Arbeit

Sozialer Arbeitsmarkt: Bundestag beschließt Teilhabechancengesetz

Carl-Friedrich Höck08. November 2018
Der Bundestag hat am Donnerstag das Teilhabechancengesetz beschlossen.
„Zeitenwende in der Sozialpolitik”: Der Bundestag hat am Donnerstag das Teilhabechancengesetz beschlossen.
Der Bundestag hat am Donnerstag das Teilhabechancengesetz verabschiedet. Es soll die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt erleichtern. Die SPD hatte kurz vor Ende der Beratungen noch durchgesetzt, dass Arbeitnehmer nach Tarif und nicht mit Mindestlohn bezahlt werden.

Für Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist es ein großer Tag: Der Bundestag hat das Teilhabechancengesetz beschlossen. Warum es ihm wichtig ist, erklärte Heil am Mittwochmorgen noch einmal im ZDF: „Wir haben eine gute Lage am Arbeitsmarkt, aber wir haben einen verfestigten Sockel von Langzeitarbeitslosigkeit. Mit dem Gesetz, was wir heute machen, geben wir Menschen langfristige Perspektiven, die ganz lange draußen sind.“ SPD-Fraktionsvize Katja Mast spricht sogar von einer „Zeitenwende in der Sozialpolitik”.

 Der Staat zahlt den Lohn

Der Kern des Gesetzes: Wenn Langzeitarbeitslose in eine Arbeitsstelle vermittelt werden, zahlt der Staat zunächst einen Teil des Gehaltes oder übernimmt sogar die kompletten Lohnkosten. Solche Fördermöglichkeiten gibt es zwar auch jetzt schon, doch sie sind an komplizierte Bedingungen geknüpft. Eine lautet zum Beispiel, dass zusätzlich zur Langzeitarbeitslosigkeit noch mehrere weitere „Vermittlungshemmnisse“ vorliegen müssen. Nun wird das Verfahren vereinfacht.

Hierzu wird ein neues Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ eingeführt. Damit können Arbeitsverhältnisse von Menschen gefördert werden, die das 25. Lebensjahr überschritten haben. Voraussetzung: Die betroffene Person muss in mindestens sechs der vergangenen sieben Jahre Hartz IV-Leistungen bezogen haben und in diesem Zeitraum weitgehend erwerbslos gewesen sein.

Nimmt die Person ein neues Arbeitsverhältnis auf, zahlt der Staat künftig einen kräftigen Lohnkostenzuschuss. In den ersten zwei Jahren beträgt er sogar 100 Prozent – wobei der Tariflohn innerhalb der Firma als maßgeblich gilt. Die SPD hatte dies kurz vor Ende der Beratungen noch durchgesetzt. Danach schmilzt der Zuschuss pro Jahr um zehn Prozent ab. Die Förderdauer beträgt bis zu fünf Jahre. Während dieser Zeit werden die Betroffenen weiter vom Jobcenter betreut. Sie sollen auch Weiterbildungen oder betriebliche Praktika absolvieren können. Ziel ist es, dass sie nach Ablauf der fünf Jahre auch ohne Förderung am Arbeitsmarkt beschäftigt bleiben.

Ein weiterer Zuschuss – einfach und unbürokratisch

Mit dem Teilhabechancengesetz wird noch ein zweiter Lohnkostenzuschuss geschaffen. Von ihm profitieren Menschen, die seit zwei Jahren arbeitslos sind, und bei denen auch die Vermittlungsversuche des Jobcenters oder andere Eingliederungsleistungen bisher nicht gefruchtet haben. Für sie kann künftig ein Lohnkostenzuschuss von 75 Prozent im ersten und 50 Prozent im zweiten Jahr gezahlt werden. Das sei „für die Verwaltung einfach zu handhaben und auch für die Arbeitgeber transparent“, heißt es in der Erläuterung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf.

Für die neuen Leistungen plant der Bund bis 2022 zunächst Ausgaben von vier Milliarden Euro ein. Darüber hinaus sollen die Jobcenter auch Geld in das Programm stecken können, das sie einsparen, weil sie aufgrund der geförderten Jobs die Sozialleistungen für den Lebensunterhalt nicht mehr bezahlen müssen.

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Kommentare

Gute Lage auf dem Arbeitsmarkt? Die gute Lage für wen?

Ich lade den Herrn Heil gerne dazu ein, als Werkvertragsmitarbeiter, als Mitarbeiter einer Zeitarbeitsfirma, als befristeter Mitarbeiter, als Minijober, als Mitarbeiter auf Abruf zu arbeiten. Wieder ein Beleg für den enormen Realitätsverlust unserer Spitzengenossen. Ein gute Lage auf dem Arbeitsmarkt liegt für mich erst vor, wenn es keine Werkvertagsmitarbeiter, keine Leiharbeiter, keine sachgrundlosen Befristungen und keine Minijober mehr gibt und osteuropäische Menschen nicht für 2,50 € /h LKW und Bus in Deutschland fahren müssen (Vorzüge der Arbeitnehmerausbeutungsfreizügigkeit in der EU). Auf dem Arbeitsmarkt ist überhaupt nichts gut. Die Tarifbindung der Unternehmen hat rapide abgenommen. Der unzureichende Mindestlohn wird so gut, wie gar nicht kontrolliert. Wir als SPD haben die Pflicht, erhebliche Verbesserungen für unsere Kolleginnen und Kollegen auf dem Arbeitsmarkt herbeizuführen (Daseinsbrechtigung). Tun wir dies nicht, werden die Menschen weiterhin die AfD aus Protest wählen und immer mehr Menschen werden verständlicher Weise zu Nichtwählern.

volle Zustimmung

was hier als Erfolgsmeldung daherkommt, wird einen Artikel (H4 abschaffen) weiter verzwergt. Glaubwürdigkeit geht anders

Unglaubwürdig, weil

im Debattencamp gerade deutlich gemacht wurde, dass ein ganz anderes Sozialsystem vonnöten ist. Schnee von gestern, und trotzdem zeitgleich als Erfolgsmeldung durchgegangen.

"Für Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist es ein großer Tag: Der Bundestag hat das Teilhabechancengesetz beschlossen".

Gibt es denn kein Lektorat, oder jemanden, der/die noch die Übersicht hat?

Das eine schließt das andere nicht aus

Lieber Hans im Glück,
da Sie häufiger Krititik an unserer journalistischen Arbeit üben, erstmal eine grundsätzliche Antwort: Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen: Wer beim vorwärts arbeitet, hat eine solide journalitische Ausbildung genossen und unsere Texte werden vor der Veröffentlichung alle nochmal in der Redaktion gegengelesen.
Zum vermeintlichen Widersprucht, den Sie sehen: Den gibt es nicht. Das Teilhabechancengesetz soll Langzeiarbeislosen den Wiedereinstieg ermöglichen. Ein neues Sozialsystem würde dieses Ziel nicht überflüssig machen – im Gegenteil.
Viele Grüße aus der Redaktion
Kai Doering

das mag

ja so sein, ist aber hier nicht die Frage, denn es geht doch alles in allem darum, die Wähler davon zu überzeugen, SPD zu wählen, und -berichtigen Sie mich- die schlechten Ergebnisse hat man doch dahin analysiert, dass es nicht gelungen ist, die erzielten Erfolge der SPD zuzuschreiben.

Hier passiert weiter das, was man zuvor als Kardinalfehler erkannt zu haben glaubte. Errungenschaften werden dadurch in Misskredit gebracht, oder doch der Aufmerksamkeit der Wähler entzogen, dass im sachlichen Umfeld ganz andere, m.E. illusorische Ziele verkündet werden. Die Zielrichtung mag ja stimmen, aber umsetzen wird man sie ohne ausreichenden Rückhalt in der Wählerschaft nicht können. Die wiederum erzielt man nicht, wenn man eigene Erfolge letztendlich diskreditiert.

Haben ich mich verständlich ausgedrückt? Sonst gerne noch mal nachfragen

Qoutierung und solidarische Ausgleichsabgabe bei Nichterfüllung!

Bei diesem Gesetz müssen die Chancen gegenüber den Risiken evaluiert werden. Positiv ist, dass im letzten Moment die Lohnkostenerstattung zu 100 % vom gesetzlichen Mindestlohn auf den betrieblichen Tariflohn umgeschwenkt wurde. Eine weitere Aufspreizung von prekären Arbeitsverhältnissen wäre gesetzlichen Interessenvertretern mit ihren mickrigen Mitwirkungsrechten politisch kaum vermittelbar gewesen. Sehr bedauerlich ist die Einschränkung auf einen Mindestbezug von sechs Jahren ALG 2. Der evolutionäre Vorteil für Arbeitsuchende erschließt sich nicht.

Eine Wohlverhaltenszeit wie beim privaten Insolvenzverfahren ergibt sich nicht. Gerade wenn die Koalition die kalendarische Befristung noch auf 1,5 Jahre bei Betrieben über 200 Beschäftigten reduzieren will, sollten ALG 2 Bezieher umfänglich Zugang zu diesem Programm haben. Die Gefahr des unternehmerischen Sozialdarvinismus ist trotz Art. 14 (2) GG nicht gebannt. Sollte die Privatwirtschaft wie der öffentliche Dienst dieses Gesetz nicht proaktiv unterstützen, ist die Überlegung zwingend, für beide eine Mindestbeschäftigungsquote analog § 154 SGB IX inkl. zweckgebundener Ausgleichsabgabe zugunsten von ALG 2 Bezieher[innen] zu fordern.