Saskia Esken: Wie die SPD Bildungsungerechtigkeit bekämpfen will
IMAGO/Michael Gstettenbauer
Laut IQB-Bildungstrends 2021 sind die Kompetenzen von Viertklässler*innen in Deutsch und Mathematik gegenüber den Ergebnissen aus den Jahren 2011 und 2016 bundesweit deutlich zurückgegangen. Ist das auch eine Folge von Corona?
Nach 2011 und 2016 weist der aktuelle IQB-Bericht einen alarmierend hohen Anteil an Schüler*innen aus, die die Grundkompetenzen nicht erreichen. Das waren bisher bereits 20 Prozent in 2016 und jetzt sind nochmal rund sechs bis acht Prozent hinzugekommen. Das bedeutet: Ein Viertel der Kinder erwirbt nach in der Regel vier Jahren Grundschule nicht die Kompetenzen, die sie brauchen, um eine weiterführende Schule erfolgreich zu besuchen. Natürlich haben Corona und die Schulschließungen schlechte Auswirkungen auch auf die Bildungsgerechtigkeit gehabt. Aber in der Hauptsache müssen wir uns fragen, warum Grundschulen Bildungsunterschiede, mit denen Kinder ihren Bildungsweg starten, nicht ausgleichen können. Und warum sich diese Bildungsunterschiede im Verlauf der vier Grundschuljahre noch verschärfen, sodass die Schere weiter auseinandergeht.
Der Bericht zeigt auch, dass der Bildungserfolg immer mehr von der sozialen Herkunft abhängt. Was ist zu tun?
Diese Entwicklung kann uns nicht kalt lassen. Schon aus Gerechtigkeitsgründen, weil alle Kinder und auch alle Jugendlichen ein Anrecht auf gleiche Chancen haben. Kinder brauchen ab dem ersten Tag eine individuelle Förderung und zwar schon im Kita-Bereich. Spracherwerb und Sprachentwicklung spielen dabei eine sehr große Rolle. Wir können uns das auch volkswirtschaftlich nicht leisten, dass beinahe zehn Prozent eines Jahrgangs die Schule ohne Abschluss verlässt. Damit verschenken wir enorme Potenziale, die sich später schwer heben lassen. Und mir tut es um jeden Jugendlichen leid, der mit so wenig Chancen ins Berufsleben geht.
Im Koalitionsvertrag war von einem Startchancen-Programm für mehr Bildungsgerechtigkeit die Rede. Was ist geplant?
Die Verhandlungspartner*innen im Bereich Bildung waren sich einig, dass wir gemeinsam die Aufgabe verfolgen müssen, Nachteile auszugleichen. Der Plan sieht vor, dass zehn Prozent der Schulen, die den höchsten Anteil an Schüler*innen mit sozio-kulturellen Nachteilen haben, besonders ausgestattet werden. Das lässt sich nur in enger Abstimmung mit den Ländern machen, die ihren Beitrag dazu leisten müssen. Klassisches Beispiel dafür ist die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln, die mit ihrem Hilferuf erreicht hat, dass sie eine Menge Geld als auch gutes Personal erhalten hat. Diese Schule hat aus der Situation heraus viel Potenzial geschöpft und den Schülerinnen und Schülern den Eindruck vermittelt, etwas wert zu sein. Das ist die Idee, die hinter dem Startchancen-Programm steckt.
Sind dafür bereits Gelder bereit gestellt worden?
Da wir anders in die Legislatur gestartet sind als angenommen und uns seit dem Ausbruch des Krieges inzwischen ununterbrochen im Krisenmodus befinden, gibt es aktuell natürlich schon so etwas wie eine Mittelkonkurrenz. 300 Milliarden Euro stemmen wir aktuell zur Abfederung der Krise, das ist eine Menge. Wenn aber die Bildungsministerin das Startchancen-Programm erst zum Jahr 2024/2025 umsetzen will, ist das viel zu spät. So lange darf das nicht liegen bleiben.
Wie schätzen Sie die Chancen ein?
Genauso wie die Kindergrundsicherung müssen wir jetzt auch die Bildungsinstitutionen unterstützen, damit sie ihrer Aufgabe gerecht werden können. Diese Dinge gehören für mich zusammen. Es ist gut, dass das Kita-Qualitätsgesetz jetzt kommt. Und es wäre gut, wenn wir wenigstens schon mal mit dem Startchancen-Programm in den Grundschulen anfangen.
In der SPD hat sich eine Bildungskommission gegründet. Was steckt dahinter?
Der Parteivorstand hat sich für die ersten zwei Jahre der Legislatur als Arbeitsschwerpunkt das große Thema Transformation vorgenommen. Die Dekarbonisierung, die Digitalisierung, der demografische Wandel und die Zeitenwende beinhalten zum Teil auch krisenhafte Entwicklungen. Wir aber wollen die Transformation so gestalten, dass aus technologischem Fortschritt ein sozialer wird. Dazu zählen Fragen nach der Bedeutung von Bildung in der Transformation und Fragen, wie Teilhabe und Bildung ein Leben lang ermöglicht werden kann. In der Kommission werden Fachleute aus der Bundes- und den Landtagsfraktionen und aus Fachverbänden gemeinsam beraten, wie wir unsere Politik ausrichten und positionieren wollen.
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hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.