Warum wir am Prinzip der Spitzenkandidatur festhalten sollten
action press
Bisher hat sich die Europäische Union nur in eine Richtung entwickelt, sie wurde immer demokratischer: Das Europäische Parlament (EP) erhielt mehr Rechte, die Entscheidungsfindung wurde transparenter. Die Wählerinnen und Wähler haben das EP bei den Wahlen Ende Mai noch einmal deutlich gestärkt: mit mehr als 50 Prozent war die Wahlbeteiligung so hoch wie seit 20 Jahren nicht. Dieser Erfolg lag auch am Spitzenkandidatenprinzip – also daran, dass Bürgerinnen und Bürger durch ihre Stimme über die Kommissionspräsidentschaft der EU mitentscheiden können.
Ein Rückschritt für ein demokratischeres Europa
Ursula von der Leyen ist keine Spitzenkandidatin gewesen, hat ihre Vision von Europa nicht vorgestellt und sich nie den Fragen der Wählerinnen und Wählern gestellt. Ihre Kandidatur führt das Spitzenkandidaten-Prinzip ad absurdum. Der Vorschlag des Europäischen Rats, sie an die Spitze der EU-Kommission zu setzen, ist ein Rückschritt für ein transparenteres und demokratischeres Europa.
Es herrscht darüber großer Unmut bei den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, aber auch in anderen Fraktionen. Eine Alternative ist möglich. Die Mitgliedstaaten hätten unseren Spitzenkandidaten Frans Timmermans mit einer knappen Mehrheit nominieren können. Ich habe Verständnis dafür, dass der Europäische Rat die Bedenken einzelner Staaten ernst nimmt. Wenn aber Nationalisten wie Viktor Orbán und Matteo Salvini die entscheidende Rolle bei der Ablehnung spielen, ist das ein Armutszeugnis.
Die SPD wird dazu stehen, was sie zugesagt hat
Grund ist Timmermans starkes Eintreten für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechte sowie sein entschiedenes Vorgehen gegen Mitgliedstaaten, die diese fundamentalen europäischen Werte missachten. Was für Weichen stellt die EU für die Zukunft, wenn dies zum Ausschlusskriterium für dieses Amt wird?
Das EP, niemand sonst, wählt die Kommissionsspitze. Die Entscheidung über den aktuellen Ratsvorschlag sollen die Abgeordneten am 16. Juli in Straßburg treffen. Stimmen, die von einer Verfassungskrise sprechen, falls es keine Mehrheit für von der Leyen gibt, offenbaren ein bizarres Demokratieverständnis. Dann wäre die Entscheidung keine tatsächliche Wahl.
Wir haben uns immer wieder fraktionsübergreifend für Spitzenkandidaten ausgesprochen. Ich setze darauf, dass das Parlament in dieser Frage den Einfluss der Bürgerinnen und Bürger Europas selbstbewusst verteidigt. Die SPD-Abgeordneten werden den Vorschlag der Staats- und Regierungschefs ablehnen. Jetzt müssen auch andere Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Sinne der europäischen Demokratie dazu stehen, was sie den Menschen vor der Wahl zugesagt haben.