Die SPD prangert via „Vorwärts“ früh die Verbrechen der Nazis an
Dicht an dicht marschieren Männer in braunen Uniformen mit Fackeln durch das Brandenburger Tor. Es ist der 30. Januar 1936. In Berlin begehen die Nazis pompös den dritten Jahrestag der „Machtergreifung“. In Prag rechnet der Exil-Vorstand der SPD, die Sopade, in einem Manifest „Für Deutschland – gegen Hitler!“ mit der Politik der Nationalsozialisten ab. Der „Vorwärts“ ist schon lange verboten, deshalb wird es im „Neuen Vorwärts“, der im tschechoslowakischen Karlsbad nah der Grenze zu Deutschland erscheint, am 2. Februar 1936 auf der Titelseite veröffentlicht.
SPD spricht von „Ausrottungskrieg gegen die Juden“
Hitler habe dem deutschen Volk die Freiheit versprochen. Er habe ihm den Zuchthausstaat gebracht, heißt es im Manifest. Keines der Versprechen, die Hitler in seiner Antrittsrede gegeben habe, habe er gehalten. Detailliert wird die Lage in Deutschland geschildert. Die Demokratie sei durch eine Diktatur ersetzt, das Land sei gleichgeschaltet. Freiheit existiere nicht mehr. Es werde ein „Ausrottungskrieg gegen die Juden“ geführt. Nur eine frei gewählte Volksvertretung, die aus sich heraus eine neue, dem Volk verantwortliche Reichsleitung schaffe, könne Deutschland vor dem Untergang bewahren. Am Ende des Manifests ruft die Sopade zum Sturz der Despotie auf. „Freiheit und gleiches Recht für alle die, die Freiheit und gleiches Recht für alle wollen, unerbittlicher Kampf gegen alle Feinde der Freiheit und des gleichen Rechts!“
Der SPD-Vorstand flieht 1933 nach Prag
Der Exil-Vorstand der Sozialdemokraten konstituiert sich 1933 in Prag unter der Führung der SPD-Chefs Otto Wels und Hans Vogel. Wichtige Mitarbeiter sind unter anderen Vorwärts-Chefredakteur Friedrich Stampfer, Siegmund Crummenerl, Erich Ollenhauer, Rudolf Hilferding, Curt Geyer, Erich Rinner und Fritz Heine. Von dort aus führen sie den politischen Kampf gegen die Naziherrschaft, unterstützen politisch Verfolgte und halten die nun illegalen Parteistrukturen in Deutschland aufrecht. Die Sopade sorgt auch dafür, dass die Verbrechen der Nazi-Diktatur öffentlich werden.
Die Erkenntnisse der Sopade in Prag beruhen auf Mitteilungen aus Deutschland. Die Informationen sammeln mutige Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten und geben sie an sogenannte Grenzsekretäre weiter. Diese gibt es seit 1934, um die Kontakte aus dem Exil zu den SPD-Bezirken in Deutschland zu halten. Sie gehören zu den wichtigsten Sammelstellen für Informationen aus dem Reich. Das Sammeln funktioniert so gut, dass die Meldungen bald Waschkörbe füllen. Zu Beginn sind es eher Gerüchte, die den Weg nach Prag finden, später verläuft die Informationsbeschaffung systematisch und solide.
Die Deutschland-Berichte erscheinen bis 1940 monatlich
Die Meldungen werden von Rinner und Heine im Mosaikverfahren ausgewertet, d. h. die Berichte werden genau verglichen, um einen halbwegs verlässlichen Überblick über die Lage zu gewinnen. Daraus werden „Deutschland-Berichte“ erstellt, die im Teil A auf 70 bis über 100 Seiten Meldungen aus Deutschland enthalten. Im Teil B kommen Analysen und Hintergrundberichte hinzu.
Die „grünen Berichte“, die wegen der Farbe ihres Umschlags so genannt werden, sind in der Regel von Rinner verfasst, während Heine die Organisation und Verbreitung übernimmt. Die Auflage beträgt anfangs 450 Stück, zu Hochzeiten sind es 1.700, die an ausländische Dienststellen und Politiker geliefert werden. Finanziert werden die Berichte durch den Verkauf. Der Parteivorstand kann so gut wie keine Zuschüsse geben. Die Deutschland-Berichte erscheinen von 1934 bis 1940 monatlich, zunächst in Prag, ab 1938 in Paris bis zur Besetzung durch die Nazis.