Warum die SPD vor 50 Jahren ihren Bundesgeschäftsführer erfand
Die Unruhe in der SPD blieb, obwohl die Zustimmung zur Großen Koalition mit der CDU/CSU im November 1966 in den SPD-Gremien eindeutig ausfiel. Auf Konferenzen und regionalen Parteitagen musste die Führung weiterhin für die GroKo werben, die vielen in der SPD als Bündnis mit einem verhassten Gegner erschien. Die strategische Überlegung der SPD-Führung, dass nur über eine Koalition mit der CDU/CSU die SPD hinreichend Vertrauenskapital erwerben könne, wurde in der SPD nur begrenzt geteilt.
Große Zweifel an der Groko 1968
Die SPD litt auch unter dem Vorwurf, sie habe voreilig die Oppositionsrolle aufgegeben und damit das parlamentarische System gefährdet. Als sich dann 1967 aus der Studentenbewegung machtvoll die Außerparlamentarische Opposition (APO) entwickelte, wuchsen die Zweifel am politischen Kurs.
Dass der Angriff auf die SPD auch ihre Wählerschaft beeindrucken könnte, zeigten die nächsten Landtagswahlen: Im März verlor sie bei den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin (West) 5 Prozent, im Juni bei den Landtagswahlen in Niedersachsen verlor sie 1,8 Prozent, blieb aber stärkste Partei.
In der Bonner Parteizentrale läuft es nicht rund
Auch in der Bonner SPD-Zentrale, der „Baracke“, lief vieles nicht rund. Herbert Wehner, der bis Dezember 1966 als Zuchtmeister die Parteiorganisation straff geführt hatte, war in die Regierung gewechselt. Der stellvertretende Vorsitzende Fritz Erler starb im Februar 1967. Der Vorsitzende Willy Brandt konnte diese Lücke nicht füllen, denn das Amt des Außenministers und Vizekanzlers lastete ihn voll aus. Mit einem Notbeschluss wollte die Parteiführung der Organisationsschwäche abhelfen: Schatzmeister Alfred Nau wurde im März zum Geschäftsführenden Präsidiumsmitglied bestellt. Nau genoss als Parteikassierer großen Respekt in der Organisation, doch diese Aufgabe überforderte ihn.
Als bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz im April ein Verlust von 3,9 Prozent eingefahren wurde, und im Oktober mit 8,7 Prozent Verlust in Bremen eine Wahlkatastrophe passierte, trafen diese Niederlagen auf eine ratlose SPD-Führung. In Bremen führte der Verlust der seit 1946 bestehenden absoluten Mehrheit zu personellen Konsequenzen. Der bisherige Bürgermeister Willy Dehnkamp wurde durch den 38-jährigen Hans Koschnick ersetzt. Als neuer Hoffnungsträger sollte er Bremens SPD aus dem Stimmungstief herausführen.
Die rechtsradikale NPD zieht in die Landesparlamente
Der Parteivorstand selbst reagierte mit einem Programmtext sozialdemokratische Perspektiven im Übergang zu den siebziger Jahren, der Orientierung für den Parteitag im März 1968 geben sollte. Der Parteitag verlief diskussionsreich, wobei die SPD-Führung die Zustimmung zu ihrer Politik erkämpfen konnte.
Bei der baden-württembergischen Landtagswahl im April verlor die SPD wiederum: Mit 8,2 Prozent Verlust stand dort die SPD vor einem Debakel. Außerdem bestätigte sich ein Trend seit 1965: Zum wiederholten Male zog die rechtsradikale Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) in einen Landtag ein.
Wischnewski bietet sich an Retter in der Not
Beunruhigen musste die SPD-Führung auch, dass im Umfeld der neu gegründeten Kommunistischen Partei (DKP) über ein Wahlbündnis für die Bundestagswahl 1969 diskutiert wurde. Frühjahrs-Demonstrationen gegen die geplante Notstandsverfassung, die sich an die zustimmungsbereite SPD wandten, lösten weitere Unruhe in der Partei aus.
In dieser Situation schrieb Hans-Jürgen Wischnewski einen überraschenden Brief an Willy Brandt, in dem er sich für ein neues Amt anbot, das aber erst geschaffen werden musste: der Bundesgeschäftsführer.
Professionalisierung der Parteiarbeit
Der 45-jährige Wischnewski galt als Hoffnungsträger der SPD. Seit 1957 gehörte er dem Bundestag an. Als Unterstützer der algerischen Befreiungsbewegung (FLN) erwarb er sich einen bedeutenden Ruf, der später zu dem Namen Ben Wisch führte. In der GroKo war er Entwicklungsminister geworden. Um sich ausschließlich der SPD-Organisation widmen zu können, bot er den Verzicht auf das Ministeramt an.
Zunächst gab es in der SPD-Führung Bedenken gegen die Professionalisierung der Organisationspolitik. Genau 10 Jahre vorher hatte der Parteitag in Stuttgart den besoldeten Vorstand abgeschafft und dessen Aufgaben einem Präsidium zugeordnet, was bis zur Bildung der GroKo funktioniert hatte. Die Unruhe in der Partei und die Wahlniederlagen erzwangen jetzt eine Korrektur, wenn die Vorbereitungen für die Bundestagswahl 1969 noch rechtzeitig beginnen sollten.
Stärkung der Organisation und Pressearbeit
Am 31. Mai 1968 wurde Hans-Jürgen Wischnewski vom Parteivorstand zum Bundesgeschäftsführer bestellt. In einer Erklärung am 6. Juni machte er deutlich, was er anpacken wollte: Langfristige Planung, Stärkung der Organisation, Pressearbeit.
Tatsächlich gelang ihm eine Wende. Die SPD führte 1968 einen deutlich modernisierten Bundestagswahlkampf, dessen Ergebnis mit 42,7 Prozent die Voraussetzung für die sozialliberale Koalition schaffte.
Seit 1999 Generalsekretär der SPD
Unmittelbar gedankt hat die SPD Hans-Jürgen Wischnewski nicht, denn der Organisationsparteitag 1971 lehnte die Direktwahl des Bundesgeschäftsführers ab. Wischnewski trat daraufhin zurück, Nachfolger wurde Holger Börner. 1988 beschloss der Parteitag in Münster die Wahl durch den Parteitag. 1999 wurde das Amt zum Generalsekretär aufgewertet.
war von 1975 bis 1976 Politikberater für die sozialistische Partei im revolutionären Portugal. Als Mitglied des Europäischen Parlamentes war er Vorsitzender des Ausschusses für den Beitritt Portugals zur Europäischen Gemeinschaft.