SPD: Maaßen muss Beweise für Chemnitz-Behauptungen vorlegen
Gab es in Chemnitz Hetzjagden auf ausländisch aussehende Menschen oder nicht? Darüber wird der Streit immer heftiger. Er begann am Mittwoch, als Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in seiner Regierungserklärung gesagt hatte, „es gab keinen Mob, keine Hetzjagd und keine Pogrome“ in Chemnitz. Damit hatte er ausdrücklich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Regierungssprecher Steffen Seibert widersprochen, die beide zuvor von „Hetzjagden“ gesprochen hatten.
SPD-Generalsekretär Klingbeil: Beweise liefern
Nun widerspricht auch der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, offen der Kanzlerin. „Es liegen dem Verfassungsschutz keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben“, sagte Maaßen in der Bild-Zeitung. Zu dem Video, das Jagdszenen auf ausländische Menschen in Chemnitz zeigen soll, sagte er: „Es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist.“ Maaßen ging sogar noch weiter: „Nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken.“
Die SPD fordert jetzt Klarheit. „Wenn der Chef des Inlandsgeheimdienstes der Bundeskanzlerin öffentlich widerspricht, muss er für seine Behauptungen jetzt umgehend Beweise vorlegen“, verlangt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Freitag gegenüber der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. SPD-Chefin Andrea Nahles erklärte via Twitter: „Die Äußerungen von Herrn Maaßen sind für uns nicht nachvollziehbar. Wir werden das Parlamentarische Kontrollgremium anrufen, um Herrn Maaßen Gelegenheit zu geben, seine Äußerungen mit Beweisen zu belegen.“
Stegner: Maaßen „in dem Amt nicht mehr zu halten“
SPD-Vize Ralf Stegner verlangt sogar die Entlassung Maaßens: „Ich finde, dass er in dem Amt nicht mehr zu halten ist“, sagte er am Freitag. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) „sollte sich von einem solchen Chef des Bundesverfassungsschutzes trennen“. Als Präsident müsse Maaßen die Verfassung schützen „und nicht die rechten Demokratiefeinde“. Stegner griff Maaßen gegenüber dem „vorwärts“ hart an: „Keinerlei Belege für angeblich gefälschte Videos vorzulegen, aber öffentlich zugunsten der rechten Hooligans, Pegida- und AfD-Anhänger zu spekulieren, ist für den Chef des Bundesverfassungsschutzes völlig inakzeptabel.“ Stegner mahnte: „Statt freundschaftliche Beratungsgespräche mit der AfD-Spitze zu führen, sollte er lieber die Verfassung vor den rechten Demokratiefeinden schützen.“ Für den stellvertretenden SPD-Vorsitzenden „trägt Herr Maaßen zur Verharmlosung der rechten Gefahr bei“. Das sei „unvereinbar mit seinen Amtspflichten“.
Lischka: Zahlreiche Medien- und Augenzeugenberichte
Auch Burkhard Lischka, der innenpolitische Sprecher der SPD- Bundestagsfraktion, fordert Beweise. „Als Präsident des Bundesverfassungsschutzes sollte sich Herr Maaßen nicht an wilden Spekulationen beteiligen, sondern schnellstens Fakten auf den Tisch legen“, sagte er dem „Handelsblatt“. Lischka hält Maaßens Äußerungen „angesichts der zahlreichen Medien- und Augenzeugenberichte sowie 120 Ermittlungsverfahren für eine ziemlich steile These.“
Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) hat ebenfalls kein Verständnis für die Zweifel Maaßens an Hetzjagden auf Ausländer in Chemnitz. „Wir haben Bilder gesehen, wir haben Zeugen gehört. Wir haben gesehen, wie Menschen den Hitlergruß offen auf der Straße gezeigt haben“, sagte Oppermann am Freitag im Deutschlandfunk. Er verwies darauf, dass auch eine Gruppe von Sozialdemokraten auf dem Weg zum Bus von rechten Hooligans angegriffen worden sei. Der Staat müsse gegen solche Zustände gegenhalten, forderte der Bundestagsvizepräsident. „Wir haben ein staatliches Gewaltmonopol und ehrlich gesagt: Das zu verteidigen, ist auch Aufgabe des Präsidenten des Amtes für Verfassungsschutz.“
Pistorius: „Ich finde das mehr als fragwürdig“
Kritik an Maaßen kommt auch von Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD). „Ich frage mich allmählich, welche Rolle der politischen Einflussnahme er da spielen will“, sagte Pistorius am Freitag in Hannover gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. „Ich finde das mehr als fragwürdig.“ Aus der Luft heraus habe Maaßen erklärt, dass ein Video mit Verfolgungsszenen, gefälscht sein könnte. Es sei nicht Aufgabe des Verfassungsschutzpräsidenten, Vermutungen in die Welt zu setzen. Pistorius zeigte sich erstaunt, was an der Spitze der wichtigsten Sicherheitsbehörde passiere.
Bis jetzt hat Maaßen die Bundesregierung über mögliche Falschinformationen zu den Ereignissen in Chemnitz noch nicht informiert. „Es hat dazu kein Gespräch der Bundeskanzlerin mit Herrn Maaßen in den letzten Tagen gegeben“, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin.
Hat Maaßen noch das Vertrauen Merkels?
Seibert vermied eine direkte Antwort auf die Frage, ob die Kanzlerin Maaßen ihr Vertrauen ausspreche. Dazu sagte der Regierungssprecher lediglich: „Herr Maaßen hat eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe.“ Dagegen antwortete eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums auf die Frage, ob Maaßen noch das Vertrauen Seehofers genieße, am Freitag in Berlin mit „selbstverständlich“.
Nach der tödlichen Messerattacke auf einen 35-jährigen Deutschen und zwei Schwerverletzten in Chemnitz vor gut zwei Wochen – tatverdächtig sind arabische Asylbewerber - hatte es in Chemnitz Massendemonstrationen gegeben. Beteiligt waren Rechtspopulisten, Neonazis und Gegner der deutschen Flüchtlingspolitik. Dabei kam es nach zahlreichen Berichten zu Übergriffen auf Polizisten, Journalisten und Ausländer.