SPD-Parteitag: Programm mit über 99 Prozent Zustimmung angenommen
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Nach der letztlichen inhaltlichen Debatte an diesem Sonntagmittag geht es denn auch zügig in die Schlussabstimmung über: Mit einer Zustimmung von über 99 Prozent stimmen die Deligierten für das Zukunftsprogramm, mit dem die SPD nun den Wahlkampf einläutet. Dass die inhaltliche Auseinandersetzung dabei ein bisschen länger gedauert hat, als ursprünglich erwartet, kommentiert Generalsekretär Lars Klingbeil so: „Uns sind Inhalte wichtig, deswegen kann das auch mal ein paar Minuten länger dauern.“ Breit lächelnd sagte er vor der Rede von Olaf Scholz nun: „Wir haben ein Zukunftsprogramm!“
Auch hat vor der Rede noch ein weiterer Sozialdemokrat das Wort: Antonio Costa, Regierungspräsident aus Portugal, lobt das Engagement der SPD und konkret Olaf Scholz im Kampf gegen die Pandemie. Das Engagement sei entscheident gewesen, um sich der Herauforderung auf europäischer Ebene gut stellen zu können. Allerdings: „Europa ist immernoch in einer schwierigen Situation. Wir müssen weiter kämpfen.“ Dafür brauche es eine starke Sozialdemokratie, appeliert der Portugiese – das Land hat jüngst die EU-Ratspräsidentschaft von Deutschland übernommen.
Kapitel 4: Souveränes Europa in der Welt
Das vierte Kapitel ist auch das Kapitel der Europa-Politiker*innen in der SPD. Katharina Barley und Udo Bullmann aus dem Europaparlament sowie der SPD-Außenminister Heiko Maas stellen dabei in ihren Redebeiträgen auch in den Mittelpunkt: Europa steht auch bei vielen anderen Themen im Zukunftsprogramm im Mittelpunkt. Bullmann mahnt ein Umsteuern bei der Internationalen Handelspolitik an, Barley verweist auch auf die Bewältigung der Pandemie: „Viele Aufgaben sind nicht mehr national lösbar.“
Maas sieht in dem Zukunftsprogramm auch eine gute Grundlage für die Außenpolitik der kommenden Jahre. „Wir brauchen mehr, nicht weniger internationale Zusammenarbeit." Und dass die SPD als „Europapartei“ dabei ganz vorne dabei ist, betonten die Redner*innen ebenfalls – passenderweise am heutigen „Europatag am 9. Mai“.
Aufgenommen wird im übrigen ein Initiativantrag mit Blick auf die Pandemie-Bekämpfung, der den globalen Kampf gegen das Corona-Virus in den Blick nimmt. Mit Verweis auf die jüngsten Äußerungen des US-Präsidenten Joe Biden betont auch die SPD unter anderem darin, dass der Patentschutz nicht der Engpass in der Bewältigung der globalen Pandemie sein dürfe.
Beratung von Kapitel 3: „Eine Gesellschaft des Respekts“
„Die wichtigste Grundlage für eine Gesellschaft ist gegenseitiger Respekt“, sagt Saskia Esken als sie in Kapitel 3 des SPD-Zukunftsprogramms einführt. Gerade die Corona-Krise rücke Berufe in den Mittelpunkt, die deutlich mehr Respekt verdienten, betont die SPD-Vorsitzende. „Wir übersetzen den Respekt vor Lebensleistung in konkrete Politik“, verspricht Esken.
Dazu finden sich im Zukunftsprogramm u.a. ein Mindestlohn von 12 Euro ab dem kommenden Jahr, bezahlbahres Wohnen und eine bessere soziale Absicherung von Solo-Selbstständigen. „Den Künstlerinnen und Künstlern fehlt zurzeit nicht nur der Applaus“, sagt Esken. Deshalb sei es wichtig, dass das Zukunftsprogramm hier deutliche Verbesserungen vorsehe.
„Respekt bedeutet auch eine aktive Politik für die Gleichstellung von Frauen und Männern“, betont Saskia Esken „und einen starken Sozialstaat, der den Bürgerinnen und Bürgern auf Augenhöhe begegnet“. Dass das für Kinder ganz besonders gelten muss, betont Serpil Midyatli. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende hat am Konzept der SPD für eine sozialdemokratische Kindergrundsicherung mitgearbeitet.
„Wir werden zeigen, wie gute Familienpolitik im nächsten Jahrzehnt geht“, verspricht Midyatli. Dafür spielten drei Faktoren die entscheidende Rolle: Zeit, Geld und eine starke Infrastrutkur, etwa was den Ausbau von Kitas angehe. Eine finanzielle Zusicherung von Olaf Scholz gebe es dafür bereits, sagt Serpil Midyatli. „Das gibt uns Rückenwind.“
Nachdenkliche Worte findet Thüringens Innenminister Georg Maier. Mit Blick auf die in der vergangenen Woche vorgestellten Zahlen des Bundeskriminalamtes zum drastischen Anstieg rechter Gewalt in Deutschland wird er deutlich: „Es ist unerlässlich, dass unsere Demokratie ihre Wehrhaftigkeit unter Beweis stellt.“ Die SPD stehe für eine „menschenorientierte und empathische Innenpolitik“. Das werde im Zukunftsprogramm sehr deutlich.
SPD-Vize Kevin Kühnert wendet sich in seinem Redebeitrag direkt an diejenigen, „die noch nicht davon überzeugt sind, im September die SPD zu wählen“. Kühnert nennt die Mobilitätsgarantie und die Verbesserungen in der Gesundheitspolitik. „Wir beschreiben eine Politik, die dem Gemeinwohl Vorrang vor Einzelinteressen gibt“, betont Kühnert. Gerade beim Wohnen, grenze sich die SPD klar von allen anderen Parteien ab. „Es braucht eine Partei, die bezahlbares Bauen will“, so Kühnert.
Zukunftsmissionen in Kapitel 2: „Eine lebenswerte Zukunft“
Das zweite Kapitel des Programms beschäftigt sich mit den Zukunftsmissionen, wie sie schon Anfang des Jahres vorgestellt wurden. Für die Bekämpfung des Klimawandels und die geplanten Investitionen in die Mobilitätswende, die Digitalisierung sowie das Gesundheitssystem ist aus Sicht von Norbert Walter-Borjans ein Punkt zentral: Für jede Investition braucht der Staat Geld – dem Markt will die SPD das nicht überlassen. Die notwendigen Kredite bezeichnet der SPD-Vorsitzende als notwendig, keine Kredite aufzunehmen sei die größere Hypothek. „Für Ausgaben brauchen wir aber auch Einnahmen.“
Deshalb müsse das Steuersystem gerechter werden, fordert Walter-Borjans. Mittelstand und Geringverdiener*innen sollten entlastet, Top-Verdiener*innen stärker belastet werden. „Millionen-Gehälter von Top-Mananger*innen sollten nicht auch noch von der Allgemeinheit bezuschusst werden“, kritisiert er falsche Anreize im Steuersystem. Auch gegen Betrug und Tricks werde die SPD stärker vorgehen.
In der folgenden Beratungen ergreifen zunächst zwei Bundesminister*innen das Wort: Umweltministerin Svenja Schulze und Hubertus Heil. Arbeitskampf und Kampf gegen den Klimaschutz, das gehört bei der SPD zusammen, machen die beiden in ihren Wortbeiträgen klar. So verweist Schulze einerseits darauf, dass natürlich auch in den Industriebereichen rund um Erneuerbare Energien Tariflöhne gezahlt werden sollen und Mitbestimmung in den Betrieben etabliert werden soll. „Zu gutem Klima gehört auch gute Arbeit.“
Heil ergänzt ebenso: Für Daseinsvorsorge brauche es ebenso „Innovationssprünge“: „Dafür haben wir das richtige Programm, die richtigen Konzepte.“ Und der Arbeitsminister nutzt auch die Zeit, um Seitenhiebe an die politische Konkurrenz zu verteilen: Die CDU habe „erkennbar nichts mehr vor“, die Grünen indes wollten viel, „aber man muss auch können“.
Das zweite Kapitel enthält auch die geänderten Klimaschutzziele, die die SPD bereits nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht in der aktuellen Politik vorgestellt hatte: In dem Zukunftsprogramm spricht sich die SPD nun auch für eine klimaneutrale Wirtschaft bis 2045 aus und sieht schärfere CO2-Reduktionsziele für 2030 vor. Außerdem sind für die Zeitspanne zwischen 2030 und 2045 ebenfalls Zwischenziele formuliert – wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert.
Darauf verweisen auch weitere Redner*innen – neben Nina Scheer aus der Bundestagsfraktion auch Fraktionsvize Matthias Miersch. Während Scheer mit einem Iniatitivantrag sogar noch schärfere Ziele fordert, appelliert Miersch vor allem an den Zusammenhalt in der Gesellschaft, die Transformation könne nur gelingen, „wenn wir Empathie für diejenigen haben, die Angst haben davor.“ . „Lasst uns jetzt nicht über Zahlen streiten, es ist auch jetzt schon vieles möglich“, ergänzt Miersch außerdem. Er ärgert sich vor allem über die Doppelmoral des politischen Gegners. Markus Söder in Bayern könne schon jetzt loslegen, meint Miersch, das Engagement der Grünen in Baden-Württemberg kritisiert er als „Armutszeugnis“. Entscheident sei beim Klimaschutz, was man vor Ort mache.
Beratung von Kapitel 1: Zukunft.Respekt.Europa
„Wir stehen vor einer Richtungsentscheidung“, sagt Saskia Esken. Die SPD-Co-Chefin bringt das erste Kapitel des Entwurfs für das Zukunftsprogramm ein. Bei der Bundestagswahl im September gehe es darum, „ob wir vom Wollen ins Machen kommen oder in einem konservativen Dornröschenschlaf versinken“. In ihrem Zukunftsprogramm mache die SPD deutlich, wie sie die kommenden Jahrzehnte gestalten will. „Notwendige Investitionen dürfen nicht länger liegen bleiben“, fordert Esken. Gradmesser müsse das „Wohlergehen von Mensch und Natur“ sein.
In der folgenden Debatte wendet sich Juso-Chefin Jessica Rosenthal an die Auszubildenden und Studierenden. „Wir wissen, was euch die letzten eineinhalb Jahre gekostet haben“, sagt Rosenthal. Zwar habe die große Koalition in den vergangenen Monaten vieles an Unterstützung auf den Weg gebracht. „Aber das reicht nicht, wenn die Union mit beiden Beinen auf der Bremse steht.“
Deshalb sei es wichtig, dass es ein Recht auf Ausbildung gibt, wie es im SPD-Zukunftsprogramm steht. „Wir wollen die Zukunft selbst gestalten“, sagt die Juso-Chefin. „Und wir wollen einen anderen Sound in der Politik.“ Deshalb sei es ein gutes Zeichen, dass rund 80 Jusos für den Bundestag kandidieren. „Das alles hat die SPD zu bieten“, sagt Rosenthal. „Und noch viel mehr.“
„Das ist ein starkes Programm für die SPD im Bund“, lobt Franziska Giffey das Zukunftsprogramm. „Wir wollen damit aufbauen auf den Erfolgen, die wir als SPD schon erreicht haben“, sagt die Bundesfamilienministerin. Dass „Respekt“ am Anfang des Programms steht, sei ein wichtiges Zeichen. „Es macht einen Unterschied, ob Sozialdemokraten regieren“, betont Giffey. „Und Olaf hat gezeigt, dass er es kann.“
Auf den (noch designierten) SPD-Kanzlerkandidaten setzt auch Frank Ullrich. „Olaf Scholz und unser Zukunftsprogramm stehen für Respekt und Zusammenhalt in der Gesellschaft“, lobt Ullrich, der sich als „Jung-Genosse“ vorstellt: Erst 2019 ist er in die SPD eingetreten. Im September kandidiert er in Süd-Thüringen für den Bundestag. Sein CDU-Gegenkandidat: Ex-Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen. Mit dessen Aufstellung habe die CDU gezeigt, dass sie „komplett den Kompass verloren“ hat. „Ich werde alles versuchen zu verhinern, dass dieser Mann in den Bundestag einzieht“, verspricht Ullrich.
Lob von DGB-Chef Rainer Hoffmann für die SPD
„Solidarische Grüße des DGB“ übermittelt dessen Vorsitzender Rainer Hoffmann in einer Video-Botschaft und geht gleich ans Eingemachte. „Für viele sind die Grenzen der Belastbarkeit überschritten“, sagt der Chef des Gewerkschaftsbundes mit Blick auf die fast eineinhalb Jahre andauernde Corona-Pandemie. Diese habe gezeigt, wie wichtig „ein aktivierender Sozialstaat“ ist. „Er hat den Stresstest bestanden.“
Dass das besonders den sozialdemokratischen Minister*innen in der Bundesregierung zu verdanken ist, steht dabei für Hoffmann fest. Ob Verlängerung des Kurzarbeitergelds oder Konjunkturpaket: „Das Krisenmanagement trägt die Handschrift der Sozialdemokraten“, lobt der DBG-Vorsitzende. Auf die SPD hofft er auch für die Zkunft. „Der Green Deal wird nur gelingen mit einem Social Deal“, sagt Hoffmann. „Und dafür steht die SPD.“
Parteivorsitzende blicken auf Zukunftsprogramm
Die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans blickten zu Beginn ihrer Rede zunächst einmal zurück: Tausende Genoss*innen hatten sich in den vergangenen Monaten an dem Zukunftsprogramm beteiligt, Beiträge geliefert, diskutiert, ergänzt. Daraus wurde nach rund einem Jahr nun das Programm für den Bundestagswahlkampf, über das heute entschieden wird. „Kurz aber nicht dünn", sei es geworden, lobt Norbert Walter-Borjans, verständlich und erklärbar - und auch Saskia Esken sagt: „Heute können wir mit Stolz sagen: Wir haben geschafft, was wir uns vorgenommen haben.“
Das Programm vereine eine starke, sozialdemokratische Erzählung, einen klaren Kompass, so Esken. Die SPD, so Walter-Borjans weiter, denke eben alles gemeinsam: Fortschritt und Wohlstand, Frieden. „Das ist unser Weg in die Zukunft“, so Esken - die beiden Parteivorsitzenden wechselten sich in ihrer Rede immer wieder ab. Einen Lob hat Esken auch an das Personal im Willy-Brandt-Haus, das in den kommenden Wochen eine „Programmmatrix" erstellt hatte, sodass sich jede*r digital gut durch das Programm navigieren kann – je nach Informationsbedürfnis und persönlichen Fragen an das Zukunftsprogramm der SPD.
Der Parteitag ist eröffnet
Punkt 11 Uhr geht es los. „Heute ist Tag eins unsere Aufholjagd für die Bundestagswahl“, sagt Lars Klingbeil. Der Generalsekretär eröffnet damit den ersten digitalen Parteitag in der Geschichte der SPD. Während Klingbeil im „CityCube“ auf dem Berliner Messegelände auf der Bühne steht, sitzen 600 Delegierte überall im Land vor dem Computer. Auch die Abstimmungen über Wahlprogramm und Kanzlerkandidat werden auf diesem Weg erfolgen.
„Olaf Scholz und die SPD haben einen Plan“, sagt Klingbeil. „Zukunftsprogramm“ lautet der Titel. Entstanden ist der Entwurf für das Bundestagswahlprogramm in den vergangen zehn Monaten unter enger Beteiligung der SPD-Mitglieder und weiterer Engagierter. „Das ist euer Programm“, sagt Lars Klingbeil an die Mitglieder gerichtet. Die SPD mache damit deutlich: „Wir wollen gestalten, was vor uns liegt.“
„Unserer Geschichte verpflichtet uns zu Haltung.“
Dabei könne auch der Blick in die Vergangenheit helfen. Auf den Tag genau 75 Jahre zuvor hat sich die SPD in Hannover zu ihrem ersten Parteitag nach dem Zweiten Weltkrieg getroffen. Zwölf Jahre Nazi-Herrschaft hatten Millionen Menschen das Leben gekostet. „Unserer Geschichte verpflichtet uns zu Haltung“, betont Lars Klingbeil. Das gelte gerade in einer Zeit, in der rechte Ideologie und Hetze wieder auf dem Vormarsch sei.
Besonders begrüßt Lars Klingbeil deshalb Frank Ullrich. Der Biathlon-Olympiasieger tritt im Herbst bei der Bundestagswahl gegen den früheren Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen an, der wiederholt mit rechten Parolen aufgefallen ist. „Wir sind stolz darauf, dass du einer von uns bist“, sagt Klingbeil an Frank Ullrich gewandt und verspricht: „Wir werden an deiner Seite kämpfen.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.