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SPD-Konzept zur Kindergrundsicherung: „Damit holen wir die Kinder aus Hartz IV“

Mit einer Grundsicherung will die SPD gegen Kinderarmut vorgehen. Dabei geht es nicht nur um finanzielle Leistungen, sondern auch um Investitionen in gute und kostenfreie Bildung und Mobilität. Warum sie dabei besonders Jugendliche in den Blick nimmt, erklärt SPD-Politikerin Dagmar Schmidt im Interview.
von Vera Rosigkeit · 21. November 2019

Die SPD will eine Kindergrundsicherung einführen. Was steht im Mittelpunkt?

Wir wollen auf der einen Seite finanzielle Leistungen verbessern. Wir wollen auf der anderen Seite aber auch die Angebote für Kinder und Jugendliche vor Ort verbessern. Es nützt ja nichts, zehn Euro mehr Geld zu haben, wenn es vor Ort keine Musikschule gibt oder keinen Bus, der das Kind zum Sportverein fährt. Für zehn Euro mehr lässt sich auch keine Betreuungsstruktur kaufen.

Beginnen wir mit der Geldleistung. Da soll es künftig einen Basisbetrag geben. Was ist damit gemeint?

Derzeit haben wir die Situation, dass diejenigen, die viel Geld verdienen, über den steuerlichen Freibetrag mehr Geld für ihr Kind bekommen als diejenigen, die weniger Geld verdienen und das Kindergeld ausgezahlt bekommen. Diesen steuerlichen Freibetrag wollen sie so reduzieren, dass wir bei 250 Euro als Höchstbetrag pro Monat landen. Gleichzeitig wollen wir den Kindergeldbetrag von heute 204 Euro auf 250 Euro anheben, sodass künftig alle 250 Euro als Basisbetrag bekommen. Darüber hinaus sollen Eltern, die wenig verdienen, zusätzlich unterstützt werden. Da geht es dann in Richtung des Höchstbetrags.

Der Höchstbetrag setzt sich dann wie zusammen?

Der Höchstbedarf besteht aus drei Teilen: Wir nehmen den Regelbedarf, packen die durchschnittlichen Wohnkosten oben drauf, plus eines zusätzlichen Betrags für mehr soziale Teilhabe (46 Euro pro Kind). Je nach Alter erhalten wir so zwischen 400 und 478 Euro pro Kind als Höchstbetrag. Dieser Betrag wird künftig von der Familienkasse ausgezahlt. Damit holen wir die Kinder aus Hartz IV.

Dazu soll es künftig eine Kinderkarte für jedes Kind geben. Was ist das?

Es gibt in einigen Kommunen schon jetzt so etwas wie ein Kinderticket für Kinder aus finanzschwachen Familien. Das Problem ist nur, wenn Kinder das vorzeigen, ist ihr sozialer Status gleich sichtbar. Deshalb wollen wir eine Kinderkarte für alle einführen. Von den 250 Euro Basisbetrag sollen 30 Euro künftig direkt auf diese Kinderkarte gehen. Damit muss diese Leistung auch nicht beantragt werden und kann vor Ort eingesetzt werden, um z.B. ins Schwimmbad zu gehen. Das schöne ist, Kommunen und Länder können sich miteinbringen und Dinge, die ihnen wichtig sind, zusätzlich dazu geben.

Der öffentliche Personennahverkehr soll künftig auch kostenfrei sein.

Genau. Kinder und Jugendliche fahren künftig kostenfrei mit dieser Kinderkarte.

Und wer zahlt diese Maßnahme. Der Bund, die Länder oder die Kommunen?

Das ist eine wichtige Frage. Natürlich müssen sich die Länder in diese erste Säule, den Ausbau der Infrastruktur, mit einbringen. Das wird eine gemeinsame Anstrengung sein.

Ungleiches soll ungleich gefördert werden, heißt es im Konzept. Was ist damit gemeint?

Wir sagen, da wo es mehr Probleme gibt und die Herausforderungen größer sind, müssen wir auch mehr investieren, um allen Kindern gleiche Chancen zu ermöglichen wie jenen, die in einem Umfeld groß werden, in dem die Eltern mehr Geld zur Verfügung haben. Am liebsten wäre uns, wenn alle Kinder, ob arm oder reich, klein oder groß gemeinsam aufwachsen.

Wird dabei die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen ebenfalls an Bedeutung gewinnen?

Diese Zusammenarbeit ist uns richtig wichtig: Denn wir wollen einen Rechtsanspruch auf gute und beitragsfreie Kitas und den Rechtsanspruch auf gute und beitragsfreie Ganztagsbetreuung. Darüber hinaus wollen wir nicht nur kostenfreie Mobilität, sondern einen Rechtsanspruch auf Mobilität. Denn in Berlin mag es toll sein, den ÖPNV kostenfrei zu nutzen, aber auf dem flachen Land nützt die Kostenfreiheit nichts, wenn kein Bus fährt. Ich muss also auch sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche zum Sportverein fahren können. Das ist gerade für Jugendliche im ländlichen Raum ein ganz wichtiger Punkt.

Das heißt, man muss vor allem investieren?

Der Bund muss Länder und Kommunen unterstützen, damit sie das auch leisten können. Jugendliche müssen von A nach B kommen, das gehört zur Kostenfreiheit dazu. Gerade Jugendliche wollen wir mit unserer Kindergrundsicherung unterstützen. Denn aus der Armut resultierende Probleme werden Jugendlichen oft als Person zugeschrieben. Das ist ein großes Problem. Deswegen wollen wir explizit einen Fokus auf Jugenedliche richten. Und nicht nur die Angebotsstruktur vor Ort, sondern auch die begleitende Struktur wie Schulsozialarbeit so pflegen, dass eine gleichberechtigte Teilhabe von finanzschwachen Jugendlichen möglich ist. Wir wissen, dass wir hier viel an schlechten Armutserfahrungen wieder auffangen können.

Das Konzept soll auf dem Bundesparteitag der SPD im Dezember beschlossen werden?

Ja, aber das ist nur der erste Schritt. So wie bisher der Regelbedarf berechnet wird, ist nicht wirklich gut. Wir wollen uns mit Experten und mit Kindern und Jugendlichen zusammensetzen und in Erfahrung bringen, was Kinder und Jugendliche wirklich brauchen, um chancengleich, diskriminierungsfrei und gut in Deutschland groß zu werden. Das ist der wesentliche Schritt, den wir uns als Partei vorgenommen haben, wenn dieses Konzept beschlossen worden ist.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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