Inland

So will die SPD bis 2030 die Gleichberechtigung von Frauen erreichen

Rechte Kräfte wollen in der Frauenpolitik zurück in die 50er-Jahre, warnt Leni Breymaier, frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Die SPD wolle dagegen völlige Gleichstellung, etwa bei Löhnen, Renten und Spitzenjobs.
von Lars Haferkamp · 14. März 2022
Frauentag am 8. März 2022: Vor dem Brandenburger Tor in Berlin fordern zahlreiche Demonstrant*innen gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit – unabhängig vom Geschlecht.
Frauentag am 8. März 2022: Vor dem Brandenburger Tor in Berlin fordern zahlreiche Demonstrant*innen gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit – unabhängig vom Geschlecht.

Leni Breymaier, welche Rolle spielt die Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung für die konkrete Gleichstellung von Frauen und Männern?

Die Förderung von gleichen Chancen ist Kernforderung jeder sozialdemokratischen Politik. Nicht nur, aber insbesondere in gleichstellungspolitischen Fragen. Und das seit über 150 Jahren. Trotz unserer Erfolge in den vergangenen Jahren sind Macht, Geld und Zeit noch immer ungerecht verteilt. In Familien, der Gesellschaft, in Politik und Parlamenten, in Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft. Die Pandemie hat bereits existierende Geschlechterungleichheiten verstärkt. Sie sind sichtbarer geworden. Bereits nach kurzer Zeit konnten wir ihre Auswirkungen auf Frauen beobachten: Die Anzahl der Fälle von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt stieg deutlich an. Dagegen kämpfen wir. Wir wollen erreichen, dass Frauen und Männer auf ihrem Lebensweg gerechte Chancen haben, an der Verteilung teilzuhaben. Wir wollen Vielfalt fördern und Geschlechtergerechtigkeit verwirklichen. Hier dient die Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung mit ihren neun Zielen als Handlungsgeländer für alle Ressorts, nicht nur für das Frauenministerium. Den Aufbruch hin zur Gleichstellung als Selbstverständlichkeit wird auch die Bundesstiftung für Gleichstellung gestalten. Mit Lisi Maier und Arn Sauer als engagiertem Direktorium.

Die SPD will bis 2030 die Gleichstellung erreichen, so ihr Wahlprogramm. Kann das wirklich gelingen?

Wir sind hier ganz realistisch und verlangen das Unmögliche. Dieser Aufbruch in der Geschlechtergerechtigkeit ist mehr als überfällig. Wenn es im gleichen Tempo weitergeht wie bisher, wird es wenigstens 70 Jahre dauern, bis Frauen und Männer gleichgestellt sind. Damit finden wir uns nicht ab. Wir formulieren als SPD unsere gleichstellungspolitischen Ziele klar und mutig. Und zwar nicht nur im Wahlprogramm. Das steht auch im Koalitionsvertrag der Ampel. Dieses Selbstbewusstsein brauchen wir auch. Denn in Deutschland, in Europa und weltweit sind konservative und rechte Bewegungen aktiv, denen all das, was erreicht wurde, ein Dorn im Auge ist und die zurück in die Fünfzigerjahre wollen. Ich führe keine Abwehrkämpfe. Ich will nach vorne. Egal ob es um Entgelt, Renten, Abtreibung, Gewalt an Frauen geht, wir müssen selbstbewusst nach vorne gehen. Bei uns wurde vor fünfzig Jahren das Fräulein abgeschafft, damals gab es Debatten, dass es das nicht braucht. Die gleichen Debatten führen wir heute beim Gendern. Damals wie heute ist der eigentliche Punkt, dass wer sich an der Sprache abarbeitet, an der Fülle von Benachteiligungen nichts auszusetzen hat.

Um welchen Formen von Diskriminierung wegen des Geschlechts geht es konkret?

Die Liste der strukturellen Geschlechterdiskriminierung ist lang: fehlende Frauenquoten, die ungleiche Verteilung von Sorgearbeit, Lohn- und Rentenungleichheit, geschlechtsbezogene Gewalt, Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung. Armut, insbesondere Altersarmut, ist überwiegend weiblich. Bei der Rente spiegelt sich die Erwerbsbiografie: geringe Erwerbsbeteiligung, hohe Teilzeitquote, niedrige Entgelte, häufige und längere Erwerbsunterbrechungen durch Kinderbetreuung führen zu geringen Altersbezügen von Frauen. Armutsgefährdet sind vor allem Alleinerziehende und Familien mit mehreren Kindern. Wir kämpfen dagegen, dass die soziale Lage immer häufiger vererbt wird. Wir fordern die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt und in Führungspositionen und setzen uns für größtmögliche Lohntransparenz ein. Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss gewährleistet sein, um wirkliche Gleichstellung zu erreichen. Geschlechter- und familienpolitische Fragen begreifen wir als Teil einer umfassenden Strategie für eine moderne, offene und zukunftsgerichtete Gesellschaft.

Warum ist die Anhebung des Mindestlohnes auf 12 Euro gerade für Frauen so wichtig?

Wir wissen, das Geschlecht ‚weiblich‘ ist ein Faktor, der das Risiko für einen Lohn unter zwölf Euro deutlich erhöht. Frauen arbeiten mehr als Männer in Teilzeit oder befristet, deshalb werden sie wieder, wie bei seiner Einführung, überdurchschnittlich von einem höheren Mindestlohn profitieren. Branchen, in denen vor allem Frauen tätig sind, werden die Erhöhung deutlich spüren können. Dazu zählen etwa Friseurinnen, Bäckereifachverkäuferinnen und Floristinnen, aber natürlich allen voran diejenigen, die in Teilen der Pflege- und im Betreuungssektor tätig sind. Freilich ist der Mindestlohn die unterste Auffanglinie. Wir müssen auch die Tarifbindung stärken. Denn Gleichstellungs- und Tarifpolitik sind kein Sahnehäubchen und der Wirtschaftspolitik nachgeordnet.

Die Ampelkoalition will den § 219a StGB ersatzlos streichen. Wie verändert das konkret die Lage von Frauen?

Die ersatzlose Streichung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche ist ein großer frauenpolitischer Erfolg. Schluss mit der Gängelei. Schwangerschaftskonflikte gehören nicht ins Strafgesetzbuch. Wir brauchen Sicherheit für die Ärzteschaft und niedrigschwellige Informationen für die Frauen. Ärzt*innen können endlich öffentlich zugänglich über Schwangerschaftsabbrüche informieren, ohne sich strafbar zu machen. Frauen in Schwangerschaftskonflikten erhalten die Chance, sich selbstbestimmt zu informieren. Sie können sich rechtzeitig und zügig einen Überblick darüber verschaffen, welche Möglichkeiten sie in ihrer schwierigen Lebenssituation haben. Das ist nur legitim. Aber, die Streichung des § 219a kann nur ein erster Schritt sein. Abtreibung muss Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein. Verhütungsmittel müssen, am Anfang für Geringverdienende kostenlos zugänglich sein. Die Gehsteigbelästigungen vor Beratungsstellen werden wir verbieten. Und wir brauchen auch eine neue Diskussion über den § 218. Das sind wir unseren Frauen und den Frauen in Europa schuldig. Schauen wir nur nach Polen.

Die Koalition will eine zweiwöchige vergütete Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes einführen. Warum war das der SPD wichtig und wie wird es hier konkret weitergehen?

Das Elterngeld gehört zu den wichtigsten staatlichen Familienleistungen. Wir entwickeln es weiter und stärken so gemeinschaftliche elterliche Verantwortung. Mit dieser Initiative werden vor allem Väter zwei Wochen bezahlten Urlaub nehmen können, um die wichtige Zeit nach der Geburt des Kindes gemeinsam zu erleben. Wir werden das Elterngeld außerdem vereinfachen und digitalisieren. Unser Ziel ist es, Erwerbs- und Sorgearbeit geschlechtergerecht zu verteilen. Und wenn wir über Vereinbarkeit von Beruf und Familie reden, müssen wir über Umverteilung reden.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare