Rassismus in der Polizei: Horst Seehofer auf Irrwegen
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Horst Seehofer ist ein Dickkopf. Vielleicht ist es auch Starrsinn, dass er seine festgefahrene Meinung momentan nicht überdenkt. Nachdem in den vergangenen Tagen private Chatgruppen von Polizist*innen mit rechtsextremen Inhalten in Nordrhein-Westfalen aufgeflogen waren, will der Bundesinnenminister trotzdem nicht erkennen, warum eine Studie zu Rassismus innerhalb der Polizei sinnvoll wäre.
Und das, obwohl auch er keine gute Antwort darauf hat, warum rund 30 Polizist*innen Bilder von Geflüchteten in Gaskammern, Nazi-Symbole und jede Menge anderen rechtsextremen Mist in privaten Chatgruppen teilten. Statt nach einer Antwort danach zu suchen, warum solche Denkmuster über Jahre nicht auffielen und auch jetzt nur zufällig entdeckt wurden, blockiert Ssehofer und lenkt überdies noch mit einem weiteren sinnlosen Mannöver ab. Eine solche Studie würde dem Problem nicht im Ansatz gerecht, sagte er gegenüber der „Bild am Sonntag“. Stattdessen will er jetzt die ganze Gesellschaft auf rechtsextreme Tendenzen hin unter die Lupe nehmen.
Es geht um die Polizei, nicht die Gesellschaft
Solche Studien gibt es aber bereits. Das weiß sicherlich auch der Innenminister, sonst hätte er eine Wissenslücke in seinem Verantwortungsbereich, die größer ist als das Bundesland aus dem er stammt. In jeder Gesellschaft gibt es einen „Bodensatz“, der rechtsextreme Gedanken und Einstellungen teilt. Das wird regelmäßig untersucht. Eine neue Erkenntnis ist nicht zu erwarten, wozu also Zeit und Geld verschwenden?
Wahrscheinlicher ist, dass Seehofer lediglich von einer anderen Wissenslücke ablenken will. Denn er kann die immer wieder auftretenden „Einzelfälle“, die es seit Jahren gibt, nicht erklären. Ob es Strukturen innerhalb der Bundespolizei gibt, die Rassismus befördern oder begünstigen – etwa ein falsch verstandener Korpsgeist, oder fehlende Strukturen zum Melden von rassistischen Vorfällen – weiß er nicht. Und dabei wäre er der zuständige Minister, um solche Sachverhalte aufzuklären. Statt tief einzutauchen und innerhalb der Polizeistrukturen nach Antworten zu suchen, sitzt Seehofer lieber am Ufer und angelt – in der Hoffnung, dass ihm per Zufall ein dicker Fisch ins Netz geht.
Schlimmer noch: Er gibt einem weiteren Irrglauben Nahrung. Wer auf rechtsextreme Vorfälle innerhalb der Polizei damit antwortet, dass er den Blick auf die ganze Gesellschaft lenkt, der hängt der Vermutung an, dass die Polizei ein Spiegelbild der Gesellschaft sei. Wenn wir den Rassismus in der Gesellschaft kennen, kennen wir auch den Rassimus in der Polizei – so der Zirkelschluss.
Kein Spiegel der Gesellschaft
Doch auch damit liegt der Innenminister falsch. Die Polizei ist kein Spiegel der Gesellschaft. Denn dann wäre die Polizei ja eine kunterbunte Mischung von Menschen jeglicher politischer Denkrichtung, Geschlechts, sexueller Orientierung, Lebensstil oder was es noch an Unterscheidungskriterien gibt. Ein Blick auf die Frauenquote der Polizei zeigt schon, dass das nicht stimmt – er liegt aktuell bei rund 30 Prozent, vor zehn Jahren waren es sogar nur gut 20. Wäre die Polizei ein Spiegel der Gesellschaft, müsste er bei knapp der Hälfte liegen.
Und genauso wie bei der Bundeswehr nur wenige Menschen zu finden sind, die sich als Pazifist*innen bezeichnen würden, dürfte auch der Anteil von Menschen mit extremen linken Ansichten oder Personen, die strikte Befehlsstrukturen ablehnen, innerhalb der Polizei gen null tendieren. In der Gesellschaft gibt es diese Menschen aber. Mehr Vielfalt innerhalb der Polizei ist wünschenswert, klar. Aber zum einen wird es gesellschaftliche, kulturelle Unterschiede bei der Berufswahl immer geben. Das gilt für die Wachstube genauso wie für die Werkstatt oder das Krankenhaus. Zum anderen haben bestimmte politische Ansichten, beispielsweise die Ablehnung der staatlichen Ordnung oder der Glaube an Verschwörungsmärchen bei den Bürger*innen in Uniform gar nichts verloren. Die Polizei sollte also auch kein Spiegel der Gesellschaft sein.
Seehofers Vorstoß bleibt also ein Ablenkungsmanöver, das nichts zur Lösung des Problems beiträgt. Denn das Problem bleibt die Wissenslücke: Wir wissen nicht, wie weit verbreitet rechtsextremes Gedankengut in der Polizei ist und eine gute Erklärung für solche Vorfälle wie in Mülheim an der Ruhr haben wir auch nicht. Für Erklärungsansätze, für Lösungsansätze, warum es zu solchen Fällen wie in NRW kommt, dafür wäre eine Studie bitter nötig und das haben andere Politiker in Deutschland auch bereits längst erkannt – angefangen bei der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken sowie weitere sozialdemokratische Landesinnenminister.
Damit stellt man auch nicht jede*n Polizist*in unter Generalverdacht – im Gegenteil: Mit einer soliden Datenbasis könnte man diesen Generalverdacht entkräften. Auch in der Polizei dürfte die große Mehrheit der Meinung sein, dass Bilder von Geflüchteten in Gaskammern rassistisch sind und dass auch nur die Verbreitung solcher Bilder innerhalb der Polizei unter gar keinen Umständen auch nur geduldet werden darf. Eine wissenschaftliche Studie könnte diese Vermutung bestätigen.