SPD-Elterngeld-Modell: „Wollen eine weitere Wahlmöglichkeit schaffen.“
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Mit einem 6+6+6-Modell will die SPD das Elterngeld weiterentwickeln. Was ist das Ziel?
Wir wollen damit eine weitere Wahlmöglichkeit schaffen. Bisher ist es häufig so, dass von den 14 Monaten, in denen Elterngeld bisher bezogen werden kann, die Mütter zwölf Monate beantragen und die Väter lediglich zwei. Man spricht deshalb ja auch umgangssprachlich häufig von den „Vätermonaten“, was eigentlich nicht so gedacht ist. Deshalb haben wir das 6+6+6-Modell entwickelt: Jeder Elternteil kann damit jeweils sechs feste Monate Elterngeld beziehen. Die übrigen sechs können die Elternteile frei unter sich verteilen. Das gilt natürlich auch für Alleinerziehende.
In den letzten sechs Monaten soll dann das Elterngeld auf 80 Prozent des vorherigen Lohns erhöht werden. Warum?
Das ist ein sehr wichtiges Element des neuen Modells. Elternzeit zu nehmen und Elterngeld zu beantragen, ist für viele Familien auch eine finanzielle Entscheidung. Viele müssen gut rechnen, ob sie für eine Zeit mit weniger Geld zurechtkommen. Deshalb sagen wir: Wir helfen Euch, partnerschaftlich zu entscheiden, also eine gleich lange Elternzeit von Mutter und Vater zu planen. Indem wir die Lohnersatzleistung in den letzten sechs frei verteilbaren Elterngeldmonaten auf 80 Prozent anheben. Das macht es leichter, auf das meist höhere Einkommen des Vaters zu verzichten.
Viele Väter sollen regelrecht Angst davor haben, ihre Chefin oder ihren Chef um Elternzeit zu bitten, auch wenn sie einen rechtlichen Anspruch darauf haben. Wie kann ihre Position zusätzlich weiter gestärkt werden?
Die beste Stärkung ist, wenn möglichst viele Männer Elternzeit in Anspruch nehmen. Letztlich kann die Politik nur den Rahmen setzen, den Eltern und Betriebe dann ausfüllen müssen. Das versuchen wir mit dem neuen Modell. Ich kann jeden Vater nur ermutigen, Elternzeit zu nehmen, denn das ist eine ganz besondere Zeit. Ich höre aber auch von immer mehr Unternehmen, die von sich aus auf ihre Mitarbeiter zukommen und sie fragen, ob sie nicht in Elternzeit gehen wollen. Die Akzeptanz ist seit der Einführung des Elterngelds 2007 deutlich gewachsen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner hat vorgeschlagen, Elterngeld künftig nur noch an Familien zu zahlen, in denen das Jahreseinkommen 150.000 Euro nicht überschreitet. Würde das nicht dem Ziel der SPD, mehr Anreize fürs Elterngeld zu setzen, widersprechen?
Absolut! Denn das Elterngeld wurde 2007 eingeführt, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Es ist keine Sozialleistung, sondern ein familienpolitisches Gleichstellungstellungsinstrument. Insbesondere Männer sollen mit dem Elterngeld motiviert werden, mehr Verantwortung in der Familie zu übernehmen. Ich bin überzeugt, dass ohne Elterngeld auch bei Gutverdienenden wieder die Frau zu Hause bleiben wird, weil Männer mehr in der Regel immer noch mehr verdienen. Die geplante Streichung wäre damit ein gleichstellungspolitischer Rückschritt.
Klar ist: Familien brauchen mehr Unterstützung. Gerade sie haben unter der Corona-Krise besonders gelitten. Sie gehören deshalb unbedingt in den Mittelpunkt der Politik! Ich unterstütze deshalb Lars Klingbeil in der Forderung, dass wir die Diskussion über den kommenden Bundehaushalt nicht auf dem Rücken der Familien zu führen, sondern andere steuerpolitische Maßnahmen in den Blick nehmen – zum Beispiel die Abschaffung des Ehegattensplittings für neue Ehen.
Für eine bessere Vereinbarkeit werden in der SPD auch neue Arbeitszeitmodelle wie eine 30-Stunden-Woche diskutiert. Geht das in Zeiten des Fachkräftemangels?
Ja, das geht, weil auf der anderen Seite die Arbeitszeit ja erhöht wird. Im Moment arbeiten viele Frauen deutlich weniger als 30 Stunden in der Woche. Wenn sie ihre Arbeitszeit erhöhen und der andere Elternteil die Arbeitszeit verringert, gleicht sich das mindestens aus. Es gibt auch Berechnungen, dass sich die Arbeitsleistung gesamtgesellschaftlich sogar erhöhen würde, etwa dadurch, dass es zu weniger Krankentagen kommt und die Beschäftigten weniger Druck haben. Wenn die Sozialpartner die 30-Stunden-Woche vereinbaren, könnte der Staat helfen, indem er über Familienarbeitszeit-Modelle einen Teil des Lohns ersetzt. Das ist übrigens auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht total sinnvoll: Wenn wir darüber diskutieren, was wir gegen den Fachkräftemangel tun können, dürfen wir das Potenzial der Frauen nicht einfach verschenken. Dafür müssen wir auch ans Steuersystem ran.
Bis Ende August will die Bundesregierung den Entwurf für die Kindergrundsicherung vorlegen. Im Haushalt sind bisher nur zwei Milliarden Euro als „Platzhalter“ vorgesehen. Reichen die aus?
Die Kindergrundsicherung soll Kinder aus der Armut holen. Dafür muss der Staat das Geld geben, das dafür notwendig ist. Ob es mit zwei Milliarden getan ist, bezweifle ich. Genau lässt es sich aber erst sagen, wenn das Konzept der Bundesregierung vorliegt. Mit der deutlichen Erhöhung des Kindergeldes und dem Kinderzuschlag gibt der Staat ja auch bereits deutlich mehr Geld, was sich schon bemerkbar macht. Geld allein reicht aber nicht. Es geht auch um eine bessere Infrastruktur für Kinder und Jugendliche und darum, dass Familien das bekommen, was ihnen zusteht. Deshalb müssen alle Familienleistungen so gebündelt werden, dass sich Familien nur an eine Stelle wenden müssen. Der Rest muss dann im Hintergrund laufen.
Ist all das zu leisten, wenn gleichzeitig die Schuldenbremse eingehalten werden soll?
Wenn dem Bundesfinanzminister das notwendige Geld für Kinder fehlt, ist die SPD gerne dazu bereit, ihm zu helfen. Eltern mit hohem Einkommen haben über den Kinderfreibetrag im Schnitt 100 Euro mehr zur Verfügung als Eltern mit geringeren Einkommen. Wenn man sie gleichstellen würde, würde damit Geld frei werden, das man für die Kindergrundsicherung einsetzen könnte. Ich würde mit Herrn Lindner eine Wette eingehen, dass wir so die zwölf Milliarden Euro zusammenbekommen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.