SPD-Politikerin Kiziltepe: 12 Euro Mindestlohn statt Rente mit 68
imago/Metodi Popow
Gutachter*innen des Bundeswirtschaftsministeriums warnen nicht zum ersten Mal, dass die Forderung der SPD nach einem gesicherten Rentenniveau nicht finanzierbar sei. Angeblich müsse ab den 2040er Jahren die Hälfte des Bundeshaushalts in die Rentenversicherung fließen, heißt es. Wie seriös sind solche Prognosen?
Wir wissen ja, wie das mit Prognosen so ist. Derzeit hat die Union noch kein Wahlprogramm. Möglicherweise ist das ein Versuch, die Diskussion dahin zu leiten, dass kapitalgedeckte Rentenpolitik notwendig ist und es keine Alternative zum Anheben des Renteneintrittsalters gibt. Das ist aber nicht das Ziel der SPD. Wir wollen, dass die gesetzliche Rente und damit die erste Säule der Altersvorsorge sicher ist und damit auch legitim. Denn das ist sie für viele Menschen dann nicht, wenn sie nach vielen Jahren Beitragszahlung in der Altersarmut landen. Das erreichen wir aber nur, indem wir das Rentenniveau stabilisieren, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung fördern und Lohndumping unterbinden.
Die gesetzliche Rente ist ein Umlagesystem. Wie würde sich beispielsweise das Anheben des Mindestlohns auf 12 Euro auswirken?
Ein Mindestlohn von 12 Euro würde nach aktuellen Berechnungen dazu führen, dass Beschäftigte bei langer Beitragszahlung nicht unterhalb der Grundsicherung landen.
Das Anheben der Löhne ergäbe also bereits eine andere Berechnungsgrundlage, weil mehr Beiträge in die Rentenkasse fließen?
Natürlich. Aber die Erhöhung des Mindestlohns würde die Union nicht fordern, das diskutieren die ja gar nicht. Wir müssen auch die Tarifbindung und die unterschiedlichen Entgeltgruppen im Tarifgitter stärken, denn wir haben derzeit in Deutschland eine Tarifbindung von nur noch 50 Prozent. Damit haben wir einen Hebel, der zu besseren Renten führt.
Wird die Einnahmenseite in der konservativen Politik außer Acht gelassen?
Wenn ich am Rentenniveau nichts ändern und das Renteneintrittsalter erhöhen will, klingt das in erster Linie nach Leistungskürzungen. Passend dazu wird dann wieder das demografische Monster an die Wand gemalt und jede und jeder dazu aufgerufen, privat vorzusorgen. Beides, länger arbeiten und privat vorsorgen, können sich vielleicht Politiker*innen oder Professor*innen leisten, aber nicht unbedingt die Pflegekraft oder Handwerker*innen. Allerdings werden die Zinsen auf absehbare Zeit niedrig bleiben. Für die Versicherungswirtschaft heißt das allerdings auch, dass sie Geschäfte brauchen.
Wie berechtigt ist die Behauptung, die Sicherung des Rentenniveaus würde zu Lasten der jüngeren Generation gehen?
Generationengerecht ist es, in der gesetzlichen Rente Leistungserhöhungen zu haben. Bei diesen Prognosen wird ja auch komplett vernachlässigt, dass wir in unserer entwickelten Industrie auch enorme Produktivitätssteigerungen haben. Nehmen wir das Beispiel der Autoproduktion: Früher brauchte man 100 Arbeitnehmer*innen, um ein Auto zu bauen, heute braucht man nur noch zehn. Diese Entwicklung spielt eine Rolle beim Rentenverhältnis jung zu alt. Außerdem können wir volkswirtschaftlich betrachtet die Kosten für die Alterung unserer Gesellschaft und die Kosten für das Rentensystem nicht ändern. Was man ändern kann ist die Verteilung der Kosten.
Was heißt das konkret? Sollen Arbeitnehmer*innen mehr als Arbeitgeber*innen einzahlen oder die Finanzierung paritätisch sein?
Derzeit ist es so, dass mit der Einführung der Riesterrente die Arbeitnehmer*innen zusätzlich vier Prozent vorsorgen müssen. Gleichzeitig wurde der Beitragssatz auf 22 Prozent bis 2030 gedeckelt und wird paritätisch zu jeweils elf Prozent von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite finanziert. Das bedeutet de facto, dass Beschäftigte nicht elf, sondern 15 Prozent zu leisten haben. Wir finden das ungerecht, weil die soziale Absicherung paritätisch finanziert sein sollte. Darüber wird in der SPD diskutiert. Auch deshalb fordern wir eine Erwerbstätigenversicherung.
Wie konkret sind diese Vorstellungen?
Gerade die Finanz- und Wirtschaftskrise hat uns doch gezeigt, dass das Umlagesystem ein krisensicheres und renditeträchtiges System ist. Wir wollen, dass in Zukunft nicht nur die abhängig Beschäftigten, sondern alle einzahlen und die Rentenhöhe gedeckelt wird. An diesem Punkt kommt zwar immer der Einwurf, dass es verfassungswidrig sei, die Rentenhöhe zu deckeln. Das ließe sich aber auch anders gestalten. Vorbild ist da das österreichische Modell. In der Rentenpolitik geht es nicht um die jetzigen Rentner*innen, sondern immer um die Jungen. Sie müssen wir dafür sensibilisieren und das System legitimieren. Deshalb müssen wir die gesetzliche Rente wieder stark machen, gerade auch für die junge Generation, darum muss es gehen.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.