Rente mit 68 und private Altersvorsorge: Es geht um Verteilungskämpfe
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Wenn es um die Sicherung der Renten geht, ist meist von zwei Maßnahmen die Rede: länger arbeiten – Stichwort Rente mit 68 – und/oder mehr private Altersvorsorge. Mal vorweg: Sind das Maßnahmen, die der jungen Generation nützen, wie ja immer behauptet wird?
Aus meiner Sicht sind das Maßnahmen, die in erster Linie Verteilungsfragen berühren. Denn wenn wir danach fragen, wer das bezahlt, sehen wir, dass beide Maßnahmen die jüngere und auch die mittlere Generation treffen. Nehmen wir die private Altersvorsorge und die Erfahrungen, die wir bereits mit der Riester-Rente gemacht haben. Trotz staatlicher Zuschüsse sind die Arbeitnehmer*innen und ihre Familien selber in der Verantwortung, sowohl die Kosten als auch die Risiken zu tragen, während Arbeitgeber*innen entlastet werden.
Wie sicher kann private Altersvorsorge denn sein?
Das Problem beginnt schon damit, dass Menschen mit geringem Einkommen eine private Vorsorge deutlich weniger wahrnehmen, weil am Ende des Monats einfach das Geld fehlt. Zudem haben wir bei der privaten Vorsorge im Vergleich zur gesetzlichen deutlich weniger Möglichkeiten, sozial nachzusteuern. Natürlich kann man Menschen mit Kinderzulagen staatlich unterstützen. Das gibt es bei „Riester“ und man kann das auch positiv bewerten. Aber wenn wir die Beispiele Mütterrente oder die Bewertung von Zeiten bei Arbeitslosigkeit nehmen, sind wir in der gesetzlichen Rentenversicherung deutlich flexibler, ein rentenpolitisches Gesamtpaket zu schnüren. Das geht nicht, wenn jeder für sich alleine spart.
Ein weiteres Argument, das gegen die private Altersvorsorge spricht, ist die Unsicherheit an den Kapitalmärkten. In einer langen Niedrigzinsphase gibt es kaum einigermaßen risikoarme Anlagen mit spürbarer Rendite. Fraglich ist auch, ob es in der heutigen Situation makroökonomisch überhaupt sinnvoll ist, dass mehr als ohnehin schon zurückgelegt wird oder ob nicht das Umlagesystem aus volkswirtschaftlicher Sicht sogar besser geeignet ist, weil mehr Konsummöglichkeiten erhalten bleiben.
Warum ist die Rente mit 68 ein Irrweg?
Die Rente mit 68, die Rente mit 70 oder gar ein Automatismus werden immer so einfach aus der Schublade gezogen. Denn das Argument, dass wir alle länger leben und daher auch länger arbeiten können, erscheint auf den ersten Blick plausibel. Doch diese Argumentation hat zwei Schwächen: Erstens steigt die Lebenserwartung im Durchschnitt, aber individuell gibt es ganz unterschiedliche Schicksale. Zweitens ist problematisch, dass eine Verlängerung immer als absolut notwendig und alternativlos dargestellt wird. Das stimmt so aber nicht. Die Frage, was tragbar und bezahlbar ist, ist eine politische. Das kann wissenschaftlich nicht abschließend geklärt werden, zumal viele Vorausberechnungen über Jahrzehnte hinweg unsicher sind. Es gibt aber Alternativen zur vermeintlich einfachen Lesart, die sehr stark auf die Mechanik der Rentenversicherung schaut, aber wenig auf ihre Rahmenbedingungen. Dass der Staat beispielsweise über eine gelingende Arbeitsmarktpolitik eine höhere Erwerbsbeteiligung erzielen kann, wodurch mehr Menschen Beiträge einzahlen und eigene Ansprüche erwerben können, findet selten Erwähnung. Kurzum: Die Maßnahmen sind nicht alternativlos. Dahinter stecken Verteilungsfragen und neue Ungerechtigkeiten.
Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Wenn wir die Rente auf 68 anheben, müssen Arbeitnehmer*innen ein Jahr länger arbeiten, dem gegenüber stehen geringere Beiträge nicht nur für sie, sondern auch für die Arbeitgeber*innen. Das ist eine Verschiebung von Kosten, die man auf jeden Fall benennen sollte. Dann lässt sich immer noch darüber streiten, ob das fair ist oder nicht.
Zudem fällt es manchen Menschen schwer, das Rentenalter überhaupt zu erreichen. Und wir wissen auch, dass Menschen mit hohem Einkommen eine höhere Lebenserwartung haben und daher länger ihre Rente haben als Menschen mit geringem Einkommen. Mit jedem Schritt, das Renteneintrittsalter anzuheben, verschärfen wir dieses Problem noch weiter.
Pauschal zu sagen, wir leben alle länger, also müssen auch alle länger arbeiten, geht an der Lebenswirklichkeit der Menschen vollkommen vorbei. Denn hier wird aus Finanzierungsperspektive diskutiert und nicht die gesellschaftspolitische Frage gestellt, was eigentlich gesellschaftlich sinnvolle Arbeit ist und wann es auch genug sein darf. Um es zur Illustration einmal sehr zuzuspitzen: Warum nicht Menschen, die schon mit 18 ins Berufsleben starten, den Ausstieg aus dem Erwerbsleben nach 40 vollen Berufsjahren mit 58 ermöglichen?
Es war viel von Verteilungsfragen die Rede. Nützen diese Maßnahmen in erster Linie Arbeitgeber*innen, indem sie sie entlasten?
Das ist ein ganz zentrales Motiv, auch wenn man schaut, aus welcher Ecke momentan die Argumente kommen. Es ist kein Wunder, dass in der Debatte die von Arbeitgeber*innen unterstützte „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ wieder mit Studien unterwegs ist. Auch eine Kommission der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat im vergangenen Jahr einen Bericht vorgestellt, in dem es darum ging, wie die Beitragssätze zur Sozialversicherung gering gehalten werden können. Zu den Vorschlägen zählten: Mehr Privatisierungen einerseits, länger arbeiten andererseits.
Rentenpolitik ist nichts, was man jenseits von Gerechtigkeitsvorstellungen mal eben am Reißbrett entwickelt, da stehen Verteilungskonflikte im Mittelpunkt. Und das sind nicht die vermeintlichen Konflikte zwischen jung und alt, sondern zwischen reich und arm. Aber auch Konflikte zwischen gesellschaftlichen Gruppen, zwischen Kapital und Arbeit.
Kurzum: Anstatt zu sagen, jeder spart für sich alleine, ist es besser, soziale Probleme im öffentlich-rechtlichen System zu lösen, wo die Politik in guten wie in schlechten Zeiten immer wieder neu entscheidet, was wir uns leisten können und wollen. Das ist ein fairer Deal, weil es keine Vereinzelung ist.
*Florian Blank ist Leiter des Referates Sozialpolitik des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.