Kultur

Rechte Frauen: Die unterschätzte „Muttimasche“

Sie sollen dem Rechtsextremismus ein „menschliches Antlitz“ verleihen und rechtes Gedankengut in der Gesellschaft „normalisieren“. Die Rolle weiblicher Neonazis wird oft unterschätzt: Hinter ihrer freundlichen Fassade verbirgt sich meist der blanke Hass.
von Paul Starzmann · 9. März 2016
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Antje Vogt steht auf der Wiese und schaut über die Büsche in Richtung Sandkasten. Es brauche einen Warnhinweis vor dem Kinderspielplatz, fordert sie. Ein Schild wie: „Bitte nicht mit Fahrradhelm auf die Rutsche klettern. Verletzungsgefahr!“ Das Wohl der Kinder liege ihr sehr am Herzen, beteuert die junge Mutter, ebenso die Belange der Familien. Als ihre Heimatgemeinde Mihla in Thüringen ein paar tausend Euro für die Unterbringung einer Flüchtlingsfamilie ausgeben will, stimmt die Stadträtin Antje Vogt allerdings dagegen. Der Grund: Sie ist Mitglied der NPD, sie ist eine rechtsextreme Frau.

Nazi-Frauen: „unauffällig“ und „liebevoll“

Für die WDR-Doku „Weiblich, sexy, rechtsextrem“ hat die Filmemacherin Caterina Woj viele rechte Frauen wie Antje Vogt getroffen. Der Film zeigt, wie die Rechtsextremistinnen die demokratische Alltagskultur in der deutschen Provinz unterwandern. Sie geben sich harmlos und bürgerlich – und doch stehen sie für eine Ideologie der Menschenverachtung.

Zum Beispiel die Erzieherin Antje Probst, die lange in einem Kindergarten der Arbeiterwohlfahrt tätig war. Dass sie gleichzeitig als Mitbegründerin des inzwischen verbotenen Neonazi-Netzwerks „Blood and Honour“ auftrat, fiel niemandem auf. Oder Sigrid Schüßler, die sich aufgeschlossen modern gibt und im Fetisch-Outfit für einen Erotik-Kalender posiert. Zugleich hetzt sie gegen Homosexuelle und ist voll des Lobs für Adolf Hitler.

Kinder, die „Landser“-Lieder singen

Heidi Benneckenstein hat die Nazi-Ideologie gewissermaßen mit der Muttermilch aufgesogen. Ihre Eltern haben sie „völkisch“ erzogen, sagt sie. Zeltlager der HDJ (Heimattreue Deutsche Jugend) gehörten für sie als Kind zum Alltag. Lebensweisen wie im Nationalsozialismus wurden ihr dort vermittelt, erinnert sie sich. Dort habe sie Achtjährige getroffen, die zwar kein normales Gespräch führen konnten, aber Lieder der Neonazi-Band „Landser“ auswendig kannten.

Inzwischen ist die junge Frau ausgestiegen aus der Nazi-Parallelgesellschaft. Die einzige in ihrem Umfeld, die diesen Schritt gewagt habe, sagt sie. Viele der ehemaligen HDJ-Kinder spielten heute in der rechten Szene eine wichtige Rolle. Das Ziel der Neonazis sei, ihre Ideologie mithilfe der Frauen salonfähig zu machen, erzählt Benneckenstein. Dafür mimten viele die „nette Mutter von nebenan“ – rechte „Ökos“ mit Kinderwagen und Luftballons. „Muttimasche“ wird das in dem Dokumentarfilm genannt.

Die Rolle der Frauen wird „fahrlässig unterschätzt“

Bei der Vorstellung des Films am Dienstag beim Berliner Verein „Gesicht zeigen!“ erklärt Esther Lehnert von der Alice-Salomon-Hochschule, die Frauen in der Naziszene seien lange unterschätzt worden. Die Rechtsextremismus-Expertin fordert, Frauen „nicht auszuklammern aus der Verantwortung“, wenn sie sich im Elternbeirat oder beim Kita-Sommerfest rassistisch äußerten. Jeder müsse in solchen Fällen Selbstreflexion und Haltung beweisen.

In der Jugendarbeit müsse auf junge Frauen und Mädchen besonders geachtet werden. Wenn Kinder in der Kita Hakenkreuze malten und nichts von ihrem Wochenende erzählen wollten, dürfe nicht weggesehen werden, fordert Lehnert. Schulen und Kitas seien für die Kinder der Neonazis oft der erste Kontakt mit demokratischer Kultur. In den Bildungseinrichtungen dürfe es „kein Verständnis“ für menschenfeindliche Äußerungen geben. Wenn die Kitas alle Facetten der Einwanderungsgesellschaft abbildeten, sei dies die „beste Prävention“ gegen rechte Gewalt.

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Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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