SPD-Experte: Energiepreise nicht allein dem Markt überlassen
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Der Krieg in der Ukraine hat den Menschen die Anhängigkeit von fossilen Energieträgern besonders aus Russland vor Augen geführt. War Deutschland naiv?
Nein, auf keinen Fall. Allerdings haben wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu stark auf Kohle- und Atomstrom gesetzt. Das wird uns nun besonders schmerzlich vor Augen geführt. Durch den gleichzeitigen Ausstieg aus Kohle und Atom, den ich nach wie vor für absolut richtig halte, ist das Thema Gas stärker in den Mittelpunkt gerückt, zumal es beim Übergang in die Wasserstofftechnologie eine wichtige Rolle spielt. Die Gefahren der Abhängigkeit, die damit verbunden sind, waren uns immer bewusst. Die aktuelle Situation unterstreicht aber, dass es nur einen Weg zu wirklicher Energiesouveränität gibt und das ist der maximale Ausbau der Erneuerbaren Energien.
Nach Ausbruch des Kriegs wird nun ein sofortiger Importstopp für Gas, Öl und Kohle aus Russland diskutiert. Eine Mehrheit der Deutschen wäre dafür. Ist solche eine Maßnahme realistisch?
Das ist eine extrem schwierige Frage und ich wundere mich, wie leichtfertig manche Experten meinen, ein Importstopp wäre mal eben so möglich, ohne dass wir in große Turbulenzen kommen. Tatsache ist, dass wir mehr als die Hälfte unseres Gases aus Russland beziehen. Für die deutsche Energieversorgung ist ein Importstopp für russische Energie deshalb überhaupt nicht trivial und würde Wirtschaft und Industrie mindestens ebenso hart treffen wie Verbraucherinnen und Verbraucher. Mit ein bisschen „Frieren für die Freiheit“ wie es der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck ausgedrückt hat, ist es dann nicht mehr getan. Es hätte extreme Verwerfungen für die Wirtschaft und ganz sicher auch steigende Arbeitslosenzahlen zur Folge. Das endgültige Kappen der Energieversorgung würde aber auch weite Teile der Bevölkerung in Russland treffen. Die Bundesregierung muss nun abwägen zwischen ganz unterschiedlichen, aber doch sehr relevanten Punkten. Darum beneide ich sie nicht.
Um Gas-Importe auch mittelfristig zu ersetzen, schlagen viele vor, länger als geplant auf die Verstromung von Kohle zu setzen. Ist das vor dem Hintergrund des Kohleausstiegs ein gangbarer Weg?
Die aktuelle Situation macht sehr deutlich, dass viele Themen, die gerne getrennt voneinander gesehen werden, sehr stark zusammenhängen: Klimaschutz, Versorgungssicherheit, aber auch Bezahlbarkeit von Energie und letztlich sozialer Zusammenhalt. Um unabhängiger von Energieimporten zu werden, müssen wir als erstes noch schneller werden beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. Hierbei geht es nicht um Jahre, sondern um Monate. Klar ist auch, dass eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke keine Lösung sein kann und zwar aus vielerlei Gründen. Das schreckliche Unglück von Fukushima hat sich ja gerade erst wieder gejährt. Tschernobyl ist durch die Besetzung durch russische Truppen auch gerade wieder in den Schlagzeilen. Eine zusätzliche Möglichkeit, um russisches Gas zu ersetzen, ist sich Gas von anderen Partnern zu besorgen. Reserve-Kohlekapazitäten können ggf. helfen, die dann noch bestehende Lücke zu füllen.
In seiner Regierungserklärung hat Bundeskanzler Olaf Scholz nicht nur bei der Verteidigung von einer „Zeitenwende“ gesprochen, sondern auch bei der Energieversorgung. Wie sollte sie aus Ihrer Sicht aussehen?
Erneuerbare Energien galten ja lange als „nice to have“. Mit dem Krieg in der Ukraine sehen wir, dass es dabei um substanzielle Fragen geht. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist überragend für das öffentliche Interesse, nicht nur, um das Klima zu schützen, sondern um eine sichere Energieversorgung zu gewährleisten. Es ist eine entscheidende strategische Frage, hinter der andere Interessen im Zweifelsfall zurückstehen müssen. Konkret bedeutet das z.B., dass beim Bau von Windkraftanlagen in Zukunft unter Umständen nicht mehr das kleinste Individualinteresse gewahrt werden kann, weil sich der Bau sonst zu lange verzögert oder gar nicht stattfindet. Das können wir uns nicht mehr leisten. Wir brauchen einen klaren Vorrang zu Gunsten der Erneuerbaren Energien. Neben Ernährung und Wasser ist Energie eine elementare Voraussetzung, die wir zum Leben brauchen.
Besonders macht sich das im Moment an der Tankstelle bemerkbar, wo der Benzinpreis auf mehr als zwei Euro gestiegen ist, was vor allem Pendler*innen hart trifft. Die Bundesregierung plant nun ein zweites Entlastungspaket. Wo muss das ansetzen?
Die rasant steigenden Energiepreise zeigen, dass eine bezahlbare Energieversorgung Bestandteil von Daseinsvorsorge sein muss wie die Versorgung mit Wasser oder die Müllabfuhr. Sie darf deshalb nicht allein dem Markt überlassen werden. Die aktuellen Preissprünge sind vor allem auf Spekulationen zurückzuführen. Eine wirkliche Verknappung von Energie gibt es ja noch gar nicht. Wir müssen deshalb alle Möglichkeiten nutzen, die Kartell- und Wettbewerbsrecht bieten, um diesen Spekulationen einen Riegel vorzuschieben. Daneben beschließen wir gerade ein Entlastungspaket im Umfang von 13 Milliarden Euro und diskutieren weitere Maßnahmen wie zum Beispiel ein Mobilitätsgeld.
Eine schnelle Entlastung könnten Steuersenkungen etwa auf Benzin bringen.
Da bin ich sehr skeptisch. Wenn suggeriert wird, dass Steuersenkungen zu schnellen Entlastungen führen, wird damit aus meiner Sicht zu viel versprochen. Wir können nicht sicherstellen, dass Steuersenkungen tatsächlich an Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden. Deshalb sollten Maßnahmen beschlossen werden, die die Entlastungen für Verbraucherinnen und Verbraucher und die Wirtschaft sicherstellen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.