Rassismus: „Talkshows geben Rassisten eine Bühne, aber schließen Betroffene aus.“
Mehr als zwei Wochen nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd halten die Proteste gegen Rassismus an. Auch in Deutschland demonstrieren Menschen: auf der Straße und im Internet. In den Fernseh-Talkshows sind sie ebenfalls ein Thema, allerdings meist ohne die Betroffenen zu Wort kommen zu lassen. In ihre Sendung am 3. Juni lud Sandra Maischberger fünf weiße Menschen ein, um über den Mord an Floyd und die Proteste danach zu sprechen. In einer Petition fordern Zehntausende Talkshow-Macher dazu auf, nicht nur über Betroffene von Rassismus zu reden, sondern auch mit ihnen. Initiiert hat sie der Blogger und Aktivist Nasir Ahmad.
Herr Ahmad, erinnern Sie sich noch, was Sie gedacht haben, als Sandra Maischberger vergangene Woche ihre neue Sendung ankündigte?
Ich dachte mir nur: Holy Shit! Wie sollen bitte fünf weiße Menschen über Rassismus und die Ausschreitungen in USA sprechen, ohne dass ein einziger Schwarzer Mensch, ohne dass ein einziger von Rassismus Betroffener dabei ist? Das habe ich dann auf Twitter auch so geschrieben.
Ihre Kritik hat schnell große Wellen geschlagen. Schon am Tag vor der Sendung war #Maischberger der meistgenutzte Hashtag auf Twitter.
Das stimmt, es gab sehr viel Zuspruch. Wobei das nicht nur an mir lag. Vor allem aus der Schwarzen Community gab es viel Kritik an Maischberger. Jasmina Kuhnke hat ebenso darauf aufmerksam gemacht wie Stephan Anpalagan, der auch in einem vielbeachteten Tweet kritisierte, dass dort fünf weiße Menschen untereinander über Rassismus sprechen sollen. Und viele andere auch.
Wie wurde aus dem Tweet dann eine Petition?
Die Kampagnenplattform change.org hat mich angesprochen, ob ich nicht Lust hätte eine Petition zu starten. In der forderte ich dann, sämtliche weißen Gäste auszuladen und nur solche Gäste einzuladen, die selbst von Rassismus betroffen sind und deshalb besser Auskunft über das Thema geben können. Die Resonanz auf die Petition hat mich selbst überrascht. Innerhalb kurzer Zeit unterzeichneten mehr als 30.000 Menschen. Viele haben auch Maischberger direkt geschrieben und mir Screenshots geschickt. Das hat mich riesig gefreut.
Die Petition hat offenbar auch Eindruck bei der Maischberger-Redaktion hinterlassen. Mit der afroamerikanischen Germanistin Priscilla Layne lud sie dann einen Tag vor der Sendung doch noch einen Schwarzen Gast ein.
Genau. Die Geschichte bekam dann noch eine schöne Wendung: Priscilla Layne kritisierte nun selbst auf Twitter die Maischberger-Redaktion dafür, dass sie erst in letzter Minute dazu geholt wurde und forderte, dass man auch über Rassismus und Polizeigewalt in Deutschland sprechen müsse. Außerdem sei der Fall ein Beispiel dafür, wie die Schwarze Community in Deutschland aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen werde. Und das ist genau, was Talkshows tun.
Was genau?
Talkshows geben Rassisten und Faschisten regelmäßig eine Bühne aber schließen Menschen, die von Rassismus betroffen sind aus. Es ist ja nicht das erste Mal, dass Maischberger sich so verhält.
Was meinen Sie?
Wir hatten zum Beispiel den Anschlag von Hanau, nach dem auch nicht mit Betroffenen diskutiert wurde. Im März gab es den Fall des Erfurter Muslims Suleman Malik. Dieser war erst von Maischberger eingeladen worden. Als er dann dagegen protestierte, dass ein AfD-Politiker mit ihm auf der Bühne sitzen sollte, wurde er wieder ausgeladen. Also nicht der AfD-Politiker, sondern Herr Malik.
Die Maischberger-Redaktion schildert den aktuellen Fall etwas anders als Sie. Demnach seien die weißen Gäste gar nicht zum Thema Rassismus, sondern zu anderen Themen eingeladen worden. Man habe sich erst kurzfristig entschieden, das Thema mit in die Sendung zu nehmen.
Das ist nicht richtig. Schon im allerersten Tweet zur Sendung hat Maischberger den Hashtag #GeorgeFloyd benutzt und die Ausschreitungen in den USA erwähnt. Erst nach der Kritik hat sie erklärt, sie wollte ja gar nicht über Rassismus sprechen. Als die Sendung dann begann, ging es hingegen nur um Rassismus: Der Fernsehmoderator Herr Steffens, die Börsenexpertin Frau Kohl, der Kolumnist Herr Fleischauer: Sie alle wurden von Anfang zu Rassismus und den Ereignissen in den USA befragt. Heiko Maas wurde explizit gefragt: „Ist Trump ein Rassist?“ Von Anfang an haben da vier Weiße über Rassismus gesprochen. Das Gegenteil zu behaupten, ist einfach verlogen.
Die Maischberger-Redaktion hat sich im Anschluss noch einmal bei Ihnen gemeldet. Konnten Sie in dem Gespräch zueinander finden?
Naja, eigentlich nicht. Ich wurde drei Minuten mit Ausreden und Ausflüchten zugeballert: Man habe ja nicht zu Rassismus sprechen wollen, meine Petition sei völlig unverhältnismäßig, der einzige Fehler sei gewesen, Frau Lane nicht angekündigt zu haben. Schließlich wurde ich aufgefordert, die Petition zu löschen.
Haben Sie das gemacht?
Natürlich nicht. Ich habe den Redakteur darauf hingewiesen, dass die Diversitätsrate seiner Talkshow bei fast bei null Prozent liegt, Schwarze und People of Colour (PoC) nahezu gar nicht zu Wort kommen. Ich habe ihn gefragt, warum sie nach dem rassistischen Terroranschlag von Hanau keine Betroffenen eingeladen haben. Daraufhin meinte er, sie würden sowieso keine Betroffenen einladen, sondern nur Generalisten, nur Menschen, die darüber als Experten reden könnten. Da muss man sich natürlich fragen: Gibt es aus der PoC-Community keine Experten? Irgendwann hat mich der Redakteur dann gefragt, ob ich mir also gewünscht hätte, dass mehr über Rassismus gesprochen werde. Meine Antwort war: Nein, ich wünsche es mir nicht, ich fordere es ein.
Nun ist das Problem nicht völlig neu. Seit Jahren werden Talkshows für ihre stereotype Gäste- und Themenauswahl kritisiert. Warum ändert sich daran nichts?
Ich kann nur Vermutungen anstellen: Talkshows scheinen sich eher an ein rechtes Publikum zu wenden, statt an jene, die versuchen, die Gesellschaft zusammenzuhalten. Talkshows versuchen, Leute abzuholen, die „Wir sind das Volk“ grölen. Menschen, die von Rechtsextremismus und Rassismus betroffen sind, scheinen hingegen nicht adressiert zu werden. Damit sind Talkshows Teil des Problems. Die muslimische Aktivistin Kübra Gümüşay hatte das einmal sehr schön beschrieben: Talkshows dienen nicht dem Austausch, sondern dazu Fronten aufzubauen. Sie sind Kampfarenen der Extreme und am Ende kommt nichts als Zerstörung dabei heraus.
Warum schalten Sie nicht einfach ab?
Das Problem ist: Wenn meine Nachbarn Hans oder Otto einschaltet und ich danach den Müll heraustrage, gibt's plötzlich kein „Hallo“ mehr, sondern böse Blicke. Talkshows prägen Narrative und pflanzen diese in die Köpfe der Menschen: Flüchtlinge seien Schmarotzer, Muslime seien Terroristen und Schwarze seien Vergewaltiger. Daran ändert sich nichts, wenn ich den Fernseher ausschalte. Das Problem kann man nicht einfach abschalten.
ist Journalist und Islamwissenschaftler. Für verschiedene Magazine und Zeitungen berichtete er viele Jahre aus dem Nahen Osten. Auf seinem Blog schantall-und-scharia.de schreibt er über Islamophobie in Deutschland.