“ Nur: Wie?

 „Wenn man sich gerade die jungen, aktiven Menschen der #MeTwo-Debatte anschaut, erkennt man schmerzlich, dass sie sich bei anderen Parteien deutlich wohler fühlen als bei unserer alten Tante SPD“, analysiert Bozkurt.

Die Ende September von Sozialdemokraten mit Migrationsgeschichte verabschiedete Frankfurter Erklärung für eine starke Sozialdemokratie in der Einwanderungsgesellschaft betont: „Wir (die Sozialdemokratie, Anm. d. Red.) müssen die Vertreterin der großen Mehrheit der Deutschen sein, die für ein weltoffenes Land einsteht.“ Allein: „Die Realität (…) sieht seit einer Weile anders aus.“ In den Koalitionsverhandlungen habe sich die SPD „inhaltlich, strategisch und personell“ von einem Führungsanspruch in der Teilhabe- und Migrationspolitik verabschiedet.

Die Teilhabe- und Integrationspolitik für 20 Millionen Menschen sei aus dem Blickfeld gerutscht. Dem umstrittenen Begriff der „Leitkultur“ sei nichts entgegengesetzt worden. Politik für Zuwanderer habe, ausgelöst vom Dissens in den Unionsparteien, zu lange nur noch Flüchtlingspolitik bedeutet.

Beachtliches Wählerpotential

Zugewanderte Wahlberechtigte – also Bürger mit deutscher Staatsbürgerschaft und Migrationshintergrund – machten bei der letzten Bundestagswahl bereits ein Zehntel aller Wahlberechtigten aus. Mehr als 20 Prozent der deutschen Bevölkerung hatten 2017 laut Studienangaben einen Migrationshintergrund. In den kommenden Jahren wird der Anteil weiter steigen – ein Pool an Wählern, auf den eine Volkspartei nicht verzichten kann. Fast jeder Vierte hat heute eine Migrationsgeschichte, und in jeder dritten Familie steckt in mindestens einem Elternteil mehr als nur eine Nationalität.

 „Menschen, die rechtmäßig sogar schon in der dritten Generation hier leben, werden zum großen Teil immer noch von der Teilhabe ausgeschlossen“, kritisiert die türkischstämmige Bundestagsabgeordnete Yüksel Gülistan. Hier sieht sie Versäumnisse: „Beispielsweise wurde das kommunale Wahlrecht und die damit erhoffte politische Partizipation bis heute nicht geschaffen.“

Besonders bei Zuwanderern aus der Türkei hat die SPD an Vertrauen verloren: Die Zustimmung liegt hier nur noch bei 37 Prozent (2016: 70 Prozent).

0 Kommentare
Noch keine Kommentare