Inland

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich: „Gutes Regieren lohnt sich“

Die SPD hat sich in der großen Koalition durchgesetzt: Die vermögendsten zehn Prozent müssen den Solidaritätszuschlag weiterhin abführen. Und erstmals baut der Staat in strukturschwachen Regionen den Mobilfunk aus. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sieht dadurch die Halbzeitbilanz seiner Partei deutlich positiver.
von Lars Haferkamp · 14. Juni 2019
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Während die Koalitionsparteien SPD und Union in den Umfragen an Unterstützung verlieren und die Zustimmung zur großen Koalition abnimmt, trafen sich in Berlin die Geschäftsführenden Fraktionsvorstände der Koalitionspartner zu einer zweitägigen Klausurtagung. Die Stimmung war – den Umfragen zum Trotz – gut. Vor allem aber war sie konstruktiv und produktiv. So gab es in wichtigen Punkten Ergebnisse, die die Arbeitsfähigkeit der Koalition beweisen sollen. „Wir hatten eine erfolgreiche Klausur“, bringt es Rolf Mützenich, der kommissarische Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, auf einer Pressekonferenz im Reichstag auf den Punkt.

Mützenich: Wir stehen für Stabilität

Angesichts der Zuspitzung der internationalen Krise am Golf – „die auch nicht an Europa vorbei gehen wird“, so Mützenich – und angesichts diverser Brandbeschleuniger in der Politik, sollte „der Wert von gutem Regieren, Diskussionen, Streit, aber auch Kompromissen vielleicht etwas besser gewürdigt werden“. Das Gespräch mit der Bürgermeisterin von Freetown in Sierra Leone als Gast der Klausur habe den Wert von Stabilität in der Politik sehr deutlich gemacht. „Für Stabilität stehen wir auch in dieser Koalition.“

Mützenich spricht von der „Selbstvergewisserung“ auf der Klausurtagung, „dass gutes Regieren sich auch für dieses Land lohnt“. Nach seiner Einschätzung haben die Ergebnisse der Klausurtagung „den Korb der Halbzeitbilanz gefüllt“. Er bezieht sich dabei auf die in diesem Jahr anstehende Halbzeitbilanz der Koalitionsarbeit durch die SPD. Dieser gefüllte Korb „ist ganz wichtig für meine Partei, weil wir uns natürlich Gedanken machen, wie besprechen wir das innerhalb der SPD“.

Halbzeitbilanz der SPD

Die anstehende Halbzeitbilanz bedeutet für Mützenich nicht nur „einen Strich zu ziehen, sondern sich auch zu überlegen, was haben wir bisher auf den Weg gebracht, und was steht noch vor uns, und ist das tragfähig für eine Koalition“. Nach Abschluss der Klausur zeigt sich der Fraktionschef „eigentlich ganz zuversichtlich“, dass die Fraktionsspitzen mit ihren Beschlüssen „einen ganz guten Weg gemacht haben“.

Ein wichtiger Erfolg für die SPD: Der Solidaritätszuschlag soll, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, für 90 Prozent der bisherigen Zahler ab dem Jahr 2021 abgeschafft werden. Das bedeutet eine Entlastung der Beschäftigten um zehn Milliarden Euro pro Jahr.

Teil-Streichung des Solidaritätszuschlages

Carsten Schneider, der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, kündigt dazu einen entsprechenden Gesetzentwurf von Bundesfinanzminister Olaf Scholz an. Der Union zu folgen, die oberen zehn Prozent auch von der Steuer zu befreien, hätte laut Schneider einen Einnahmeausfall von weiteren 12 Milliarden Euro pro Jahr bedeutet: „Das haben wir erstens nicht, und zum zweiten wollen wir Sozialdemokraten das auch nicht.“

In ihrem Papier „Wohlstand für alle – durch nachhaltiges Wachstum“ bekennen sich die Koalitionsfraktionen dazu, sich auf den bisherigen wirtschaftlichen Erfolgen nicht auszuruhen. „Wir dürfen den Anschluss an die Weltspitze nicht verlieren“, heißt es dort. Zugleich bekennen sich die Fraktionen zur Einhaltung der vereinbarten Klimaschutzziele. „Wir werden den Schutz natürlicher Ressourcen mit wirtschaftlichem Erfolg und sozialer Verantwortung erfolgreich verbinden.“

Mobilfunk für ländliche Regionen

Die Vorstände der Koalitionsfraktionen einigten sich auf eine „Zukunftsoffensive für eine starke Mobilfunkinfrastruktur in allen Regionen“. „Ich freue mich, dass wir diesen Beschluss gefasst haben“, sagt SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Es dürfe „keinen Bruch“ zwischen gut entwickelten und weniger gut entwickelten Regionen in Deutschland geben. „Wir können uns eben nicht allein auf den Markt verlassen. Wir sind der festen Überzeugung, dass der Staat hier eingreifen muss.“

Im Beschlusspapier der Fraktionsspitzen dazu heißt es: „Weiße Flecken, in denen es keine Mobilfunkversorgung gibt, passen nicht zu unserem Anspruch als eine der führenden Wirtschaftsnationen der Welt.“ Die neue Ausbauoffensive soll erreicht werden durch eine neue Mobilinfrastrukturgesellschaft des Bundes für den Bau von Mobilfunkmasten in unversorgten Regionen. Damit kann sich die öffentliche Hand erstmalig selbst am Mobilfunkausbau beteiligen. Kommunen, die mit dem Bund dabei zusammenarbeiten, sollen „zügig unterstützt werden“. Um den Ausbau voran zu bringen soll „prioritär auf Grundstücke und Liegenschaften der öffentlichen Hand zurückgegriffen“ werden. „Wo der Markt aus wirtschaftlichen Gründen versagt, wird der Staat selbst handeln“, erklärt dazu SPD-Fraktionsvize Sören Bartol. „Mobilfunk muss überall verfügbar sein.“

Neue Förderung strukturschwacher Regionen

Ein weiterer wichtiger Beschluss: Bis zum Jahresende 2019 soll ein gesamtdeutsches Fördersystem für strukturschwache Regionen entwickelt werden. Es ist für die Zeit nach dem Auslaufen des Solidarpaktes II geplant. Das System soll laut Beschlusspapier darauf ausgerichtet sein, „zweck- und bedarfsgerecht die ländlichen und städtischen Räume zu fördern, die strukturschwach sind, ganz gleich, ob sie geografisch im Osten, Westen, Süden oder Norden liegen – oder in welchem Bundesland“.

In der Pflegepolitik einigten sich die Vorstände auf eine zügige Umsetzung der „Konzertierten Aktion Pflege“. Danach sollen die Pflegekräfte künftig besser bezahlt, am Bedarf orientierte Personalbemessungsverfahren eingeführt, die Anwerbung ausländischer Pflegekräfte beschleunigt und die Zahl der Auszubildenden und Ausbildungseinrichtungen gesteigert werden. „Jetzt gilt es, die vereinbarten Maßnahmen zügig und mit ganzer Kraft umzusetzen“, heißt es im Beschlusspapier der Koalitionsfraktionen. „Gefragt sind dabei alle Beteiligten der Konzertierten Aktion – Bund, Länder, Kommunen, Sozialpartner und Verbände – jeder in seiner Verantwortung.“

Dissens bei Grundsteuer bleibt vorerst

Trotz zahlreicher Einigungen der Fraktionsspitzen auf ihrer Klausurtagung bleiben wichtige Meinungsverschiedenheiten zwischen SPD und Union bestehen. Carsten Schneider, der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, unterstreicht in einem Interview mit dem Sender „Phoenix“, bisher gebe es noch keine Einigung zum Grundsteuer-Vorschlag von Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Der Vorschlag werde „noch von der CSU torpediert“. Schneider betont, „es ist höchste Zeit, dass wir zu einer Einigung kommen“. Ziel müsse es sein, die Grundsteuer zu erhalten. Sie sei für die Kommunen unverzichtbar. Sie sei im übrigen „die einzige relevante vermögensbezogene Steuer“. Mit der CSU sei hier noch „ein harter Kampf“ auszufechten.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich betont nach der Fraktionsklausur, „die Fraktionen im Deutschen Bundestag haben hier noch ein Wort mitzureden“. Zugleich zeigt er sich leicht optimistisch: „Möglicherweise wird es in den nächsten Tagen vielleicht noch ein stärkeres Zusammenrücken geben mit der Bundesregierung.“

Keine Einigung über Grundrente

Auch beim Thema Grundrente sind die Koalitionspartner von einer Einigung weit entfernt. „Wir stimmen darin überein, dass wir nicht übereinstimmen“, bilanziert Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider. Die Union trage den sehr guten Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil leider nicht mit. Die Union wolle eine Grundrente für 130.000 Bürger. „Ich will sie für drei Millionen“, so Schneider zu den unterschiedlichen Zielen von SPD und CDU/CSU. „Diesen Streit werden wir in der Koalition noch ausfechten und dann wird es auch eine Entscheidung geben“, kündigt Schneider an.

 

 

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