SPD diskutiert über Gerechtigkeit: Steuerdumping schafft keinen Wohlstand
Dirk Bleicker
Der jüngste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung kam zu dem Ergebnis, dass die Schere zwischen Reich und Arm weiter auseinandergeht. Wie lässt sich diese Entwicklung stoppen?
Thorsten Schäfer-Gümbel: Steigende Löhne sind das A und O. Ob das geht, entscheidet sich zu allererst über funktionierende Sozialpartnerschaft und Tarifverträge. Deshalb ist eine der zentralen Thesen in unserem Wahlprogramm die Stärkung der Tarifpartnerschaft. Wenn die Union über Soziale Marktwirtschaft redet, ist das im besten Fall ein rhetorisches Relikt. Sie meint im Kern Marktradikalismus.
Erst danach kommt die Verteilungspolitik über die Besteuerung, beispielsweise durch einen höheren Spitzensteuersatz auf hohe und höchste Einkommen oder durch Vermögensbesteuerung. Da geht es vorrangig um Grund- und Boden, Immobilien und Anlagevermögen. Die effektivste Vermögensbesteuerung ist die Erbschaftssteuer. Aber der aktuelle Kompromiss mit unserem Koalitionspartner muss dringend nachgearbeitet werden, um mehr Steuergerechtigkeit zu ermöglichen.
Gustav Horn: Wenn man über Ungleichheit nachdenkt, dann hat das auch eine steuerpolitische Komponente. Ich sehe die im Wesentlichen im Bereich der Vermögenssteuern. Bei der Einkommenssteuer sind die Möglichkeiten begrenzt. Man kann zwar den Spitzensteuersatz erhöhen, aber man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass dadurch sehr viel Steuereinnahmen hinzukommen, weil diese Einkommensgruppe schwach besetzt ist. Aber was man in dieser Hinsicht tun kann, sollte man tun.
Allerdings müsste man bei der Einkommenssteuer auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, untere und mittlere Einkommensgruppen etwas zu entlasten. Bei der Erbschaftssteuer wird die nächste Regierung Gelegenheit haben, sich erneut mit ihrer Reform zu beschäftigen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Bundesverfassungsgericht das Gesetz in der bisherigen Form so durchgehen lässt.
Haben wir zu hohe Abgaben auf Arbeit und zu geringe auf Kapital?
Schäfer-Gümbel: Wir müssen Kapital und Arbeit wieder gleichmäßig mit dem persönlichen Einkommenssteuersatz besteuern, also die Abgeltungssteuer abschaffen. Das kann jetzt funktionieren, weil wir durch die OECD-Vereinbarung den notwendigen Datenaustausch haben. Am Ende geht es auch um die Durchsetzung des geltenden Steuerrechtes. Es kann nicht sein, dass zum Beispiel ein internationaler Kaffeehaus-Konzern sich seinen steuerlichen Verpflichtungen durch eine „kreative“ Steuergestaltung entzieht, während das familiengeführte Café um die Ecke volle Steuer- und Sozialabgaben zahlt.
Wir haben bereits eine ganze Reihe von Instrumentarien, aber man muss sie durchsetzen. Es muss aufhören, dass einzelne Bundesländer, die eine geringe Kontrolldichte haben, dies als eine Art „Standortvorteil ihres Bundeslandes“ sehen. Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir in allen Bundesländern vergleichbare Standards bei den Steuer- und Betriebsprüfungen bekommen. Nordrhein-Westfalen unter der Leitung von Norbert Walter-Borjans war hier klar Vorbild. Ich bin gespannt, wie die nächste Landesregierung damit umgehen wird. Wir werden es genau überprüfen.
Horn: Insofern wäre ein Diskurs wichtig, der da sagt: Steuerdumping ist keine Wohlstandsquelle. Das sind kurzfristige Effekte, das sind nicht die Unternehmen, die man auf Dauer in seinem Land haben will. Man kann auch sagen: Nordrhein-Westfalen war ein Beispiel für erfolgreich praktizierte Bekämpfung von Steuerhinterziehung. Man muss es nur wollen.
Schäfer-Gümbel: Ich teile das ausdrücklich.
Horn: Wir brauchen zudem unbedingt eine Finanzmarkttransaktionssteuer. Es ist ein Unding, dass vieles, was wir täglich konsumieren, mit der Mehrwertsteuer belegt wird, aber bei Finanzmarkttransaktionen fallen keine Steuern an. Ich glaube, das kann man den Menschen auf Dauer nicht verkaufen.
Da sollte man sich von der Vorstellung lösen, dass sofort der Finanzplatz Frankfurt in tiefe Depression verfällt, wenn man die Finanzmarkttransaktionssteuer dort als erstes erheben würde. So flexibel ist der Finanzmarkt nicht. Er wird am Standort der EZB bleiben. Ich bin mir zudem sicher, dass man viel Unterstützung im Ausland für dieses Vorgehen findet, wenn auch nicht bei allen. Aber das entspricht ja wiederum einer europäischen Strategie, die Jean-Claude Juncker vorgeschlagen hat. Man muss Koalitionen der Willigen bilden.
Ein weiteres Interview mit Thorsten Schäfer-Gümbel und Gustav Horn finden Sie unter Globalisierung neu denken. Wie eine sozialdemokratische Wirtschaftspolitik aussehen muss.
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hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.