Wie Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans die SPD wieder stärken wollen
Dirk Bleicker
Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans, Sie haben sich bei der Mitgliederbefragung zum Parteivorsitz der SPD durchgesetzt. Ist das ein Gefühl des Triumphs?
Saskia Esken: Nein, kein Triumph. Wir sind natürlich sehr glücklich darüber, von so vielen Mitgliedern einen Vertrauensvorschuss bekommen zu haben. Die Unterstützung, auch von vielen jungen Leuten, fühlt sich gut an.
Wie bewerten Sie denn das Ergebnis der Befragung?
Norbert Walter-Borjans: Die 54 Prozent Wahlbeteiligung sind ein passabler Wert. Im Vergleich zu anderen Parteien rangieren wir im oberen Bereich. Das Ergebnis macht aber auch deutlich, wie groß die Erwartungen an uns sind, die Partei wieder zusammenzuführen. Das Thema „Brückenbauen“ ist im Ergebnis geradezu angelegt.
Sie würden sich also als Brückenbauer bezeichnen?
Walter-Borjans: So ähnlich haben wir es schon damals begründet, als wir angetreten sind. Wir wollen in zwei Richtungen Brücken bauen. Einmal nach innen: Die Partei hat unterschiedliche Akzente, die jetzt erkennbar geworden sind, aber schon lange da waren. Zweitens macht es uns große Sorgen, dass viele gesellschaftliche Gruppen, die früher in der SPD ihre parlamentarische Vertretung gesehen haben, sich ein Stück von uns abgewandt haben.
Wie gehen Sie eigentlich mit den hohen Erwartungen um, die damit verbunden sind?
Walter-Borjans: Wenn man es ernst meint, dass man die Partei zusammen mit allen Genossinnen und Genossen und allen, die sie von draußen tragen, aus dem Tal der Tränen führen will, muss man sich bewusst sein, dass das eine unglaublich schwere Bürde ist.
„Unglaublich spannende Herausforderung“
Wir erleben seit Jahrzehnten einen nie gekannten Verlust an Zustimmung. Gleichzeitig sehen wir in Umfragen, dass viele den sozialdemokratischen Positionen weiterhin nahestehen. Sie bekennen sich aber nicht mehr zur SPD. Es ist schwer, diese Menschen wieder zu erreichen, aber es ist eine unglaublich spannende Herausforderung.
Wie groß sind denn die Fußstapfen von ehemaligen Parteivorsitzenden wie Willy Brandt?
Esken: Ich habe schon genug Respekt vor den Fußstapfen von Malu Dreyer. Sie hat einen tollen Job als kommissarische Parteivorsitzende gemacht. Aber wir sind nicht alleine. Wir wollen ein gutes Team formen aus Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen. Dafür müssen wir viele mitnehmen, vom Parteivorstand über das Präsidium bis hin zur Bundestagsfraktion und den Landesverbänden.
Wie wollen Sie die Aufgaben denn unter sich aufteilen?
Esken: Es wird bei uns keinen Innen- und Außenminister geben. Wir werden auch keine harte Themen-Aufteilung machen. Wir haben unsere Schwerpunkte, aber als Parteivorsitzende müssen wir Generalisten sein. Wir sind aber auch keine Klone, wir werden also in Detailfragen auch mal unterschiedliche Einstellungen haben. Wir wissen aber, wie wir dann konstruktiv für das bestmögliche Ergebnis streiten können.
Wie sehen denn die ersten großen Projekte aus?
Walter-Borjans: Wir müssen ran an die Basis, in den Ortsvereinen sehen die Genossen zuerst die Probleme. Wir müssen die Kontakte zu Sozialverbänden, Vereinen und anderen Organisationen neu definieren. Thematisch sind vor allem der Investitionsstau und die gespaltene Gesellschaft zwei große Brocken, in denen viel Arbeit steckt.
„Soziale Medien wirklich nutzen“
Sie werden also viel unterwegs sein?
Esken: Ja, aber nicht nur physisch. Mir ist es besonders wichtig, dass wir die sozialen Medien wirklich nutzen. Wir müssen dort in den Dialog treten. Das ist natürlich aufwendig, aber es muss die Bereitschaft geben, in die Debatte einzusteigen.
Was sind denn die Ziele, die Sie bis Ende 2020 erreichen wollen?
Esken: Zustimmungswerte für die SPD von 30 Prozent und vielleicht mehr. Wir haben allen Grund dazu, stolz auf unsere Partei zu sein. Aber dieser Stolz soll sich nicht nur aus der Historie speisen, sondern auch aus dem Gefühl, dass wir die richtige Vision für die Zukunft haben.
Wie wollen Sie diese Zustimmung denn erreichen?
Walter-Borjans: Wir müssen in der Regierung wichtige Projekte sichtbar umsetzen und nicht verschweigen, dass echte sozialdemokratische Politik über die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag hinausgeht. Zweitens dürfen wir die Dinge, die neu auf die Tagesordnung gekommen sind, nicht kleinmütig angehen. Mit dem Klimapaket haben wir einen ersten wichtigen Schritt getan. Es würde aber keiner hinnehmen, wenn wir jetzt einen Haken dran machen und uns nicht mehr drum kümmern.
„Wir gestalten Klimaschutz und Digitalisierung“
Esken: Wir müssen wieder glaubhafter Politik vermitteln. Wir gestalten den Klimaschutz und die Digitalisierung für die Menschen. Wir sollten uns von dem Märchen des schlanken Staats verabschieden. Die Unterschiede zur Union müssen wieder erkennbar werden.
Wird es dann auch wieder einen SPD-Kanzlerkandidaten geben?
Esken: Die Debatte müssen wir führen, wenn Wahlen anstehen. Wenn die SPD wieder höhere Zustimmungswerte hat, haben wir als Partei natürlich den Anspruch, wieder eine Regierung anzuführen. Es gibt Potentiale für ein soziales, ökologisches, progressives Bündnis.
Die SPD hat jetzt erstmals eine Frau und einen Mann an der Spitze. Was bedeutet das für die Gleichberechtigung in der Partei?
Walter-Borjans: Es gibt Strukturen, die nicht ausgewogen sind. Das beobachten wir daran, dass in Interviews beispielsweise zuerst dem Mann das Mikrofon hingehalten wird. Wir müssen aber auch in der Partei einen Kulturwechsel hinkriegen. Beim Rücktritt von Andrea Nahles haben wir uns nicht mit Ruhm bekleckert.
Esken: Es ist ein Signal an alle Ebenen, weil sich inzwischen kaum noch jemand findet, der allein Verantwortung übernehmen will. Dass wir das als Duo auf Augenhöhe schaffen, ist auch ein Zeichen für den gleichberechtigten Umgang der Geschlechter.
Es wurde immer wieder betont, dass die ausgeschiedenen Kandidaten künftig eine wichtige Rolle in der Partei spielen sollen. Gibt es da schon Ideen?
Esken: Ja. Das ist eine Frage der Wertschätzung für Engagement und Kompetenz. Das haben wir im Vorfeld gesagt und das gilt weiterhin. Dazu haben wir auch schon Rückmeldungen.
Walter-Borjans: Klara Geywitz soll in der Führungsriege künftig eine wichtige Rolle spielen. Das haben wir gemeinsam mit ihr und Olaf Scholz überlegt und das stößt auch auf breiten Zuspruch innerhalb der Partei.
Der Parteitag bestimmt über die Habzeitbilanz und somit auch über das Schicksal der GroKo. Unter welchen Voraussetzungen wäre ein Verbleib in der GroKo akzeptabel?
Walter-Borjans: Wir haben konstruktiv den richtigen Weg in die neue Zeit diskutiert. Klar ist: Wir wollen nicht Hals über Kopf aus der Großen Koalition raus – weil das kein Selbstzweck ist.
Esken: Mit dem Leitantrag ist eine klare Haltung verbunden: Wir wollen, dass die Themen, die durch die veränderte Lage seit dem Koalitionsvertrag hinzugekommen sind, wirklich angegangen werden. Wir jedenfalls sind dazu bereit.
ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.