SPD-Wahlprogramm: Wie sich Pflege gut und gerecht finanzieren lässt
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Nur Beifall klatschen reicht nicht! Für Olaf Scholz scheint es vielmehr so, als habe das bei vielen Beschäftigten in der Pflege zu zwiespältigen Gefühlen geführt, da die Konsequenzen für den Arbeitsalltag ausgeblieben seien. Das sagt der Kanzlerkandidat beim SPD-Zukunftsgespräch Pflege im April.
Ziel: Tarifvertrag für die Altenpflege
Dabei steht gute Bezahlung in der Pflege für die SPD nicht erst seit der Corona-Pandemie auf dem Programm, sondern war bereits im Koalitionsvertrag im Bund vereinbart. Um die Bedingungen für die rund 1,2 Millionen Beschäftigten der Altenpflege möglichst schnell zu verbessern, legte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil 2019 ein „Pflegelöhneverbesserungsgesetz“ vor, das ein deutliches Anheben der Pflege-Mindestlöhne zur Folge hatte. Für Heil jedoch nur ein erster Schritt. Sein gleichzeitiges Bemühen, einen von ver.di mit dem Arbeitgeberverband BVAP geschlossenen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären, scheiterte im Februar am Nein der Caritas.
Heil legte nach und machte sich gemeinsam mit Scholz stark für ein Pflege-Tarif-Treuegesetz. Ihre Forderung: Mit dem Geld aus der Solidarkasse der Pflegeversicherung sollen künftig nur noch Altenpflegeheime finanziert werden, die einen Tarifvertrag haben. Ihr Erfolg: Wenige Tage später reagierte CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mit einem Entwurf, der an ein laufendes Gesetzgebungsverfahren angehängt werden soll. Ab Juli 2022 sollen nur noch Pflegeeinrichtungen zugelassen sein, die nach Tarifverträgen oder tarifähnlich bezahlen. Was genau Spahn unter „tarifähnlich“ versteht, ist bislang ungeklärt.
Mehr Personal pro Patient
Auch geht es nicht nur um mehr Gehalt. Zu einer Aufwertung der Berufe in der Pflege gehört laut SPD-Wahlprogramm auch, die Arbeits- und Stressbelastung zu senken. Dazu zählen etwa verbindliche Arbeits- und Ruhezeiten sowie Arbeitszeitmodelle, die mehr Vollzeitbeschäftigung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Mit ihren Plänen greift die SPD auf Erfahrungen von Beschäftigten wie beispielsweise dem Gesundheits- und Krankenpfleger Alexander Jorde oder der Bundestagsabgeordneten und examinierten Fachpflegekraft Claudia Moll zurück, die ihren Beruf als toll, aber gesundheitlich als sehr belastend beschreiben. So belastend, dass die durchschnittliche Verweildauer in der Krankenpflege bei nur noch siebeneinhalb Jahren liege, betont Jorde.
Denn es fehlt an Personal und nur mit genügend Kolleginnen und Kollegen lässt sich würdevolle Pflege leisten, heißt es dazu im Pflegebeschluss, den der Parteivorstand auf einer Sitzung am 8. Mai angenommen hat: „Wir brauchen mehr Personal pro pflegebedürftigem Menschen!“ Deshalb will die SPD den Flickenteppich unterschiedlicher Personalschlüssel und -kennzahlen durch eine „einheitliche, wissenschaftlich basierte, bedarfsorientierte Personalbemessung in allen Pflegebereichen“ ersetzen. Zugleich will sie für mehr Mitbestimmung und eine bessere Vertretung der Beschäftigten sowie für mehr Durchlässigkeit zwischen den Berufen und mehr Aufstiegsmöglichkeiten sorgen. Fortbildungen und Pflegestudiengänge sollen ebenso gefördert werden wie eine gezielte Unterstützung ausländischer Pflegefachkräfte für eine nachhaltige Integration.
Eigenanteile der Pflegebedürftigen deckeln
Bessere Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter sind jedoch nicht umsonst zu haben. Darauf verweist Olaf Scholz, wenn er sagt: „Wenn wir mehr Personal wollen, wird das auch etwas kosten. Diese Wahrheit muss ausgesprochen werden.“ Und diese Kosten sollen nicht zu Lasten der Pflegebedürftigen gehen. Im Gegenteil will die SPD den Eigenanteil für die Pflegekosten von Personen mit niedrigen und mittleren Einkommen deckeln und einen grundlegenden Wechsel in der Pflegeversicherung einleiten: Nicht die Leistungen der Pflegeversicherung sollen begrenzt werden, sondern die Eigenanteile der Pflegebedürftigen.
Die Pflegebeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion Heike Baehrens ist überzeugt, dass sich „Pflege gut und solidarisch gerecht“ finanzieren lässt, allerdings müsse man ein „paar Dinge anders strukturieren“, sagt sie beim Zukunftsgespräch. Wenn etwa die Kosten der medizinischen Behandlungspflege wieder von der Krankenversicherung übernommen werden, könnte die Pflegeversicherung entlastet werden. Und natürlich braucht es einen Steuerzuschuss für die Pflegeversicherung, denn „Pflegebedürftigkeit darf nicht Armut und Abhängigkeit von der Sozialhilfe bedeuten“.
Einnahmeseite verbreitern
Perspektivisch ist für die SPD die Weiterentwicklung der „sozialen Pflegeversicherung zu einer Pflegebürgerversicherung“ der nächste notwendige Schritt. Dazu heißt es im Pflegebeschluss der SPD: „Wenn alle Einkommensgruppen, auch Beamte, Beamtinnen und Selbstständige, in die gesetzliche Pflegeversicherung einzahlen, verbreitern wir ihre Einnahmeseite erheblich.“ Damit würde für die SPD auch die unsolidarische Risikostruktur beseitigt: Denn weil die private Pflegeversicherung Versicherte mit wesentlich höheren Einkommen und geringerem Krankheits- und Pflegerisiko versorgt, habe sie pro Versichertem deutlich geringere Ausgaben als die soziale Pflegeversicherung. „So hat die private Pflegeversicherung mittlerweile über 39 Milliarden Euro Rücklagen angesammelt – Geld, das nicht für die Verbesserung der Pflege eingesetzt wird. Die Pflegebürgerversicherung ermöglicht es, eine solidarische Vollversicherung einzuführen und den Eigenanteil für Pflegeleistungen abzuschaffen.“
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.