Der „Neue Vorwärts“ vor 85 Jahren

Die SPD prangert via „Vorwärts“ früh die Verbrechen der Nazis an

Thomas Horsmann02. Februar 2021
Der „Neue Vorwärts“: Am 2. Februar 1936 erscheint hier das Manifest des SPD-Vorstandes.
Der „Neue Vorwärts“: Am 2. Februar 1936 erscheint hier das Manifest des SPD-Vorstandes.
Am 2. Februar 1936 erscheint der „Neue Vorwärts“: Hier rechnet der Prager Exil-Vorstand der SPD mit der Politik und den Verbrechen der Nazis ab. Grundlage sind die Deutschland-Berichte, die mutige Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Reich sammeln und weitergeben.

Dicht an dicht marschieren Männer in braunen Uniformen mit Fackeln durch das Brandenburger Tor. Es ist der 30. Januar 1936. In Berlin begehen die Nazis pompös den dritten Jahrestag der „Machtergreifung“. In Prag rechnet der Exil-Vorstand der SPD, die Sopade, in einem Manifest „Für Deutschland – gegen Hitler!“ mit der Politik der Nationalsozialisten ab. Der „Vorwärts“ ist schon lange verboten, deshalb wird es im „Neuen Vorwärts“, der im tschechoslowakischen Karlsbad nah der Grenze zu Deutschland erscheint, am 2. Februar 1936 auf der Titelseite veröffentlicht.

SPD spricht von „Ausrottungskrieg gegen die Juden“

Hitler habe dem deutschen Volk die Freiheit versprochen. Er habe ihm den Zuchthausstaat gebracht, heißt es im Manifest. Keines der Versprechen, die Hitler in seiner Antrittsrede gegeben habe, habe er gehalten. Detailliert wird die Lage in Deutschland geschildert. Die ­Demokratie sei durch eine Diktatur ersetzt, das Land sei gleichgeschaltet. Freiheit existiere nicht mehr. Es werde ein „Ausrottungskrieg gegen die Juden“ geführt. Nur eine frei gewählte Volksvertretung, die aus sich heraus eine neue, dem Volk verantwortliche Reichsleitung schaffe, könne Deutschland vor dem Untergang bewahren. Am Ende des Manifests ruft die Sopade zum Sturz der Despotie auf. „Freiheit und gleiches Recht für alle die, die Freiheit und ­gleiches Recht für alle wollen, unerbittlicher Kampf gegen ­alle Feinde der Freiheit und des gleichen Rechts!“

Der SPD-Vorstand flieht 1933 nach Prag

Der Exil-Vorstand der Sozialdemokraten konstituiert sich 1933 in Prag unter der Führung der SPD-Chefs Otto Wels und Hans Vogel. Wichtige Mitarbeiter sind unter anderen Vorwärts-Chefredakteur Friedrich Stampfer, Siegmund ­Crummenerl, Erich Ollenhauer, Rudolf Hilferding, Curt Geyer, Erich Rinner und Fritz Heine. Von dort aus führen sie den politischen Kampf gegen die Naziherrschaft, unterstützen politisch Verfolgte und halten die nun illegalen Parteistrukturen in Deutschland aufrecht. Die Sopade sorgt auch dafür, dass die Verbrechen der Nazi-Diktatur öffentlich werden.

Die Erkenntnisse der Sopade in Prag beruhen auf Mitteilungen aus Deutschland. Die Informationen sammeln mutige Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten und geben sie an sogenannte Grenzsekretäre weiter. Diese gibt es seit 1934, um die Kontakte aus dem Exil zu den SPD-Bezirken in Deutschland zu halten. Sie gehören zu den wichtigsten Sammelstellen für Informationen aus dem Reich. Das Sammeln funktioniert so gut, dass die Meldungen bald Waschkörbe füllen. Zu Beginn sind es eher Gerüchte, die den Weg nach Prag finden, später verläuft die Informationsbeschaffung systematisch und solide.

Die Deutschland-Berichte erscheinen bis 1940 monatlich

Die Meldungen werden von Rinner und Heine im Mosaikverfahren ausgewertet, d. h. die Berichte werden genau verglichen, um einen halbwegs verlässlichen Überblick über die Lage zu gewinnen. Daraus werden „Deutschland-Berichte“ erstellt, die im Teil A auf 70 bis über 100 Seiten Meldungen aus Deutschland enthalten. Im Teil B kommen Analysen und Hintergrundberichte hinzu.

Die „grünen Berichte“, die wegen der Farbe ihres Umschlags so genannt werden, sind in der Regel von Rinner verfasst, während Heine die Organisation und Verbreitung übernimmt. Die Auflage beträgt anfangs 450 Stück, zu Hochzeiten sind es 1.700, die an ausländische Dienststellen und Politiker geliefert werden. Finanziert werden die Berichte durch den Verkauf. Der Parteivorstand kann so gut wie keine Zuschüsse geben. Die Deutschland-Berichte erscheinen von 1934 bis 1940 monatlich, zunächst in Prag, ab 1938 in Paris bis zur Besetzung durch die Nazis.

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Kommentare

Früh 1936 ?

Kritik an den Nazis 1936 ist nicht früh -seit 1933 saßen Sozialdemokraten, aber auch Kommunisten und Andere, in den KZs und Gefängnissen der Nazis. Da hatten auch die Anbiederungsversuche der SPD- und ADGB-Vorstände (z.B. Entlassung der Juden aus den Vorständen) nichts geholfen. Idiotischerweise hielt auch die KPD bis 1935 an der stalin´schen Sozialfaschismusthese fest. SAPD und KPO hatten die Zeichen der Zeit früher erkannt.
Die Nazis auf ihren Rassismus zu reduzieren ist auch falsch, denn zuförderst mussten sie die Interessen des Kapitals hinsichtlich der Zerschlagung der Arbeiterbewegung erfüllen und dann diesem Kapital bei der Erschließung der Resourcen im europäischen Osten dienlich sein. Ähnlichkeiten zu heute kann es keine geben, denn WIR sind antirassistisch und haben ***.

Kritik an den Nazis

Ich kann mir kaum vorstellen, dass die SPD nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kritik an den Nazis geübt hat. Allein aus diesem Grund waren seit 1933 viele Sozialdemokraten inhaftiert worden. Zudem sei an die Rede von Otto Wels im Reichstag anlässlich der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes erinnert.

Diesem Gesetz hat bekanntlich auch das Zentrum, eine Vorgängerpartei der CDU, zugestimmt, womit die zum Inkrafttreten erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht wurde, während ausschließlich die SPD dagegen gestimmt hat. Alle KPD-Abgeordneten waren zu diesem Zeitpunkt bereits in Haft.

SPD-Exilvorstand

Die zutreffende Kritik am Nazi-Regime in allen Ehren, aber zur Politik des Exil-Vorstandes gehört auch der fragwürdige Umgang mit Kritikern in den eigenen Reihen. Im Zuge der Auseinandersetzungen mit dem zuvor veröffentlichten Prager Manifest (1934) sind Siegfried Aufhäuser (bis 1933 Vorsitzender des AfA-Bundes, Reichstagsabgeordneter und seit April 1933 SPD-Vorstandsmitglied sowie der ebenso 1933 in den Vorstand gewählte Karl Böchel im Januar 1935 aus dem Sopade-Vorstand ausgeschlossen worden. Beide hatten sich in den Diskussionen auch kritisch über die SPD-Politik vor 1933 geäußert und drängten die Parteiführung zu einem Quäntchen Selbstkritik. Vergeblich. Rudolf Breitscheid, damals in Paris, hatte den Rausschmiss kritisiert; er beteiligte sich im Februar 1936 an der Lutetia-Konferenz, dem Versuch einer breiten "Volksfrontbewegung" - sehr zum Ärger der Prager Sopade-Führung. Sicher, der "Volksfrontbewegung" war keine Dauer beschieden, aber mangelnde Toleranz des Sopade-Vorstandes gegenüber Kritikern in den eigenen Reihen blieb in den nachfolgenden Exiljahren bestehen. Leider!