Geschichte

Die Rede, mit der Hitler die Maske vom Gesicht gerissen wurde

Vorwärts-Chefredakteur Friedrich Stampfer schreibt mit an der Rede von Otto Wels gegen das Ermächtigungsgesetz. Auch wenn die SPD das Gesetz nicht verhindern kann, gelingt es, Hitler im Reichstag zu demaskieren. Der Preis für die Genossen ist jedoch hoch.
von Carl-Friedrich Höck · 7. Oktober 2016
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Die Szenerie ist bedrohlich an diesem 23. März 1933 in der Berliner Krolloper. Der Reichstag soll das Ermächtigungsgesetz verabschieden und dem neuen Reichskanzler Adolf Hitler faktisch unbegrenzte Macht übertragen: das Recht, Gesetze zu beschließen und dabei sogar die Verfassung außer Kraft zu setzen. Das Gebäude ist umstellt von SA- und SS-Männern.

Der Vorwärts-Chefredakteur ist mittendrin

Die Fraktion der Kommunisten existiert schon nicht mehr, ihre Mandate wurden entzogen. Und auch die Sozialdemokraten sind dezimiert: Mehrere Abgeordnete haben sich krankgemeldet, weil ihnen Gefängnis droht. Zwei Fraktionsmitglieder, Carl Severing und Julius Leber, sind noch auf dem Weg zum Reichstag verhaftet worden. In dieser beängstigenden Atmosphäre sollen die Abgeordneten abstimmen. Und mittendrin: Friedrich Stampfer, SPD-Abgeordneter, Mitglied des Partei- und Fraktionsvorstands und Chefredakteur des „Vorwärts“.

Das SPD-Zentralorgan ist zu diesem Zeitpunkt schon verboten. Stampfer, der Schriftsteller und studierte Volkswirtschaftler, hatte die Leitung 1916 übernommen und seitdem – mit einer kurzen Unterbrechung 1919/1920 – ­innegehabt. Er hat den Parlamentarismus unterstützt, den Aufbau der Weimarer ­Republik. Und jetzt muss der Sozialdemokrat mit ­jüdischen Wurzeln mit ansehen, wie die Nazis die Demokratie zerstören. Immer wieder hat Stampfer vor den Faschisten gewarnt, auch mit alarmierenden Leitartikeln im „Vorwärts“. Um die Nazi-Herrschaft zu verhindern hat er sogar versucht, die politische Dauerfehde ­zwischen der SPD und den von Moskau gelenkten Kommunisten zu beenden. Der sowjetische Botschafter erteilte Stampfer eine Absage.

Der Schein des Legalen soll gewahrt bleiben

Nun, an diesem Nachmittag im März, ist es zu spät. Der Umbau in eine Diktatur ist weit vorangeschritten, die Bürgerrechte sind außer Kraft gesetzt, die Presse- und Versammlungsfreiheit per präsidialem Erlass eingeschränkt worden. Und doch: Nach außen hin wollen die Nazis es so aussehen lassen, als verlaufe der Staatsumbau ganz legal. So wollen sie sich die Loyalität des Bürgertums und der Beamten sichern. Deshalb ist ihnen das Ermächtigungsgesetz so wichtig.

Stampfer und die anderen SPD-Abgeordneten spielen dieses Spiel nicht mit – als einzige Fraktion im Reichstag. Otto Wels begründet die Ablehnung seiner Fraktion. „Kein rhetorisches Glanzstück, wohl aber eine moralische Leistung von unvergänglichem Wert“, schreibt Stampfer später über diese Rede, die er selbst mitverfasst hat – zusammen mit Wels, dem jungen Kurt Schumacher und Ernst Heilmann. Die Worte werden berühmt: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht. (...) Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des ­Sozialismus.“

Ein Meisterstück politischen Komödiantentums

Wie viel Mut es für diese Sätze brauchte, macht Stampfer später in seinen Erinnerungen deutlich: „Im Saale sahen wir uns bald von bewaffneten SS-Männern umstellt. Ob und wie wir aus dieser Halle herauskommen würden, wussten wir nicht. Diese ganze groß aufgezogene, hochdramatische Veranstaltung war ein einziger, ungeheuerlicher Verfassungsbruch. Aber kein Reichspräsident, kein Reichsminister, kein bürgerlicher Abgeordneter wagte ein Wort des Protestes.“

Hitler kontert mit einer wütenden Gegenrede. „Ich will ihre Stimmen gar nicht, Deutschland soll frei werden ohne sie“, brüllt er ins Mikrofon, umjubelt von den braun uniformierten Schergen im Saal. Ein Meisterstück politischen Komödiantentums nennt es Stampfer. Dennoch ärgert er sich, denn er hat die Fraktionserklärung wie üblich vorab der Presse übergeben. „Von da war sie an Hitler gelangt, der nun Zeit genug hatte, seine Antwort vorzubereiten. Er hatte diese Zeit gut ausgenützt“, schreibt Stampfer rückblickend.

Die Rede Wels’ bringt Hitler so in ­Rage, dass er kurzzeitig die Beherrschung verliert. „Sie sagen: Sie wollen nun den Reichstag ausschalten“, brüllt er. Dann entfährt es ihm: „Dazu hätten wir es nicht nötig gehabt, erst zu dieser Wahl zu schreiten, noch diesen Reichstag einzuberufen.“ Und bestätigt so: Der ganze Rechtsakt ist nur ein Schauspiel. Stampfer, Wels und den anderen ist es gelungen, Hitler für einen Moment die Maske der Legalität abzureißen.

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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