Matthias Miersch

SPD-Experte: Energiepreise nicht allein dem Markt überlassen

Kai Doering16. März 2022
Was tun gegen steigende Benzinpreise: Wir können nicht sicherstellen, dass Steuersenkungen tatsächlich an Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden, meint SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch.
Was tun gegen steigende Benzinpreise: Wir können nicht sicherstellen, dass Steuersenkungen tatsächlich an Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden, meint SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch.
Der Krieg in der Ukraine lässt die Energiepreise in Deutschland deutlich steigen. Neben einer Entlastung der Verbraucher*innen fordert SPD-Experte Matthias Miersch, Energiepreis-Spekulationen zu verbieten. Steuersenkungen auf Benzin sieht er kritisch

Der Krieg in der Ukraine hat den Menschen die Anhängigkeit von fossilen Energieträgern besonders aus Russland vor Augen geführt. War Deutschland naiv?

Nein, auf keinen Fall. Allerdings haben wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu stark auf Kohle- und Atomstrom gesetzt. Das wird uns nun besonders schmerzlich vor Augen geführt. Durch den gleichzeitigen Ausstieg aus Kohle und Atom, den ich nach wie vor für absolut richtig halte, ist das Thema Gas stärker in den Mittelpunkt gerückt, zumal es beim Übergang in die Wasserstofftechnologie eine wichtige Rolle spielt. Die Gefahren der Abhängigkeit, die damit verbunden sind, waren uns immer bewusst. Die aktuelle Situation unterstreicht aber, dass es nur einen Weg zu wirklicher Energiesouveränität gibt und das ist der maximale Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Matthias Miersch
Matthias Miersch ist Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD und stellvertretender Fraktionsvorsitzender.

Nach Ausbruch des Kriegs wird nun ein sofortiger Importstopp für Gas, Öl und Kohle aus Russland diskutiert. Eine Mehrheit der Deutschen wäre dafür. Ist solche eine Maßnahme realistisch?

Das ist eine extrem schwierige Frage und ich wundere mich, wie leichtfertig manche Experten meinen, ein Importstopp wäre mal eben so möglich, ohne dass wir in große Turbulenzen kommen. Tatsache ist, dass wir mehr als die Hälfte unseres Gases aus Russland beziehen. Für die deutsche Energieversorgung ist ein Importstopp für russische Energie deshalb überhaupt nicht trivial und würde Wirtschaft und Industrie mindestens ebenso hart treffen wie Verbraucherinnen und Verbraucher. Mit ein bisschen „Frieren für die Freiheit“ wie es der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck ausgedrückt hat, ist es dann nicht mehr getan. Es hätte extreme Verwerfungen für die Wirtschaft und ganz sicher auch steigende Arbeitslosenzahlen zur Folge. Das endgültige Kappen der Energieversorgung würde aber auch weite Teile der Bevölkerung in Russland treffen. Die Bundesregierung muss nun abwägen zwischen ganz unterschiedlichen, aber doch sehr relevanten Punkten. Darum beneide ich sie nicht.

Um Gas-Importe auch mittelfristig zu ersetzen, schlagen viele vor, länger als geplant auf die Verstromung von Kohle zu setzen. Ist das vor dem Hintergrund des Kohleausstiegs ein gangbarer Weg?

Die aktuelle Situation macht sehr deutlich, dass viele Themen, die gerne getrennt voneinander gesehen werden, sehr stark zusammenhängen: Klimaschutz, Versorgungssicherheit, aber auch Bezahlbarkeit von Energie und letztlich sozialer Zusammenhalt. Um unabhängiger von Energieimporten zu werden, müssen wir als erstes noch schneller werden beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. Hierbei geht es nicht um Jahre, sondern um Monate. Klar ist auch, dass eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke keine Lösung sein kann und zwar aus vielerlei Gründen. Das schreckliche Unglück von Fukushima hat sich ja gerade erst wieder gejährt. Tschernobyl ist durch die Besetzung durch russische Truppen auch gerade wieder in den Schlagzeilen. Eine zusätzliche Möglichkeit, um russisches Gas zu ersetzen, ist sich Gas von anderen Partnern zu besorgen. Reserve-Kohlekapazitäten können ggf. helfen, die dann noch bestehende Lücke zu füllen.

In seiner Regierungserklärung hat Bundeskanzler Olaf Scholz nicht nur bei der Verteidigung von einer „Zeitenwende“ gesprochen, sondern auch bei der Energieversorgung. Wie sollte sie aus Ihrer Sicht aussehen?

Erneuerbare Energien galten ja lange als „nice to have“. Mit dem Krieg in der Ukraine sehen wir, dass es dabei um substanzielle Fragen geht. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist überragend für das öffentliche Interesse, nicht nur, um das Klima zu schützen, sondern um eine sichere Energieversorgung zu gewährleisten. Es ist eine entscheidende strategische Frage, hinter der andere Interessen im Zweifelsfall zurückstehen müssen. Konkret bedeutet das z.B., dass beim Bau von Windkraftanlagen in Zukunft unter Umständen nicht mehr das kleinste Individualinteresse gewahrt werden kann, weil sich der Bau sonst zu lange verzögert oder gar nicht stattfindet. Das können wir uns nicht mehr leisten. Wir brauchen einen klaren Vorrang zu Gunsten der Erneuerbaren Energien. Neben Ernährung und Wasser ist Energie eine elementare Voraussetzung, die wir zum Leben brauchen.

Besonders macht sich das im Moment an der Tankstelle bemerkbar, wo der Benzinpreis auf mehr als zwei Euro gestiegen ist, was vor allem Pendler*innen hart trifft. Die Bundesregierung plant nun ein zweites Entlastungspaket. Wo muss das ansetzen?

Die rasant steigenden Energiepreise zeigen, dass eine bezahlbare Energieversorgung Bestandteil von Daseinsvorsorge sein muss wie die Versorgung mit Wasser oder die Müllabfuhr. Sie darf deshalb nicht allein dem Markt überlassen werden. Die aktuellen Preissprünge sind vor allem auf Spekulationen zurückzuführen. Eine wirkliche Verknappung von Energie gibt es ja noch gar nicht. Wir müssen deshalb alle Möglichkeiten nutzen, die Kartell- und Wettbewerbsrecht bieten, um diesen Spekulationen einen Riegel vorzuschieben. Daneben beschließen wir gerade ein Entlastungspaket im Umfang von 13 Milliarden Euro und diskutieren weitere Maßnahmen wie zum Beispiel ein Mobilitätsgeld.

Eine schnelle Entlastung könnten Steuersenkungen etwa auf Benzin bringen.

Da bin ich sehr skeptisch. Wenn suggeriert wird, dass Steuersenkungen zu schnellen Entlastungen führen, wird damit aus meiner Sicht zu viel versprochen. Wir können nicht sicherstellen, dass Steuersenkungen tatsächlich an Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden. Deshalb sollten Maßnahmen beschlossen werden, die die Entlastungen für Verbraucherinnen und Verbraucher und die Wirtschaft sicherstellen.

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Kommentare

Energiewende

Da haben die Regierungen der letzten Jahre (mit SPD Beteiligung) geschlafen. Gerade hörte ich im Radio, daß in Fukuschima mal wieder die Erde bebt. Bei Wasserstoffwirtschaft bin ich skeptisch ob das so einfach ist wie oft dargestellt.
Sozialdemokratisches Handeln würde es erfordern den Spekulationen mit Energie und der derzeitigen Profitmaximierung der Mineralölindustrie das Handwerk zu legen - nur 1/4 der Preissteigerungen der letzten Wochen ist durch erhöhte Rohölpreise nachvollziehbar.
Genauso muss die Spekulation mit Grundnahrungsmitteln (Getreide) verboten werden - wenn es um die Lebensinteressen der Menscheen - besonders im globale Süden, geht ist das zu unterbinden - gewöhnlich nennt ihr das Marktversagen, aber es ist schlichtweg brutaler Kaputalismus. Wir brauchen jetzt sozialdemokratische Lösungen und keinen Waschingtoner Consensus.

Ich bezweifele, dass die aktuellen Preise

vor allem auf Spekulation beruhen, wie im Artikel ausgeführt. Vielmehr ist es doch so, dass die Anbieter erkennen, welchen Preis zu zahlen die Verbraucher bereit sind , um festzustellen, dass von diesem Marktpreis nur ein geringer Anteil bei Ihnen landet. Die Erwartung, man könne die Steuern auf Treibstoff immer höher schrauben und die Hersteller wird sich mit dem zufrieden geben, was er seit jeher verdient, muss fehl gehen. das ist bei den Landwirten nicht anders, die für ihre Milch 20 cent/l. bekommen, und dann sehen , dass der Verkaufspreis bei 1 € liegt- trotz der geringen Besteuerung dieses Produkts. Beim Treibstoff ist die Schraube einfach überdreht worden, nach "zu fest kommt ab", und nun haben wir den Salat. Dass nun ein Staatszuschuss per Gutschrift kommen soll, ändert an dem Problem nichts, denn wer den Preis zahlt, der Einzelne oder die Gesellschaft, das ist dem Verkäufer egal. Wenn wir aus ökologischen Gründen den Individualverkehr verteuern wollen, dann muss die nicht via Treibstoffabgebe geschehen, sondern anders, beispielsweise durch eine Maut. Hätten wir die, wäre an der Tankstelle wieder Ruhe

Energiepreise nicht allein dem Markt überlassen

Bereits bei der Ölkrise im Zusammenhang mit dem Nahost-Krieg im Jahre 1973 wurde das Verhalten der Ölmultis allgemein kritisiert.

Es wäre daher in der Tat überlegenswert, seitens der Bundesregierung oder der EU-Kommission mit entsprechenden Maßnahmen einzugreifen. Auf Forderungen nach einer Verstaatlichung der Konzerne wurde damals auf einen möglichen Lieferboykott hingewiesen. Würden die Ölmultis einen Lieferboykott auch dann riskieren, wenn 27 EU-Länder solche Maßnahmen ergreifen würden?

Sie sagen es und bringen es auf den Punkt

würden die 27 Länder der EU einen Lieferboykott organisieren können und was würden die Multis dazu sagen? Die Frage stellt sich in der Praxis nicht, denn die 27 Länder der EU haben ja nicht Unisono die Probleme, die sich hierzulande stellen. In DK zB. tanke ich unverändert zu Preisen, wie zuvor auch hier bei uns. Bei uns ist der erzielbare Marktpreis aber jetzt ein anderer, weil hier bei uns der Staat in einem Ausmaß Einfluss auf den Preis nimmt wie sonst nirgends. das macht den Unterschied- wollte ich provozieren, müsste ich sagen, das die hohen Preise gewollt sind- nicht nur bei den Grünen, bei denen dies ja außer Frage steht. Jetzt geht es darum, die Mehreinnahmen so zu verteilen, das den Reichen genommen und den Armen gegeben wird. Ich bin mir ziemlich sicher , dass dies gelingen wird, auch wenn wieder ein Paar Verteilungsbeamte in den Ministerien dazukommen müssen, zwangsläufig denn von allein verwaltet sich solches ja nicht. Wer all das nicht will, der Möge die Steuerschraube bei der Maut ansetzen, Erstwagen relativ günstig, nach Gewicht PS usw gestaffelt. Zweitwagen, egal ob groß oder klein, sehr teuer. Das funktioniert gerechter als die Umverteilung mittels Tankgutscheinen

Benzinpreise

Ich stimme Ihnen zu; es ist bekannt, dass die Spritpreise in der EU unterschiedlich hoch sind wegen der unterschiedlichen Besteuerung etc. Ich habe früher regelmäßig in Luxembourg getankt, wo die Preise rd. 20 Cent niedriger lagen und komme leider jetzt nur noch seltener dorthin.

Ihre Vorschläge wären mir willkommen, dazu auch Templimits u,ä. Allerdings mauert hier die FDP wie früher die Union; die Herstellung von SUV's könnte meinetwegen ganz verboten werden; stattdessen sollten wie bereits in früheren Jahren Fahrzeuge mit niedrigen Verbräuchen wieder auf den Markt kommen, aber dies scheint den Autoproduzenten nicht zu gefallen. Gerade die großen Schlitten finden den besten Absatz.

verbieten, mit Verboten arbeiten, das ist ja nun ganz

verkehrt, wird von Wählern regelmäßig nicht gutiert und ruft Nachfolger auf den Plan, die dann auch verbieten wollen, was iE verboten gehört, zum Beispiel Schweinefleisch. Am Ende finden wir uns dann wieder im real existierenden Sozialismus mit seiner Standardkonfektion für alle Lebensbereiche .
Wer will, soll gerne SUV kaufen und solche Autos fahren. Wenn die Nutzungskosten dafür in die Höhe gehen, ist das ein Weg, das offenkundig überschüssig vorhandene Geld wieder einzusammeln.