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Spanien: Sánchez' hoher Preis für die Wiederwahl als Ministerpräsident

Pedro Sánchez wird wohl Ministerpräsident von Spanien bleiben. Dem Sozialisten gelang der Durchbruch in den Verhandlungen über eine künftige Regierung. Allerdings zu einem hohen Preis.
von Kay Walter · 2. November 2023
Steht kurz vor der Wiederwahl als spanischer Regierungschef: PSOE-Chef Pedro Sanchez
Steht kurz vor der Wiederwahl als spanischer Regierungschef: PSOE-Chef Pedro Sanchez

Pedro Sánchez und seine Sozialistische Partei (PSOE) haben wohl die nötigen Stimmen für die Wiederwahl zum Ministerpräsidenten zusammen. Allerdings muss für diesen Verhandlungserfolg ein hoher, wenngleich auch erwartbarer, Preis entrichtet werden: die Amnestie für die Organisatoren des illegalen Unabhängigkeitsreferendums in Katalonien 2017.

Carles Puigdemont dürfte auch persönlich profitieren

Am Mittwoch kam das schwer erkämpfte Ja der „Republikanischen Linken Kataloniens ERC“, die Sánchez schon bei seiner ersten Wahl zum Ministerpräsidenten unterstützt hatte. Zuvor hatten sich PSOE-Verhandler*innen am Montag mit Carles Puigdemont, dem Chef der anderen Separatistenpartei JxCats, in dessen belgischem Exil getroffen. Der ehemalige Präsident Kataloniens, dem bei Einreise nach Spanien derzeit die Verhaftung droht, dürfte auch persönlich von der Vereinbarung profitieren und straffrei in seine Heimat zurückkehren können. 

Sánchez bestand auf einer formalen Zustimmungserklärung beider Parteien, und zwar vor dem Gang ins Parlament. Das ist ihm auch deshalb so wichtig, weil schriftlich ausformulierte Koalitionsverträge zwischen den Parteien in Spanien unüblich sind. Man könnte das als erzwungenes Vertrauen bezeichnen, in jedem Fall als Machtfrage. Und weil Sánchez seinerseits der von den Separatisten geforderten Amnestie zugestimmt hat, forderte er andersherum, und das eben vor der entscheidenden Sitzung im Parlament, eine bindende Zusage für seine Wahl. Wohl auch, weil er gerne als frischgewählter Ministerpräsident am Kongress der Sozialdemokratischen Partei Europas (S&D) in Málaga teilnehmen will. Und der findet kommende Woche am 10. und 11. November statt.

Erst die Amnestie, dann die Wiederwahl

Nun ist das folgende Procedere zu erwarten: Das spanische Parlament wird am Donnerstag oder Freitag über eine umstrittene Amnestie für die Verantwortlichen des illegalen katalanischen Unabhängigkeitsreferendums von 2017 abstimmen und damit die Bedingung der Katalanen erfüllen. Die Wiederwahl von Sánchez könnte dann kommende Woche am 8. oder 9. November stattfinden. In Spanien gilt Sánchez schon lange als politisches „Stehauf-Männchen“ und als taktisch geschickter Verhandler, dem es wieder und wieder gelungen ist, komplizierte Situationen zu den eigenen Gunsten aufzulösen.

Nun wird er wohl im Amt des Ministerpräsidenten bestätigt werden. Allein, der Preis wiegt schwer. Der EU vorzuschlagen, katalanisch, baskisch und sogar galizisch in den Kanon der offiziellen EU-Sprachen aufzunehmen, wie geschehen – und damit allen anderen ungeheure Kosten nicht nur für Übersetzungsdienste aufzubürden – mag als Taktik durchgehen, weil die EU dem nicht zustimmen kann und darf.

In die Bewertung einer Amnestie für die Organisator*innen des Unabhängigkeitsreferendums von 2017 muss allerdings einbezogen werden, dass das spanische Verfassungsgericht diese Abstimmung für illegal und verfassungswidrig erklärt hat und ein – ebenfalls ursprünglich von den Separatist*innen gefordertes – neues Referendum strikt untersagt hat. Es gäbe keinerlei Recht für eine Region, aus dem Staatsgebiet auszutreten, schon gar nicht durch einseitige Erklärung.

Heftige Kritik der Konservativen

Selbst innerhalb der PSOE gibt es Stimmen, die den Preis für sehr, sehr hoch halten, wenn nicht für zu hoch. Erst recht wird Sánchez sich auf den erbitterten Widerstand der Konservativen einstellen müssen. Der stellvertretende Sekretär des Partido Popular (PP), Miguel Tellado, hat die „Heuchelei“ der PSOE kritisiert. Die Vereinbarung sei der „größte Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit in unserer demokratischen Geschichte“, sagte er der Zeitung El Pais.

Und PP sowie rechtsextreme VOX haben neue Demonstrationen angekündigt, nachdem VOX schon am vergangenen Samstag in Madrid gegen das (mögliche) Amnestiegesetz protestiert hatte. Der PP-Vorsitzende Alberto Núñez Feijóo, kündigte außerdem an vor dem Verfassungsgericht zu klagen, um die, so wörtlich „Kapitulation“ von Sánchez zugunsten der katalanischen Separatisten zu verhindern. Schlecht stehen die Aussichten für diese Klage nicht.

Die Bestätigung von Pedro Sánchez wird dann allerdings längst erfolgt sein. Und Sánchez wird sich große Mühe geben, die Spanierinnen und Spanier davon zu überzeugen, dass eben die Entscheidung für das Land das Beste gewesen ist. Sowohl seine sozial- wie wirtschaftspolitischen Maßnahmen greifen und zeigen Erfolge. Die spanische Wirtschaft hat in seiner ersten Amtszeit erkennbar Tritt gefasst, neue Arbeitsplätze entstehen. Kann Sánchez das so fortsetzen, so das Kalkül, wird die umstrittenen Amnestie als tolerable Konzession bewertet werden. Das ist durchaus möglich. Trotzdem dürfte die getroffene Vereinbarung der zunehmenden Spaltung im Land Vorschub geleistet haben. Das betrifft sowohl die sich weiter verhärtende Konfrontation zwischen rechts und links, als auch den immer kleingeistiger werdenden, nationalistischen Separatismus in mehreren Landesteilen.

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Kay Walter

ist freiberuflicher Journalist in Paris.

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